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As I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty

 

Fragmente des Paradieses

 

Jonas Mekas’ Film „As I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty“

 

Im Off wird vernehmbar ein Kassettenrekorder eingeschaltet. Dann sagt langsam und bedächtig eine Stimme auf englisch mit einem osteuropäischen Akzent: „Ich bin kein Filmemacher, sondern ein Filmer.“ Jonas Mekas, der sich auf diese Weise immer wieder an die Zuschauer seines Films „As I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty“ wendet, glaubt an die Unschuld seiner Bilder und Töne. Denn deren Ordnung folgt keiner Spannungsdramaturgie oder irgendwelchen anderen inszenatorischen Absichten, die dem Film eine Wichtigkeit jenseits seiner persönlichen Anlässe mitgeben könnten. Vielmehr geht es Mekas um die Ekstase reinen Filmens, um Bilder, die zugleich alles und nichts bedeuten, je nachdem, ob der jeweilige Betrachter seinen eigenen Anteil in ihnen entdeckt. Entstanden ist so ein nahezu unablässiger Bilderstrom, dessen Anfang und Ende beliebig ist, der weder Höhepunkte aufweist noch eine Chronologie anstrebt und dadurch mögliche Hierarchien negiert. Allein der Zufall und die subjektiven Launen des „Filmers“ während der einsamen, nächtlichen Arbeit im Schneideraum bestimmen die Abfolge der Bilder und das Einsetzen der Töne.

 

„Nothing happens in this film“, lautet dementsprechend einer der immer wiederkehrenden Zwischentitel, die den aus 12 Kapiteln bestehenden Film lose gliedern. Im Wechsel der Orte und Jahreszeiten, aber auch in der Abfolge bestimmter Festtage, alltäglicher Begebenheiten und sich wiederholender Ereignisse dokumentiert Mekas in einer Art filmischem Tagebuch Ausschnitte aus dem Privatleben seiner Familie. Die als sogenannte „Home Movies“ entstandenen 16mm-Aufnahmen der Jahre 1970 bis 1999 sind vor allem ein Geschenk des Filmers an seine Frau Hollys und die beiden Kinder Oona und Sebastian. Bilder von der Hochzeit und den Geburten werden abgelöst von Familienszenen im New Yorker Loft, wo der österreichische Experimentalfilmemacher Peter Kubelka manchmal kocht und eine Runde von Freunden und Verwandten zum Essen, Trinken und Musizieren versammelt ist. Katzen tollen spielend durch die Wohnung; die Kinder erleben das erhebende Gefühl ihrer ersten Schritte; und als säße er inmitten eines Stilllebens, filmt sich Mekas selbst. Dann sieht man die Familie auf Reisen: an Ferienorten in Wien, Italien und der Provence; aber auch beim regelmäßig wiederkehrenden Picknick im Central Park. Denn das knapp fünfstündige Werk ist auch eine Hommage an New York: an die Hitze seiner Sommer, den Schnee im Winter, seine Winde, die Oasen der Natur mit ihren Blüten und an die Straßenkünstler in Greenwich Village und Soho.

 

Dass sein Film nicht einfach ein Dokument seiner Biographie ist, unterstreicht Mekas, der 1922 in Litauen geboren wurde und der seit Mitte der fünfziger Jahre u.a. als Herausgeber der Zeitschrift „Film Culture“ zu einem der wichtigsten Förderer des New American Cinema geworden ist, durch die Materialität der Bilder. Diese sind oft unscharf, über- oder unterbelichtet und mit einer wechselnden Bildfrequenz aufgenommen. Dazu kommen abrupte Schwenks und ein schneller Montagerhythmus, was sowohl auf die Subjektivität des Regisseurs als auch auf die Bearbeitung der Bilder verweist. Was wir sehen, ist eine „gemachte Erinnerung“; und dem Wunsch des Zuschauers, die Bilder anzuhalten, um sie dem Zufall zu entreißen, steht Mekas’ forcierter Relativismus entgegen, der auf die Fülle mit Gelassenheit reagiert: Das Leben geht weiter, es verändert sich und bleibt sich doch gleich; und weil das Großartige im scheinbar Unbedeutenden und Nebensächlichen liegt, ist seine Wahrnehmung der Subjektivität des Betrachters anheim gestellt. Ganz im Sinne Kants entsteht für Mekas Bedeutung nur dort, wo man sie in etwas hineinlegt. Insofern ist für ihn alles in jedem Bild, weil es prinzipiell auch in uns selbst ist. Deshalb gibt es auch keine wesentliche Differenz zwischen Ich und Du.

 

Gerade darin besteht für Jonas Mekas das Politische seines Films: Die subjektive Erfahrung der Schönheit trotz aller Hässlichkeit zu feiern, heißt für ihn, von einer anderen Lebensweise zu sprechen. Indem er die überwältigende Gegenwart der Erinnerung, die Imagination und die Wichtigkeit des Augenblicks beschwört, erweist sich Mekas als moderner Romantiker, dessen ekstatisches Lebensgefühl beharrlich von den Momenten des Paradieses im Alltag schwärmt: „Happiness is beauty.“

 

Wolfgang Nierlin

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in der Badischen Zeitung vom 31.8.2001

 

As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty

USA 2000, 288 Min.

Regie: Jonas Mekas

Drehbuch: Jonas Mekas

 

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