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Avatar–
Aufbruch nach Pandora
Der
mit dem Rechner tanzt: Zwölf Jahre nach „Titanic“
kehrt James Cameron zurück, um mit blauen Aliens, Terrorkonzernen und Futuro-Sauriern
die ziemlich abgedrehte Variante eines durchökonomisierten Weltkinos zu
präsentieren
Auf
den ersten Blick hat das Ganze etwas ungeheuer Verkrampftes, fast schon Lächerliches
an sich. Wieder einmal (jetzt aber wirklich!) muss das Kino gerettet werden;
wieder vor dem Home Entertainment, das heute in Gestalt von Video- und Computerspielen
die Zeit- und Geld-Ressourcen des Publikums so sehr bindet, dass ironischerweise
nur noch ein anderer Teil der Heimunterhaltung (nämlich DVD und auch ein
bisschen Blu-ray) Hollywood auf Augenhöhe mit der Game-Industrie hält.
Das Kino stirbt, aber es ergibt sich nicht. Und wer könnte den großen
Filmwurf in Richtung der digitalen Konkurrenz besser ausführen als James
Cameron: der König der Blockbuster, dessen „Titanic“ noch immer als der
erfolgreichste Film aller Zeiten gilt.
Weil
man sich mit denen, die nicht zu besiegen sind, verbünden soll, ist „Avatar“
nicht nur eine Game-Phantasie des Kinos, sondern natürlich auch mittels
digitaler Technik und Game-Engines entstanden sowie – darauf legen die Ankündigungen
großen Wert – in wechselseitiger Abhängigkeit zum zeitgleich produzierten
„Avatar“-Game. „Avatar“ zeige endlich, „wie die Medien zusammenwachsen“, heißt
es. Hollywood habe „erkannt, dass Videospiele zum milliardenschweren Markt geworden
sind“, und mit „Avatar“ starteten nun „Film und Videospiel in ein gemeinsames
Zeitalter“. Der Witz ist, dass dieses Zeitalter seit Jahren läuft, die
Engführung von Game und Film nicht erst seit „King
Kong“,
„Matrix“ oder
den vielfältigen Engagements von George Lucas und Steven Spielberg in vollem
Gange ist und dass jeder Zwölfjährige davon weiß. Sicher nicht
zufällig sind James Camerons erste Entwürfe zu „Avatar“ vor ungefähr
15 Jahren entstanden. Schon 1993 war das Game-Interesse in Hollywood geradezu
hysterisch und meldete das Branchenblatt Variety, „interaktive Unterhaltung
“ sei „der größte Knüller der Stadt“.
Die
gute Nachricht: „Avatar“ ist immer noch um einiges klüger und angenehmer
als der depperte Hype um eine Kollaboration, die längst Geschichte ist.
Sein Selbstbewusstsein begegnet uns vielleicht zuallererst darin, wie verhältnismäßig
dezent die Dimensionalität dieses 3-D-Films eingesetzt ist. Im April 2006
hatte Cameron auf dem „Digital Cinema Summit“ in Las Vegas die Möglichkeiten
der neuen 3-D-Technik gepriesen und sein Auditorium agitiert, diese Kinotechnologie
könne dafür sorgen, „dass sich die Leute von ihren Hintern erheben
und aus ihren Häusern fort von ihren tragbaren Geräten und zurück
in die Kinos bewegen, wo sie hingehören“. Nun können wir die Umsetzung
sehen: 3-D dient hier weniger spektakulären Einzeleffekten, stattdessen
einer kontinuierlichen und so noch seltenen Konturierung und Vertiefung des
Raumes, um den es ja sowohl in Games als auch im Kino geht. Der Raum hier ist
Pandora, ein ferner Mond, dem wir Menschen ein wertvolles Mineral entreißen
wollen. Hier, in einer ungeheuer bunten Mischung aus Urwald, Pocahontas-Country,
Unterwasserwelt, Jurassic Park und einem Anime von Hayao Miyazaki, leben die
Na’vi – eine Art blauhäutige Indianer-Aristokratie, vollkommen im Einklang
mit der spektakulären Flora, Fauna und Spiritualität.
Weil
Menschen hier nicht atmen können (und weil Games für sie so wichtig
sind) ist das Mittel, dank dessen sich der gelähmte Ex-Marine Jake (Sam
Worthington) auf Pandora bewegen kann, ein sehr realer Avatar: Ein künstlicher
Na’vi (Navigation ist schließlich eine Schlüsseltechnik in Games),
den Jake mit seinem Geist belebt, um sowohl virtuell als auch körperlich
Land und Leute zu erkunden. Ausgesandt von einem Konzern, um die Vertreibung
oder Ermordung der Na’vi vorzubereiten, verliebt sich dieser versehrte John
Smith in seine neue Existenz und natürlich in die Häuptlingstochter
Neytiri (Ursprung der Animation: Zoe Saldana). Er muss sich entscheiden und
wählt Pandora, seinen Avatar und Neytiri. Im Verein mit ebenfalls bekehrten
Kollegen und Kolleginnen (darunter Michelle Rodriguez und Sigourney Weaver)
kämpfen er und die Na’vi mit Pfeil, Bogen und allem, was die Natur hergibt,
gegen die Menschen, die dort Aliens sind.
Es
macht keinen Sinn, hier den Versuch zu unternehmen, den vielen Anspielungen
dieses Films zu folgen, oder die Abenteuer Jakes auf seinem Weg aufzuzählen,
Teil der Na’vi zu werden. Von den Kontroversen mit seinen Konzern-Dienstherren,
die ihn immer wieder ins humane Jammertal zurückholen, ganz zu schweigen.
Was diesen Film ausmacht, ist auch gar nicht die eine oder andere Sensation,
sondern deren systemische Ordnung.
Merkwürdig
erfüllt sich hier das gar nicht so paradoxe Versprechen eines guten Blockbusters:
dass in den streng ökonomisch organisierten Filmwerken, deren absolute
Konzentration auf Wirtschaftlichkeit in den Anschlüssen an angrenzende
Märkte (unter anderem Games) mündet, zugleich eine irre Großzügigkeit
herrscht. „Avatar“ hat jene verschwenderische Größe, die etwa den
engstirnigen und letztlich geizigen Roland-Emmerich-Filmen fehlt. Hier herrscht
ein mal ins Kitschige, mal ins Mythische, Religiöse oder Spinnerte, mal
ins Geisteswissenschaftliche, (Film-) Historische, Kindische und Politische
explodierender Reichtum an Attraktionen und an Ideen, die uns dann auf ganz
unterschiedlichen Ebenen dessen erreichen, was man (bis wir ein besseres Wort
finden) die Erzählung nennen kann. Viele Cameron-Blockbuster, nicht zuletzt
„The Abyss“, „Aliens“ und
„Terminator
2“,
hatten diese Qualität, die „Avatar“ nun ins Absurde steigert.
Die
jüngst so beliebte Paarung von hochgradig auf digitale (Trick-)Technik
setzender Ästhetik („Die Spezialeffekte sind die Stars“) mit zutiefst technikfeindlichen
Geschichten ist darum hier keine Lösung. Obwohl der Trailer diesen Eindruck
noch erweckt hatte. Zwar zieht auch hier das Gute als Naturvolk mit einfachsten
Mitteln (Tiere, Messer, Lanzen, Pfeile) gegen eine durchtechnisierte (und wohl
schon dadurch diskreditierte) Ausbeuter-Zivilisation. Doch während in Filmen
wie Emmerichs „10.000
B.C.“
oder Zack Snyders „300“ wieder
der männliche Körper Kern und Maß aller guten Dinge sein muss,
und der archaische Technikskeptizismus im vollsten Vertrauen auf die Wirkung
digitaler Effekte herausgebrüllt wird, ist der Körper/Technik-Kampf
in „Avatar“ viel komplexer.
Erstens
kämpft der Held hier nur als Körperstellvertreter eines auf den Rollstuhl
angewiesenen Ex-Soldaten (wie viele behinderte Actionhelden gibt es überhaupt?).
Zweitens ist das Gender-Verhältnis hier wesentlich offener gestaltet (am
Ende führt Neytiri die Na’vi an, und Gott ist eine Frau). Drittens ist
die Basis des Helden und seines Kampfes zu jeder Zeit eben die avancierte Avatar-Technologie,
die allen Raumschiffen und automatischen Waffen (die Jakes Avatar übrigens
auch noch benutzt) weit überlegen ist. Auch wenn Camerons quasi-biblische
Geschichte von der Zerstörung und Rettung des Garten Eden eine ganze Reihe
einfacher Gleichungen aufmacht, sind es am Ende doch zu viele und alle wiederum
auf gar nicht so einfache Weise miteinander verbunden.
Das
Schlichte und Wahre, zu dem wir mit den Na’vi vordringen, um mit Flugechsen
wilde Sturzflüge zu erleben oder schwebende Felsen zu erklimmen, ist hier
nicht allein Folge quasiesoterischer Vereinfachung. „Besinnt euch doch!“, funktioniert
so nicht. Hingegen betreten wir mit Jake das Öko-Phantasialand von Pandora
eben nur Dank des Avatar-Programms, das man auch als das diegetische Spiegelbild
der im Kino laufenden 3D-Stereoskopie verstehen könnte. Zurück zur
Natur ist jedenfalls eine Frage der Technologie, oder: Das Game ist die Welt.
Genau
dort, weltweit, muss und will „Avatar“ funktionieren und vereint darum neben
ein paar interessanten Volten zu digitalen Medien vor allem jede Menge Kulturbrocken
aus unterschiedlichsten Teilen unseres Planeten. Jesus hat unter dem Baum der
Erkenntnis Sex mit Pocahontas und konvertiert zum Buddhismus, bevor er das Jenseits
zum Diesseits erklärt und als Drachenreiter für das totale Gleichgewicht
auf einem Mond sorgt, der eigentlich ein großer Datenspeicher ist. Sie
finden das gaga? Das kommt dabei heraus, wenn ein Blockbuster von James Camaron
das Gleichgewicht sucht und zum Glück nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner
will.
Jan
Distelmeyer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Avatar
USA
2009. R, B: James Cameron. P: Jon Landau, James Cameron. K:
Mauro Fiore. Sch:
John Refoua, Stephen Rivkin. M: James Horner. A: Rick Carter, Rob Stromberg.
Sp: Joe Letteri. Pg: Fox/Ingenious/Giant/Lightstorm Entertainment. V: Fox. L:
161 Min. FSK: 12, ff. Da: Sam Worthington, Zoë Saldana, Sigourney Weaver,
Michelle Rodriguez, Giovanni Ribisi
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