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Baarìa  – Eine italienische Familiengeschichte

 

 

 

Vergleichgültigungsformel

 

Rechtspopulistische Staatskunst vom Meister der Nostalgie: Giuseppe Tornatore zeigt mit "Baaria", was sich Silvio Berlusconi & Co. unter Kino vorstellen.

 

Das Logo zu "Baarìa", einem Film ohne größeren Vorspann, weist das Werk sogleich als Produkt des Berlusconi-Medienkonzerns Mediaset aus. Da legt sich der Verdacht nahe, man bekomme es mit einem Historienfilm, durchtränkt mit rechtslastigem Populismus, zu tun. Und, oh boy, findet der Verdacht sich in der Folge bestätigt. Und etwas anderes erkennt man, als hätte es einer Bestätigung noch bedurft, auch: Der Druck, den die italienische Rechte auf sämtliche Bereiche des Kulturbetriebs ausübt, muss wahrhaft immens sein. "Baarìa" nämlich war der Eröffnungsfilm der vergangenen Filmfestspiele in Venedig, denen der eigentlich bei cineastischem und politischem Verstand befindliche Marco Müller trotz aller Anfeindungen immer noch vorsteht. Was immer man über die sonstige Wettbewerbsauswahl Freundliches sagen kann: Wer einen Film wie "Baarìa" fürs Appeasement akzeptieren zu müssen glaubt, hat im Grunde kapituliert.

 

Harmlos genug kommt, was Giuseppe Tornatore erzählt, auf den ersten Blick daher. Ein Bilderbogen in zweieinhalb Stunden. Episodisch, regional (sizilianisch), Geschichte einer Familie vom Faschismus bis in die Gegenwart, wobei letztere allerdings nur als eine Art hässlicher Nachgedanke mit Motorenlärm ganz zuletzt noch ins Bild kommt. Das allein schon ist sehr bezeichnend. "Baaria" ist 100 Prozent Nostalgie. Oder andersherum: Es lassen sich die Zersetzungskräfte, die Nostalgie auf die Betrachtung von Vergangenheitsmaterial ausübt, an "Baarìa" ganz exemplarisch studieren.

 

Von der ersten Episode an. Ein kleiner Junge rennt und rennt und rennt durch die staubigen Straßen eines Dorfs und als er immer weiter gerannt ist, hebt er ab, beginnt zu fliegen. Er ist die Figur, die in den Film und seinen Geschichtsbegriff einführt. Und der Flug, der damit angezeigte, vom Irdischen abgehobene Blick, ist treffende Metapher für die Perspektive des Films auf die Jahrzehnt für Jahrzehnt vorüberziehenden Ereignisse. Aber nicht nur Metapher. Tornatore und sein Kameramann Enrico Lucidi erheben das Fliegen zum visuellen Prinzip. Beliebig und durch kein ästhetisches Prinzip gebändigt, schwebt die Kamera mal für mal hinein in die Szenerie, schwebt wieder davon, nichts hält sie, weil sie sich für nichts als nur den in güldenes Licht getauchten äußeren Anschein interessiert. Ihr Zugriff auf die Ereignisse, die der Film episodisch schildert, ist der der totalen, beliebigen Verfügung.

 

Und, kein Wunder, unterm haltlos schwebenden nostalgischen Auge der Kamera wird alles, alles gleich: der Faschismus; die Rolle, die der Protagonist als Reformer (das ist die explizite Ideologie von "Baarìa") in der kommunistischen Partei und die diese in der Nachkriegszeit spielt; der Aberglaube mit zerbrochenen Eiern und zum Toteseelenabflug geöffneten Fenstern; die Korruption, für die allerdings und immerhin Tornatore das einzige originelle unter all seinen hübschen Bildern findet (die Hände eines Blinden über der Stadt); nicht zu vergessen die Frau als schön anzusehende Gebärmaschine, die dem Mann insgesamt Stücker fünf Kinder austrägt und wenn, dann aber nur unter seiner dem Geldverdienen geschuldeten Auslandsabwesenheit leidet.

 

Kein Wunder aber, dass Tornatore, wo er alles so besinnungslos gleichmacht, die Geschichte (die reale, aber auch die von seinem Film erzählte) unter den Augen, den Händen zerfällt. Es regiert der schiere Fortgang, ein "und dann" und "und dann", eine Szene nach der anderen wird nach dem ständigen Schweben, Heben und Senken der Kamera in eine sanfte Schwarzblende hinein verabschiedet wie in bleiernen Schlaf: eine filmsprachliche Vergleichgültigungsformel, die dem Film – List der Dramaturgie – nicht nur, jede Ursache-Wirkungs-Analyse, sondern alle Spannung, allen Zusammenhang, das Leben selbst austreibt. Eine Montage-Variante, die alle Kausalität durch den bloßen Anschein einer solchen ad absurdum führt: die Verbindung des Unverbundenen durch Match Cuts, also Ähnlichkeitsbilder, die miteinander nichts als eben die Ähnlichkeit gemeinsam haben. (Schlangen und ein gewundener Schlauch, nur zum Beispiel.)

 

"Baarìa" tut ideologielos, versteht sich geradezu aggressiv als Bilderbogen von großer nostalgiegesättigter Harmlosigkeit. Dass es aber nichts Ideologischeres gibt als angebliche Ideologielosigkeit, als die totale Entkräftung der Darstellung durch die Einebnung von Privatem und Politik, die Aushebelung der Analyse durch das sanfte "Und dann", führt der Film eindrucksvoll vor. Mit einem Wort: Giuseppe Tornatore etabliert sich mit "Baarìa" endgültig als der Zhang Yimou des Berlusconismus und leider spachtelt Ennio Morricone mit dem sinfonischen Musikseim, den man zu lange schon von ihm kennt, jede verbleibende Lücke, durch die ein Gedanke noch gelangen könnte, so verlässlich wie hässlich zu.

 

Ekkehard Knörer

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de

 

 

Baarìa – Eine italienische Familiengeschichte

Italien 2009 – Originaltitel: Baarìa – La porta del vento – Regie: Giuseppe Tornatore – Darsteller: Francesco Scianna, Margareth Madè, Nicole Grimaudo, Angela Molina, Lina Sastri, Salvo Ficarra, Valentino Picone, Luigi Lo Cascio – FSK: ab 6 – Länge: 150 min. – Start: 29.4.2010

 

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