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A
Single Man
Exzess
und Ermüdung sind oft nur eine Einstellung weit voneinander entfernt in
Tom Fords Regiedebüt "A Single Man"
George Falconer lebt in einem Glashaus. Wenn er hinausblickt, erstreckt
sich vor seinen Augen die geometrische Einöde eines typischen Vorortstraßenzugs
in den Sechzigerjahren. Seine Nachbarn sehen in George einen distinguierten
britischen Akademiker mittleren Alters, der sich notgedrungen mit dem American
Way of Live arrangiert hat. George, von Colin Firth mit melancholischer Bissigkeit
gespielt, verwendet viel Zeit darauf, in die Rolle zu schlüpfen, die seine
Umwelt ihm zugeteilt hat. Sein morgendliches Bekleidungsritual ist auch eine
Maskierung – durch die Augen des Regisseurs und Modedesigners Tom Ford gesehen,
bekommt das Procedere zudem etwas hochgradig Fetischisiertes. Die Sorgfalt,
die er jedem einzelnen Kleidungsstück zukommen lässt, verrät
nicht nur den Connaisseur Ford, sie beschreibt George auch als einen Individualisten,
der dem täglichen Versteckspiel durchaus seine hedonistischen Seiten abgewinnt.
Gleichzeitig offenbart der letzte
prüfende Blick ein tiefes Unbehagen in seiner gesellschaftlichen Rolle.
"Was ich im Spiegel erblicke", bemerkt er aus dem Off, "ist weniger
ein Gesicht als vielmehr der Ausdruck eines gelebten Dilemmas."
Die Offenheit des architektonischen Entwurfs, in dem George sich eingerichtet
hat, ist in Fords Regiedebüt "A Single Man" überdeutlich
symbolisch angelegt. Die gläserne Architektur von Georges Domizil verweigert
sich dem Sicherheitsparadigma, dem die stadtplanerische Logik der Suburbia in
den Sechzigerjahren bereits unterworfen war. (Als zusätzliche Pointe begleiten
George Nachrichten und nervöse Kommentare über die anhaltende Kuba-Krise
durch seinen Tag) Sie lässt sich aber genauso als Statement verstehen:
Für seine Mitmenschen ist George gewissermaßen unsichtbar, wie er
es selbst wiederholt ausdrückt. Über seine Homosexualität herrscht
in den Kreisen, in denen er verkehrt, ein Stillschweigeabkommen – solange George
die gesellschaftlichen Konventionen akzeptiert.
"A Single Man" beschreibt den hohen Preis dieser Unsichtbarkeit.
Nach dem Tod seines langjährigen Partners Jim befindet sich George in einer
emotionalen Schockstarre. Der Schmerz über den Verlust eines geliebten
Menschen wird noch verstärkt durch die Unmöglichkeit, seine Trauer
mit einem anderen zu teilen. In einem seiner bewegendsten Momente zeigt der
Film die ungeheure Selbstbeherrschung, die diese Maskerade erfordert. Georges
einzige Vertrauensperson ist seine Jugendliebe Charley (Julianne Moore), mit
der er Jahre zuvor England verließ. George ist also in mehrfacher Hinsicht
ein "single man": ein Witwer, Exilant und gesellschaftlicher Außenseiter,
der auf seiner letzten Cruisingtour jedoch langsam realisiert, dass er mit seinen
Begehren vielleicht doch nicht so ganz allein ist.
Christopher Isherwoods gleichnamiger Roman wurde bei Erscheinen 1964
als kleine Sensation gefeiert, das erste literarische Zeugnis einer sich gerade
formierenden Schwulenbewegung. Isherwood lebte wie seine Romanfigur bis zu seinem
Tod mit seinem festen Lebenspartner in Los Angeles, doch die libertären
Hollywood-Zirkel hatten nur wenig mit dem puritanischen Milieu aus "A Single
Man" gemein.
Fords Verfilmung beruft sich dann auch eher auf die Melodramen Douglas
Sirks, nicht ohne allerdings geschickt mit dessen Ästhetik zu brechen.
Ford treibt das Spiel um Doppelidentität und Selbstkontrolle auch formal
auf die Spitze. "A Single Man" verfügt im Grunde über zwei
Gefühlsmodi: Der Film ist überwiegend in desaturierten Farben gehalten,
eine schöne Metapher für die emotionale Ermattung Georges. In vereinzelten
Momenten von Leidenschaft nehmen die Farben aber eine Technicolor-artige Sättigung
an, und das hat dann nicht nur etwas Rauschhaftes. Es ist auch beruhigend zu
sehen, dass George im Kontakt mit seinen Mitmenschen, meist jungen Burschen
mit Alabasterkörpern, immer noch zu solchen Gefühlsregungen fähig
ist.
Denn das sehr übersichtliche Zeitfenster, das "A Single
Man" aufstößt, werden Georges letzte Stunden sein. Wenn er noch
einmal die wichtigen Orte und Menschen seines Lebens aufsucht, reist ein geladener
Revolver in seiner Aktentasche mit. Ford erfasst diese Lebensmüdigkeit,
nicht zuletzt dank Firths reserviertem Spiel, in schön beobachteten Details.
Aber immer auch ist der visuelle Exzess nur eine Einstellung weit entfernt.
Dass er dabei stets die Balance zwischen epischer Kadrierung (in der die groteske
Dekadenz der Modefotografie bereits als Zitat fungiert) und der intimen Nähe
zweier Menschen findet, zeichnet Ford als feinfühligen Regisseur aus –
und eben nicht nur als brillanten Arrangeur schöner Gegenstände.
So verleiht er "A Single Man" einen höheren Sinn: George
stirbt einen langsamen Tod an gebrochenem Herzen, aber er findet darüber
seinen Frieden mit einer Welt, die ihm bei aller Ablehnung auch große
Schönheit beschert hat. Am Ende liegen wieder diese berauschenden Technicolor-Schleier
über Fords Bildern. Es könnte aber auch bloß der Feierabendsmog
über den Hügeln von Los Angeles sein.
Dieser
Text ist (in ähnlicher Form) zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
A
Single Man
USA
2009 – Regie: Tom Ford – Darsteller: Colin Firth, Julianne Moore, Nicholas Hoult,
Matthew Goode, Jon Kortajarena, Paulette Lamori, Ryan Simpkins, Ginnifer Goodwin,
Teddy Sears, Paul Butler, Aaron Sanders, Lee Pace – FSK: ab 12 – Länge:
100 min. – Start: 8.4.2010
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