zur startseite
zum archiv
zu den essays
Auf
der sicheren Seite
Angst
vor drinnen und draußen
Gated
Life: Lukas Schmid und Corinna Wichmann erzählen in ihrem ausgezeichneten
Dokumentarfilm "Auf der sicheren Seite" von drei abgeschotteten Lebensräumen
In
einer perfekten Welt wären es Dokumentarfilme und nicht 3-D-Spektakel,
mit denen man das große Geschäft an der Kinokasse machen könnte.
Nicht weil es per se die besseren Filme sind, sondern weil man als Zuschauer
viel sicherer sein kann, sein Ticketgeld in etwas Sinnvolles investiert zu haben.
So eignet noch der schlechtesten Dokumentation ein Nachrichtenwert. Ein guter
Dokumentarfilm aber leistet das, woran Spielfilme oft scheitern: neue Perspektiven
auf einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt zu eröffnen und gleichzeitig
darüber hinauszuweisen.
Auf
der sicheren Seite
ist dafür das beste Beispiel. Lukas Schmid und Corinna Wichmann stellen
darin drei kleine, abgegrenzte Orte vor, die man zunächst als Randphänomene
abqualifizieren will. Doch am Ende lässt sich aus den limitierten Einblicken
nicht weniger als eine Diagnose über die gesellschaftlichen Zustände
in Südafrika, Indien und den USA gewinnen.
Bei
den drei Orten handelt es sich um so genannte Gated Communities, um privatisierte
Stadtviertel, die sich durch alles, was heute so zum Wachschutz gehört,
von außen abschirmen. In Dainfern bei Johannesburg, der ersten Station
des Films, scheinen die Bewachungsvorkehrungen martialischer als in einem Spezialgefängnis:
Doppelmauer, Kameras, Starkstrom. Jeder, der hineinkommt, muss sich mit Magnetkarte,
Code oder, wie der Großteil der schwarzen Bediensteten, mit Fingerabdruck
ausweisen. Jeder wird beim Eintritt fotografiert. Als eine der Bewohnerinnen
erzählt, dass ihr Mann, ihr Lebensgefährte und zuletzt ihre beste
Freundin bei Überfällen zu Tode kamen, kann man die sich hier manifestierende
Angst etwas nachvollziehen.
Perfekt
abgeschirmt
Wichmann
und Schmid lassen vor ihrer Kamera die reichen Weißen „drinnen“ und die
armen Schwarzen „draußen“ ihre Heime anpreisen. Beide Seiten tun das mit
ähnlichem Stolz, und diese Ähnlichkeit lässt die Unterschiede
in ihrem grotesken Ausmaß um so deutlicher hervortreten: hier die Villen
mit Designermöbeln, dort die Blechhütten ohne Kanalisation. Ob der
inhärenten Brutalität dieses sozialen Gefälles stockt einem der
Atem.
Die
Ungleichheit dürfte in Bangalore, Indien, der zweiten Station des Films,
kaum weniger krass sein. Und doch scheint hier eine andere soziale Dynamik am
Werk. Der erfolgreiche IT-Geschäftsmann, an dessen Fersen sich die Filmemacher
heften, betrachtet sein Luxusleben hinter Mauern als ein Ideal, das anzustreben
sich für alle Inder lohnen würde. Sein Alltag erweist sich denn auch
nicht als abgeschirmt: Das morgendliche Schwimmen im Privatpool erfrischt ihn
für einen Tag des Kampfes für eine bessere Infrastruktur und ein modernisiertes
Indien, das über Wirtschaftswachstum das Leben aller Bewohner verbessern
könnte.
Vielleicht
war auch Stacey einst ein Weltverbesserer. Heute versucht er sein Rentnerdasein
in einer Gated Community bei Las Vegas zu gestalten, wobei er bedauert, dass
die Abschottung soziale Isolation mit sich bringt. Das Kontrollbedürfnis
scheint sich hier nach innen gekehrt zu haben: Nachbarschaftspatrouillen überwachen
die korrekte Bepflanzung der Vorgärten, jedes offen stehende Garagentor
wird abgemahnt und wer sein Auto auf der Straße parken will, soll besser
gleich woanders hinziehen. Beiläufig bringt dieser Film so die paranoiden
Kräfte, die in der US-amerikanischen Gesellschaft heute am Wirken sind,
auf den Punkt. Aber leben wir Europäer nicht alle auf die ein oder andere
Weise bereits in einer Gated Community?
Barbara
Schweizerhof
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: Freitag
Auf
der sicheren Seite
Deutschland
2009 – Regie: Corinna Wichmann, Lukas Schmid – Darsteller: Brenda, Mr. Misra,
Stacy Standley, Gerald Plots – FSK: ohne Altersbeschränkung – Länge:
80 min. – Start: 29.4.2010
zur startseite
zum archiv
zu den essays