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Dieser 1958 entstandene Film markiert den Beginn und definiert gleichzeitig den Mythos der Nouvelle Vague, jener neuen Welle von Filmen aus dem Lager der Kritiker der Zeitschrift „Cahiers des Cinéma“. Neben Godard sind die berühmtesten Vertreter Jacques Rivette, François Truffaut, Eric Rohmer, Claude Chabrol. Und wie es bei neuen Wellen nun einmal läuft, läßt die heutige Filmpraxis dieser Regisseure kaum noch die Gemeinsamkeiten erkennen, die sie damals verbanden.
„Außer
Atem“ ist insofern ein paradigmatischer Nouvelle-Vague-Film, als er wie kaum
ein zweiter deutlich macht, was diese Generation von ihren Vorgängern unterscheidet.
Schon als Kritiker hatten sie mit Konventionen gebrochen, hatten eine neue emphatische,
von Emotionen und Bekenntnissen bestimmte subjektivistische Schreibweise in
ihre Rezensionen eingeführt, die sich nicht in die Pseudo-Objektivität
klassischen Feuilletons flüchtet, sondern (darin auch Wegbereiter des Rockjournalismus)
auch Theoretisches und Intellektuelles direkt aus den Quellen des Fantums speist.
Die Filmemacher der Nouvelle Vague hatten einen Begriff vom Kino, seinen formalen
Wirkungsweisen, seinen Produktionszwängen, seiner Ästhetik, bevor
sie selber anfingen, Kino zu machen. Aber ein Godard wußte auch, daß
man seine eigenen Filme nicht drehen kann, wie die, die einem die Lust zum Filmemachen
gemacht haben.
Der desperate,
aber charmante Gangster Belmondo (er war nie wieder so gut wie hier) verliebt
sich in die amerikanische Studentin Jean Seberg. Sie ist eine frühe Verkörperung
der nachdenklichen modernen Frau: so kurzhaarig wie schön. „Es ist alles
so kompliziert“, sagt sie einmal. Oder sie fragt den pragmatischen Kriminellen
Belmondo: „Kennst du Faulkner?“ – Kennt er natürlich nicht. Er liebt sie
und will mit ihr schlafen. Aber sie ist nun mal kompliziert. Also kurvt er mit
ihr durch Paris, Situationen schaffen. Da verliebt es sich besser. Gemeinsam
Autos klauen: der Kitzel der Gefahr. Man sucht Belmondo wegen Mord. Und die
permanente Flucht, die schnellen eleganten, ständig wechselnden Autotypen
schaffen das ideale Szenario der wild-nachdenklichen Großstadtliebe. Die
Kamera ist außer Atem, andauernd, aber ohne zu schwitzen, Paris leuchtet
von allen Seiten und die vielen jungen hübschen Existentialisten-Mädchen
parlieren auf den Boulevards. Die Intellektuellen und die Halbwelt tauschen
sich in Cafés aus. Jean Seberg interviewt als junge Journalistin, eifrig
und klug, einen amerikanischen Schriftsteller hinter Ray.Ban-Sonnenbrillengläsern
auf der Flughafenterrasse von Orly. Gespielt wird er von keinem anderen als
dem genialen, amerikanophilen Regisseur Jean Pierre Melville. „Außer Atem“
endet tragisch, tödlich. Aber auch diese Ende ist ein fetischistisches
Requisit des Cineasten Jean Luc Godard der Jahre 58/59.
Klar,
dass jede heutige Rezeption dieses Films, der jetzt [3/1981- die
fz-Redaktion]
wiederaufgeführt wird, von der Freude an der stimmig und geschlossenen
Vermittlung eines bestimmten, heute bereits romantisierten Zeitgeists bestimmt
wird. Aber „Außer Atem“ zeigt auch, wie die kreative Aneignung der Filmgeschichte
bei Godard Voraussetzung für seine späteren Innovationen war. Truffaut
etwa, dessen Cinephilie von Anfang an einen etwas literarischen Beigeschmack
hatte und der sich auch für die Bergmans dieser Welt stets begeistern konnte,
hat bis heute nicht die Souveränität erreicht, mit der Godard bei
diesem seinen ersten abendfüllenden Spielfilm Kino auseinandernimmt und
wieder zusammensetzt: Verbrechen und Liebe als Inhalte demontiert, bzw. aktualisiert.
Liebe als Liebesgeschichte, aber auch als pure Bewegung im Auto. Die Jungs kommen
aus dem Kino und schwärmen von Jean Seberg und die Mädchen von Jean
Paul Belmondo. Und die Intellektuellen gehen ins Kasino. Begeisterung und Begreifen
verschmelzen.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Sounds 3/1981
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Außer
Atem
(Å
bout de souffle)
Frankreich
1960, 87 Minuten
Regie:
Jean-Luc Godard
Drehbuch:
Jean-Luc Godard, François Truffaut
Musik:
Martial Solal
Kamera:
Raoul Coutard
Schnitt:
Cécile Decugis, Lila Herman
Ausstattung:
Claude Chabrol
Darsteller:
Jean-Paul Belmondo (Michel Poiccard alias Laszlo Kovacs), Jean Seberg (Patricia
Franchini), Daniel Boulanger (Polizeiinspektor), Jean-Pierre Melville (Parvulesco),
Henri-Jacques Huet (Antonio Berrutti), Van Doude (Journalist), Claude Mansard
(Claude Mansard), Jean-Luc Godard (Informant), Richard Balducci (Tolmatchoff)
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