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A Silent Rockumentary
Wenn die alten, über Jahrzehnte und Generationen erlernten Regeln
nichts mehr gelten, braucht man sie auch nicht länger zu befolgen. Seit
Jahren liegt die Musikindustrie am Boden; der Tonträger-Markt ist zusammengebrochen. Immer
mehr Künstler müssen, um überleben zu können, immer häufiger
touren und immer höhere Eintrittspreise bei den Konzerten verlangen. Die
etablierte Logik der Branche – touren, um ein Album zu promoten – ist längst
auf den Kopf gestellt und bietet nur kurzfristig eine Alternative. Neue Marktmodelle
sind gefragt.
Die Mannheimer Band Mardi Gras.bb ist seit 20 Jahren im Geschäft.
Sie gilt als zuverlässig begeisternder Live-Act und hat an guten Tagen
schon mal 30.000 Alben verkauft. Mit einer originellen Musik, die einerseits
in der Jazz-Tradition der Marching Bands aus New Orleans wurzelt, andererseits
aber den Crossover zur Welt- und Popmusik zwischen Blues, Cajun, Exotica und
Psychedelia wagt, wurde Mardi Gras.bb eine zuverlässige Größe
in der heimischen Independent-Szene und konnte auch im Ausland punkten. Man
bandelte früh mit dem unabhängigen Label „Hazelwood Records“ an, produzierte
die Platten im Frankfurter Studio des Labels und baute auf diese Partnerschaft
auch dann noch, als der Erfolg eine kurzzeitige Zusammenarbeit mit einem Major-Label
erlaubte. Eine Erfolgsgeschichte also?
Bedingt, denn mittlerweile bewegen sich auch bei Mardi Gras.bb die
CD-Umsätze im mittleren vierstelligen Bereich; das Studio von Hazelwood
ist Geschichte. Auch die Strategie, CDs als (filmische) Konzeptalben zu entwickeln
und sich nach Möglichkeit nicht zu wiederholen, wirkt nach 20 Jahren etwas
überstrapaziert. Mittlerweile gehen die Musiker der Band in der Regel Nebenjobs
nach, um überleben zu können.
Wenn also die alten Regeln und Rezepte des Business nicht mehr funktionieren,
kann man ja auch mal was Neues wagen, mag sich das Team um Sänger, Gitarrist
und Mastermind „Doc“ Wenz gedacht haben, als man dem Filmemacher Jonas Grosch
den Auftrag gab, einen Imagefilm über den Kampf dieser wackeren Band gegen
die Windmühlen des Zeitgeistes zu drehen. Und weil alle Beteiligten einen
ausgeprägten Sinn fürs Spleenige und auch fürs Cineastische haben,
drehte man diesen sehr musikalischen Blick in die Werkstatt der Produktion von
„Crime Story Tapes“ in der Manier eines Stummfilms, bei dem O-Töne von
Interviewpassagen auf Schrifttafeln verkürzt werden. Das ist lustig und
auch kurzweilig, wenn die Band im Studio mit dem Produzenten vor laufender Kamera
über die Qualität von Schlagzeugbeats streitet oder das Alter der
Band und ihrer Mitglieder durch das gewählte Stilmittel milde ironisiert
wird.
Doch Band wie Film haben einen Agenten des brisanten Strukturwandels
der Musikbranche ausgemacht, nämlich das Internet und die dadurch ermöglichte
Konsumform der illegalen Downloads. Dass diese Praxis gegen geltendes Urheberrecht
verstößt und die stille Enteignung der Künstler alles andere
als „cool“ ist, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, zumal
die angesprochene Klientel auf YouTube andauernd dem erhobenen Zeigefinger der
GEMA in Form von gesperrtem Material begegnet. Sollten Mardi Gras.bb allerdings
mehr zu diesem Thema zu sagen haben, als ohnehin als Gemeinplatz gehandelt wird,
dann erweist sich das gewählte Stilmittel der „Silent Rockumentary“ als
äußerst kontraproduktiv, denn mehr als ein paar putzige Verkürzungen
der Problematik auf das schräge Szenario der Forderung nach „Freibier für
alle“ – und dessen Konsequenzen für die Braumeister und KellnerInnen der
Republik – haben Band wie Film nicht zu bieten.
Andererseits wäre es schon interessant, von den Musikern selbst, deren Stil ja dadurch gekennzeichnet ist, sich äußerst postmodern durch die Musiktraditionen der US-amerikanischen Südstaaten zu bricolieren und gerne mal mit Samples und Atmosphären zu arbeiten, ein Statement zum Urheberrecht in eigener Sache zu erfahren. So aber taugt „A Silent Rockumentary“ wohl eher als Bonus-Material der nächsten CD von Mardi Gras.bb und scheint im Kino fehl am Platz. Für Fans der Band mag der Film unterhaltsam sein, doch aus etwas Distanz bekommt das Unterfangen den Hautgout wehleidiger Selbstgefälligkeit. Sich immer neu erfinden, um im Geschäft zu bleiben? Wie heißt es im Film so treffend: „Wenn es doch so einfach wäre.“
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
A Silent Rockumentary
(Mardi Gras.BB: A Silent Rockumentary) Deutschland 2012 – 55 Minuten – Start(D):27.06.2013 – FSK: ohne Altersbeschränkung – Regie: Jonas Grosch – Drehbuch: Jonas Grosch – Produktion: Jonas Grosch – Kamera: Matthias Hofmeister – Schnitt: Jonas Grosch – Darsteller: Gordon Friedrichs, Reverend Krug, Doc Wenz
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