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Aushilfsgangster
Brett Ratner gelingt in "Aushilfsgangster" mit den Mitteln des populären Genrefilms eine Verdichtung der aktuellen Finanzkrise.
Benjamin Franklin füllt die Leinwand. Die Kamera
fährt zurück, bis der Hundertdollarschein mit dem Konterfei des amerikanischen
Gründungsvaters die gesamte Leinwand füllt. Doch damit nicht genug,
je weiter sich die Kamera vom Gegenstand entfernt, umso klarer wird: Das Geld
ist kein Geld,
sondern der Grund eines Swimming Pools, der sich seinerseits – die Kamera fährt
immer weiter – auf dem Dach eines Hochhauses befindet, mitten in der City von
New York, umringt, wie die Kamera am Ende ihrer langen Fahrt in der Totalen
einer urbanen Postkarte zeigt, von zahllosen weiteren solcher Hochhäuser,
auf denen Reichtum womöglich ähnlich dekadent zur Schau gestellt wird.
Nicht nur der Fetisch Geld wird hier verhandelt, sondern auch der obsolete Charakter der einzelnen
Banknote, zumal im Wert von läppischen 100 Dollar, im Zeitalter des computergestützten
Super-Kapitalismus, in dem Millionen- und Milliardenbeträge als elektronisches
Signal in Sekundenbruchteilen um den Globus jagen: Bargeld, eine nostalgische
Referenz an frühere Zeiten. Und obwohl es in "Aushilfsgangster"
unentwegt um Geld geht, wird es wohl kein Zufall sein, dass es in seiner konkretesten
Manifestation, dem Bargeld, gar nicht mehr auftaucht.
Das Hochhaus, um das es geht, ist ein prunkvolles Wohlstandsgetto, ein Wohnhaus
für Superreiche, deren Komfort eine wahre Armada sozial Prekarisierter
besorgt: Eine atemberaubend rasante Exposition, die die jeweiligen Enden des
Wohlstandsgefälles durch exakte Montage und "Walk and Talk"-Kamerafahrten
auf einem sich zusehends zusammenschnürenden Raum verdichtet, macht schlussendlich
deutlich, dass sich zwischen Goldpalast und den Hinterzimmern des Neoliberalismus
oft nur eine Tür befindet, die zu durchschreiten aber ein Privileg bleibt.
Etwa für Josh Kovacs (Ben Stiller), der als zwar gestrenger Teamchef der
Arbeitskohorte nicht nur ein Herz aus Gold, sondern auch ein beeindruckendes
Gedächtnis für die Wünsche, Sorgen und Vorlieben seiner Kunden
parat hat. Von seinem vollgeräumt schmucklosen
Zuhause aus (in dem die Träume der Mittelklasse
auf etwas häusliches Glück schon längst von Bügelbrett und
aufgehängter Wäsche verdeckt werden) spielt er über das Internet
mit seinem reichsten Kunden, dem Penthouse- und Hundert-Dollar-Swimming-Pool-Besitzer
Arthur Shaw (Alan Alda, einmal mehr als beeindruckend schmieriges Aas), Schach.
Es ist eine Art freundschaftlicher Nähe, die auf der strikten räumlichen
Trennung der Sphären zwischen absteigender Mittelschicht und Kapital akkumulierender
Oberschicht beruht.
Doch Shaw hat es, allen demonstrativen Fraternisierungsritualen mit dem Personal
und jovial-entspannten Gesten zum Trotz, in sich: Wie sich bald erweist, verschleppt
der Finanzjongleur seit Monaten eine katastrophale Insolvenz, in die zu allem
Unglück auch die Altersvorsorge des Personals einbezieht, die Kovacs –
ohne deren Wissen, aber nur mit besten Absichten – Shaw anvertraut hat. Als
sich abzeichnet, dass Shaw mit rechtlichen Mitteln kaum mehr beizukommen ist
und überdies ein dickes Millionenpaket in der Bilanz schlicht und ergreifend fehlt, verbrüdert
sich Kovacs mit einem für einen Einbruch recht unwahrscheinlichem Team
von Kollegen und anderen Finanzkrisenverlierern, darunter Kovacs’ schwerkriminellem
Nachbarn Slide (Eddie Murphy), um sich in Shaws Penthouse-Festung auf eigene
Faust nach dem Verbleib der Millionenpakete umzusehen.
"Aushilfsgangster" ist in der ersten Hälfte
am stärksten und zeigt, wie präzise das amerikanische Kino immer noch
Zeitgeschehen ins Bild setzen kann. Der Film beginnt als räumliche und
figurative Verdichtung der Finanzkrise so konzentriert und ökonomisch wie
einige der Qualitätsfernsehserien der letzten Jahre, nur um sein Potenzial
dann doch nicht auszuschöpfen, wenn der Film zur von Plot- und Logiklöchern
durchsetzten Komödie im Heist-Movie-Gewand ausfranst (die, das soll nicht
unerwähnt bleiben, überdies zu einem eigentümlichen Rassismus
neigt). Die Promokampagne zum Film scheint es indessen genau anders herum zu
sehen: Hier werden vor allem Jux und Dollerei beim unwahrscheinlichen Bruch
in den Wohlstandskäfig betont, Hinweise auf die brisante Bildpolitik der ersten
Spielfilmhälfte fehlen fast schon auffällig.
Dennoch hoch anrechnen muss man diesem sonderbar zweigeteilten
Film, dass er den massenhaften Verlierern der Finanzkrise ein Gesicht verleiht:
Ganz buchstäblich geschieht dies im Fall des gutmütigen Türöffners
Lester (Stephen Henderson), der ein bisschen wie das Echo seines Kollegen aus
Murnaus "Der letzte Mann" wirkt: Kurz vor seiner Pensionierung steht
Lester, der seine gesamten Ersparnisse Shaw anvertraut hat, vor dem Elend umfassender
Altersarmut. In einer zentralen, melodramatischen Szene des Films sehen wir
Lester auf dem Nachhauseweg im U-Bahnhof: Die Kamera ruht für einen Hollywoodfilm
ein oder zwei Herzschläge zu lang auf seinem Gesicht, in dem Freundlichkeit
einer hoffnungslosen Ausdruckslosigkeit gewichen ist. Die U-Bahn fährt ein, Lester tritt
direkt ans Gleisbett – den letzten Schritt erspart einem der Schnitt. Ein sicher
leicht ins Kitschige spielender Moment, der einem aber schlagartig ins Gedächtnis
ruft, dass hinter den Zahlenkolonnen, die man in den letzten Jahren zur Finanzkrise
lesen konnte, Einzelschicksale verschwinden.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen in:www.perlentaucher.de
USA 2011 – Originaltitel:
Tower Heist – Regie: Brett Ratner – Darsteller:
Ben Stiller, Eddie Murphy, Matthew Broderick, Casey Affleck, Téa Leoni,
Michael Peña, Alan Alda, Gabourey Sidibe, Judd Hirsch, Juan Carlos Hernández,
Marcia Jean Kurtz, Danielle McKee – Start: 3.11.2011
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