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Asterix
erobert Rom
Der
Klassiker des gallischen Zeichentrickfilms
Es
gab einmal eine Zeit, man schrieb circa 1975 Jahre nach Christus, da war die
ganze europäische Comic-Kultur von den übermächtigen amerikanischen
Marktführern beherrscht. Die ganze europäische Comic-Kultur? Nein,
denn auf dem frankophonen Terrain gab es ja noch Hergé, der mit seinem
abenteuerlustigen Weltenbummer-Gespann Tim und Struppi Millionen Leser in seinen
Bann schlug. Vor allem aber gab es Asterix, jenen kleinen Gallier, der sich
seit seiner Erschaffung 1959 schnell auf den Weg machte, eine heroische Ikone
der Popkultur zu werden. Und das mit Recht: Die Konzeption der Serie war ein
genialer Kniff. Die Asterix-Geschichten, die zunächst in der Zeitschrift
Pilote, ab 1961 dann in seither über 30 eigenständigen Bänden
erschienen, zelebrierten den Comic als eigenständige Kunstform, als pokulturelles
Amalgam, das die Stärken gleich mehrerer Medien in sich vereinigte. In
der fiktiven Welt des Jahres 50 vor Christus spiegelten sich die Themen der
Gegenwart, die Serie bot slapstickhaften Witz, charmantes Lokalkolorit und eine
zunehmend ausgefeilte visuelle Bildersprache. Vor allem aber – und das machte
sie zu einer Spielwiese der Intellektuellen – hatte sie zahlreiche bildungsbürgerliche
Anspielungen im Gepäck, durch die sich der Asterix-Kosmos im Laufe der
Jahre zu einem ausufernden Trivialepos entwickelte. In ihm beanspruchte die
Popkultur die Deutungshoheit über die Hochkultur. Womöglich hat nichts
anderes das Bild von historischen Figuren wie Julius Cäsar und Kleopatra
mehr geprägt als die Geschichten von René Goscinny, der die Asterix-Stories
bis zu seinem Tod textete, und Albert Uderzo, der sie zeichnerisch zu Papier
brachte, und womöglich kennt man mehr lateinische Redewendungen und historische
Daten aus Asterix als aus den trockenen Lektionen des Schulunterrichts.
In
gewisser Weise bot Asterix all das, was drei Jahrzehnte später Matt Groenings
US-Zeichentrickserie The Simpsons zum globalen Erfolgsrezept ausweitete: die
Zusammenführung unterschiedlichster Publikumsschichten vom Kleinkind bis
zum Erwachsenen, einhergehend mit einer Doppelkodierung in Text und Subtext.
Die mediale Geschichte verlief in beiden Fällen allerdings entgegengesetzt:
Während die Simpsons ihren Weg vom Bildschirm später auch in die Comics
fanden, lernte Asterix erst nach dem großen Print-Erfolg auch in bewegten
Bildern das Laufen. Der Zeichentrickfilm „Asterix der Gallier“ wurde 1967 ohne
Mitwirkung von Goscinny und Uderzo produziert, die erst nach seiner Fertigstellung
überhaupt von dem Projekt in Kenntnis gesetzt wurden. Die Regie der noch
sehr ungelenk animierten Adaption des ersten Comic-Albums übernahm der
Belgier Ray Goossens. Der Erfolg war respektabel, doch gerade in Deutschland
beklagte man den mangelnden Wortwitz der synchronisierten Dialoge (weshalb 1984
eine Neuvertonung mit den Sprechern Frank Zander und Günter Pfitzmann angefertigt
wurde). Nur ein Jahr später, 1968, folgte „Asterix und Kleopatra“, diesmal
inszeniert von Goscinny und Uderzo selbst sowie von Lee Payant, der in der französischen
Originalfassung auch die Titelrolle sprach. Im Vergleich zum Vorgänger
war der kreative Fortschritt enorm, was sich in verbesserten, lebendigeren Zeichnungen
und vor allem in drei charmanten Lied-Sequenzen zeigt, die schnell Eingang in
den popkulturellen Konversationsschatz fanden. Trotz des großen Erfolges
an der Kinokasse dauerte es danach volle acht Jahre, bis sich die beiden geistigen
Väter von Asterix und seinem gemütlich-gefräßigen Freund
Obelix an die Realisation eines dritten Kino-Abenteuers machten. Dafür
gründeten sie das eigene Trickfilmstudio Idéfix – wortspielerisch
eine „fixe Idee“ –, in dem zeitweise bis zu 60 Zeichner arbeiteten.
„Asterix
erobert Rom“, im Original „Les Douzes Travaux d’Asterix“ („Die zwölf Arbeiten
des Asterix“), der Film, der dabei herauskam, nimmt bis heute eine Sonderstellung
in der Historie der Gallier-Saga ein: Im Unterschied zu allen anderen Filmen,
die sich zumindest in großen Teilen auf vorher veröffentlichte Comic-Geschichten
beziehen, beruht er auf einem Original-Drehbuch von Goscinny und Uderzo. Eine
27seitige Nacherzählung der Handlung von Uderzos Bruder Marcel erschien
kurz nach der Film-Premiere als Fortsetzungsgeschichte in mehreren französischen
Zeitungen, wurde seither aber nicht wieder zum Nachdruck freigegeben. Der Film
war der letzte, an dem René Goscinny noch mitarbeitete. Sein früher
und überraschender Tod durch einen Herzinfarkt zerstörte im Jahr 1977
jäh alle Hoffnungen, aus dem Studio Idéfix eine französische
Trickfilm-Kaderschmiede nach dem Vorbild der amerikanischen Disney-Studios zu
machen. 1978 wurde es aufgelöst, ein Jahr später rief Uderzo das Unternehmen
„Les Editions Albert René“ ins Leben und bündelte darin alle Asterix
betreffenden Rechte in einer Hand. Seither setzte er die Comic-Reihe alleine
fort – ein Entschluss, der von Fans und Kritikern zunächst begrüßt,
später indes mit zunehmender Vehemenz beklagt und als kapitaler Fehler
eingestuft wurde. Immer langweiligere und uninspirierte Geschichten machten
schnell deutlich, dass Goscinny als Texter nicht ohne Weiteres zu ersetzen war.
Spätestens ab den 1990er Jahren war die Serie nur noch ein fahler Abglanz
ihrer selbst, bis sie nach der Jahrtausendwende sogar in die Nähe der Selbstdemontage
geriet. Speziell die beiden Comic-Alben „Asterix und Latraviata“ (2001) und
„Gallien in Gefahr“ (2005) wurden bei Fans wie Kritikern mit einer verheerenden
Mischung aus Unverständnis, Empörung und Enttäuschung rezipiert.
1976
war davon freilich noch nichts zu spüren. Mit „Obelix GmbH & Co.KG“
war gerade einer der Höhepunkte der Reihe erschienen – und als „Asterix
erobert Rom“ im selben Jahr nach langem Warten seine Premiere feierte, konnten
sich Goscinny und Uderzo über einen doppelten kommerziellen wie kreativen
Erfolg freuen. Mit über sieben Millionen Kinozuschauern wurde der umjubelte
Film in Deutschland der erfolgreichste des Jahres – ein Triumph, den heute manch
ein Fan als vertane Chance auf einen würdigen Abschluss der populären
Saga betrachtet. Tatsächlich gibt es dafür nicht nur produktionsbedingte,
sondern auch inhaltliche Gründe, wagt doch die Handlung einen Ausbruch
aus dem erzählerischen Endloszirkel der Comics: Am Ende sind die unbezwingbaren
Gallier die Herren von Rom und Dauer-Widersacher Julius Cäsar dankt ab
zugunsten eines arkadischen Rentnerdaseins an der Seite des treusorgenden Hausfrauenliebchens
Kleopatra. Doch wie nur konnte es überhaupt soweit kommen?
Die
Geschichte setzt ein mit einer gepflegten Bambule, die vor den Toren des kleinen
Küsten-Dorfes in Aremorika den gewohnten Verlauf nimmt: Die Römer
werden gehörig verdroschen, zum x-ten Mal – und sehr zum Unmut des erfolgsverwöhnten
römischen Imperators. Um dem Treiben ein für allemal ein Ende zu bereiten,
begibt sich Cäsar selbst in die ferne Provinz und unterbreitet seinen Rivalen
einen Wettvorschlag: Nach dem Vorbild der berühmten Arbeiten des Herkules
sollen sich Asterix und Obelix zwölf eigens für sie ersonnenen Prüfungen
unterziehen. Gehen sie aus allen siegreich hervor, beugt sich der Diktator dem
Willen der Götter, versagen sie aber, müssen sich die Aufmüpfigen
dem Willen Roms unterwerfen. In Begleitung des unbestechlichen Schiedrichters
Gaius Pupus machen sich die beiden Helden auf den Weg, bezwingen nacheinander
den griechischen Marathonläufer Merinos, den persischen Speerwerfer Kermes
und den teutonischen Judoka Bombastik. Danach widerstehen sie den dekadenten
Verlockungen auf der Insel der Freude und dem hypnotischen Blick des ägyptischen
Magiers Isis, vertilgen alle Mahlzeiten des Titanen-Koch Mannekenpix und überstehen
den Gang in die Höhle einer ominösen Bestie. Die nächsten Herausforderungen
warten in der bürokratischen Hölle einer Verwaltungspräfektur
sowie einer krokodilverseuchten, von einem unsichtbaren Seil überspannten
Schlucht. Nachdem sie in den schwindelerregenden Höhen eines Berggipfels
die Quizfrage eines ehrwürdigen Greises richtig beantwortet und eine Nacht
auf einem Gespenster-Umschlagplatz verbracht haben, führt sie die letzte
Prüfung ins römische Kolosseum. Mit Hilfe ihrer zugereisten Dorf-Freunde
verwandeln sie die Arena in ein Tollhaus. Cäsar gibt sich geschlagen, die
Helden sonnen sich im Glanz ihres Triumphs. Damit ist der Kampf zu Ende: Ganz
Rom ist nun von den Galliern besetzt.
„Asterix
erobert Rom“ zeigt Goscinny und Uderzo auf der Höhe ihrer Kunst. Der Plot
ist höchst vergnüglich und läuft mit bewundernswerter Ungezwungenheit
ab; an autoreflexiven Durchbrechungen der fiktiven Geschichte fehlt es ebenso
wenig wie am bekannten Sprachwitz. Leider leistet sich die im Großen und
Ganzen vorzügliche Synchronfassung von Heinrich Riethmöller, die in
bester Tradition des langjährigen Comic-Übersetzerteams Gudrun Penndorf/Adolf
Kabatek steht, einige Unschärfen. So wird zum Beispiel der Umstand, dass
die Freunde nach der elften Aufgabe auf der Ebene der Toten einschlafen und
am nächsten Tag in Rom erwachen, von Asterix im Original mit der Erklärung
bedacht, in Zeichentrickfilmen sei nun mal alles möglich. Der deutsche
Text, der auf die Schnelligkeit der römischen Städtebauer verweist,
versucht offenbar auf das Sprichwort „Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut“
abzuzielen, bleibt aber letztlich hinter dem saloppen Charme des Originals zurück.
Die
Exposition des dritten Asterix-Films knüpft an den klassischen Prolog der
Comics an, mit direkter Ansprache des Publikums, geographischer Gallienkarte
und der Vorstellung der berühmten Dorfbewohner. Danach nimmt das humoristische
Spiel mit Versatzstücken aus zweitausend Jahren menschlicher Kulturgeschichte
seinen Lauf: Merinos, der gelockte Läufer, stammt aus Marathon und heißt
wie eine Schafrasse, Kermes wirft seinen Speer nach Amerika und entfacht dadurch
eine Indianerprügelei, in die auch Uderzos und Goscinnys Comic-Schöpfung
Umpah-Pah verwickelt ist. Es ist ein vergnügliches Jonglieren mit den Kenntnissen
des Zuschauers, den blauäugig-blonden Teutonen Bombastik, der zu preußischer
Marschmusik hackenschlagend-salutierend in die monumentale Arena einzieht, als
Karikatur des deutschen Militarismus anzulegen; ebenso, die tanzenden Freuden-Priesterinnen
mit ihren musizierenden Tiergefährten als disneyesken Nachhall der odysseeischen
Sirenen zu präsentieren. „Das hier ist ein ganz müder Laden“, brabbelt
Obelix in dieser Kitsch-Szenerie missgelaunt – und offenbart damit einen spitzzüngigen
Scharfblick, der der Comicreihe in späteren Jahren mehr und mehr abhanden
kommen sollte. (Erwähnt werden muss hier auch die Episode mit der an klassische
Geisterbahnszenarien erinnernde Bestie, die Obelix kurzerhand verspeist – ein
Umstand, den die deutsche Fassung leider ins Spekulative abmildert.)
In
punkto Situationskomik ist „Asterix erobert Rom“ derart überladen von skurrilen
Bildeinfällen, dass es schwer fällt, aus der Über-Fülle
einige auszuwählen: Sicherlich dazu zählen die überrumpelten
Krokodile, die wippend auf dem unsichtbaren Seil „dadi-dadi-dadooo“ singen,
der mit Scheinwerferaugen ausgestattete Hypnosepriester („Mit den Guckerchen
kannst Du nachts im Bett lesen!“) und der Ehrwürdige des Gipfels, der eine
knifflige Rätselfrage zu einer Persiflage auf moderne Waschmittelwerbung
geraten lässt.
Liebesgöttin
Aphrodite, die nicht nur so aussieht wie Brigitte Bardot, sondern sich auch
wie diese in Godards Kino-Ode „Die
Verachtung“
(„Les Mépris“, 1963) nackt auf flauschigem Untergrund räkelt, bezeugt
das Spektakel von einer Wolke aus. Kenner der Filmgeschichte wissen, dass es
in besagtem Klassiker der Nouvelle Vague sinnigerweise um Dreharbeiten zu einem
Odysseus-Film geht.
Mehr
noch als diese Szenen hat sich das inzwischen bereits sprichwörtlich gewordene
Haus, das Verrückte macht, ins kollektive Gedächtnis eingebrannt –
nicht zuletzt dank der absolut bizarren Dialoge im Geiste der Bürokratie-
und Beamtensatire. Die Verständigungsprobleme mit dem schwerhörigen
Pförtner („Eintragung einer Galeere? Wenden Sie sich an die Hafenkommandantur!“),
die Suche nach dem Passierschein A-38 und das Herumirren zwischen Schaltern
und Stockwerken, Stiege K und Korridor W, zählen zum Komischsten, was das
Zeichentrick-Genre je hervor gebracht hat. Gerade in diesen Momenten erreicht
der Film die surreale Qualität der etwa gleichzeitig realisierten Monty-Python-Sketche:
Die völlig widersinnige Einrichtung einer „Koordinationsabteilung des Zukunftsarchivs“
spricht für sich, ebenso wie der neben einem Schalter aufgemalte Wegweiser,
der schlichtweg vier Pfeile zeigt, die ein Quadrat beschreiben. Der nicht enden
wollende Irrsinn bekannter M.C.-Escher-Graphiken lässt herzlich grüßen.
„Asterix
erobert Rom“ kennt keine Scheu vor völlig absurden Anachronismen. In der
Höhle der Bestie werden Asterix und Obelix für wenige Sekunden in
die Pariser U-Bahn-Station „Alesia“ transportiert, benannt nach dem Ort der
berühmten Schlacht im Jahr 52 vor Christus, bei der Cäsars Heer die
Besetzung der gallischen Provinz besiegelte. Ein assoziativ eingeflochtenes
Schreckbild, das Lesern des Bandes „Asterix und der Avernerschild“ bestens vertraut
sein dürfte. Marcus Junius Brutus wiederum, Cäsars Adoptivsohn und
späterer Attentäter, setzt sich gleich zu Beginn des Films mit einem
Messer selbst außer Gefecht: Die berüchtigten Iden des März
ziehen blut- und bedeutungslos vorbei, die Fiktion triumphiert über die
Geschichte.
Fest
steht: Wie zahlreiche seiner gedruckten Geschichten lädt auch Asterix’
drittes Leinwandabenteuer ein zur steten Wiederbesichtung. Der Humor ist zeitlos
und wird auch künftigen Zuschauergenerationen vermitteln, was für
ein Spaß das damals war mit Asterix im Jahre 1976 nach Christus – selbst,
wenn es die neueren Comic-Bände nicht mehr tun.
Christian
Heger
Asterix
erobert Rom
(Les
Douzes Travaux d’Asterix)
Frankreich
1976 – Regie: René Goscinny, Albert Uderzo, Pierre Watrin – Drehbuch:
René Goscinny, Albert Uderzo, Pierre Tchernia – Musik: Gerald Calvi –
Umsetzung: Pierre Watrin, Henri Gruel – Toneffekte: Henri Gruel – Produktion:
Georges Dargaud, René Goscinny, Albert Uderzo – Gesamtleitung: René
Goscinny, Albert Uderzo – deutsche Sprecher: Hans Hessling (Asterix), Edgar
Ott (Obelix), Arnold Marquis (Miraculix), Wolfgang Völz (Majestix), Siegfried
Schürenberg (Julius Cäsar) – Synchronregie: Heinrich Riethmöller
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