zur startseite
zum archiv
zu den essays
A Spell To Ward Off the Darkness
Knallt nicht schlecht auf der Tonspur
Dunkelblau in Schwarz ruht der See. Die Kamera ruht aber nicht, sondern schwenkt von der einen Seite zur andern und wieder zurück. Erst Naturgeräusche, dann immer stärker anschwellender Gesang in nordischer Sprache. Draußen, Nacht: Keine Menschenseele zu sehen. Natureingang nennt man so was in der Mittelalterpoetik. Der Film geht dann anderswo hin, bevor er wieder zurückkommt, um dann erst recht ganz woanders hin abzubiegen, aber seinen Ausgang nimmt er in der Versenkung in tiefste Natur; einer Versenkung, die sich bis zuletzt nicht vergisst.
Ein Kommen, ein Gehen, ein Biegen, Ahnungen von Magie. Zunächst aber Menschen. Eine Kommune im Wald, sie bauen etwas, sie sitzen herum, sie liegen im Bett, sie springen aus der Sauna ins Badewannenwasser, sie sprechen über die Möglichkeit von Gemeinschaft, einer erzählt von einer Art Orgie, bei der jeder seinen Finger in eines anderen Arsch steckte und also auch jeder eines anderen Finger im eigenen Arsch stecken hatte. Freundliche Hippies, nackt. Mal gibt eine dem Säugling die Brust, mal folgt die Kamera einem Rücken durch einen Pfad im Grünen. Bevor man mehr erfährt – warum sind die da, leben die so, ist das auf Zeit oder ein Dauerzustand? -, bevor man sich in die Gespräche, das Herumsitzen so recht eingegroovt hat, bevor man also selbst, als Gast jedenfalls, die Chance hat, Teil der Gruppe zu werden, ist es vorbei. Ein Mann, den man sah, der aber nicht dazuzugehören schien, ein Schwarzer mit wucherndem Bart, geht davon, hinaus, die Kamera folgt, eine kurze Schwarzblende mit Lichttriangel als Kapiteltrenner, mit der Kommune ist Schluss.
Man erfuhr nicht die Namen der Mitglieder der Gemeinschaft, man erfährt nicht den Namen des Mannes, der jetzt allein im Wald unterwegs ist und dann auf den See hinausrudern wird. Es regnet ganz doll, das knallt nicht schlecht auf der Tonspur. Moose, Pilze, Felsspalt: volles Rohr Wald und Natur. Dazwischen: Fotos aus Magazinen, postapokalyptisch verloren wie Zeugnisse aus einer anderen Welt. Finstere Nacht, der Mann macht ein Feuer, eine brennende Hütte, Licht und Hitze tosen im Dunkeln. Schwarzblende, Lichttriangel, Ende dieses Kapitels.
Derselbe schwarze Mann, jetzt endgültig identifizierbar als Protagonist, steht mit Bass oder Gitarre auf einer Bühne, im Gesicht weiße Farbe. Im Abspann kann man lesen: Er wird gespielt von (und/oder ist) Robert Aiki Aubrey Lowe, der tatsächlich Musiker ist und unter dem Künstlernamen Lichens auftritt.
Musik wie die, die nun folgt, macht er im richtigen Leben jedoch eher nicht. Das brettert los und spätestens am Gesang ist es als Black Metal zu erkennen. Auf der Bühne etwa eine Handvoll Männer, die Kamera mitten unter ihnen, sie bewegt sich fast dokumentarisch, lange, einige Songs lang, die brettern und brettern, recht spät kommt aber doch ein Publikum in den Blick. Und siehe da, man erkennt ein paar Gesichter aus der Hippie-Kommune. Nicht mehr als das, ein bisschen Headbangerei zur Musik. Nach einer recht langen Weile ist es damit auch vorbei. Der schwarze Mann/Protagonist/Lowe schminkt sich ab, geht raus in die Stadt, ans Wasser, ins Dunkle. Bis es ganz schwarz wird.
Einen Zauber zur Abwehr der Dunkelheit verspricht der Titel. Mächte des Lichts und der Finsternis sind im Spiel. Licht ist in der Gemeinschaft der Menschen, Licht ist aber auch das Feuer, das die Hütte inmitten des Waldes verzehrt. Aus dem Dunklen kommt, ins Dunkle geht der Film; ein Film ohne Vorschrift, eine Meditation, mit Naturlärm, Finger im Arsch und Black-Metal-Krach. Schön, leise, laut, rätselhaft.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
A Spell to Ward Off the Darkness
Frankreich, Estland, Deutschland 2013 – 95 Min. – Regie: Ben Rivers, Ben Russell
– Drehbuch: Ben Rivers, Ben Russell – Produktion: Julie Gayet, Indrek Kasela,
Nadia Turincev – Kamera: Ben Rivers, Ben Russell – Darsteller: Robert Aiki Aubrey
Lowe
zur startseite
zum archiv
zu den essays