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Ashes
of Time: Redux
Liebende
Es
ist noch gar nicht so lange her, da galten Filme aus Hongkong als die aufregendsten
der Welt. Überprüfen kann man das jetzt an Wong Kar-Wais leicht überarbeitetem
Film von 1994, "Ashes of Time". Es ist ein Liebesfilm, in dem sich
die Liebenden töten wollen, und ein Schwertkampffilm, der den Kampf in
ein Spektakel des Abstrakten verwandelt.
Ein
Auftragskiller, der seine Liebe nur für wenige Minuten am Tag sieht. Ein
Polizist, dessen Wohnung von einer Frau, die ihn heimlich liebt, in seiner Abwesenheit
umdekoriert wird und die dann doch im entscheidenden Moment aus seinem Leben
verschwindet. Das schwule Paar, das nach Argentinien geht und immer wieder aufs
Neue miteinander bricht. Die beiden Eheleute, die mit anderen verheiratet sind,
deren Affäre darin besteht, im beengten Flur eines Mietshauses im Hongkong
der 60er Jahre aneinander vorbeizugleiten: Das Kino von Wong Kar-Wai ist voll
von diesen einsam zweisamen Figuren, von Liebenden, die einander in größter
Nähe umkreisen und doch nicht weiter voneinander entfernt sein könnten.
Gefallene Engel allesamt, trotz eines Filmtitels kaum "Happy Together".
Jetzt
kommt "Ashes of Time" von 1994, Wongs einziger Beitrag zu dem in Hongkong
seit den Produktionen der Shaw Brothers traditionsreichen Wuxia-Genre, in einer
etwas gestrafften und digital überarbeiteten "Redux"-Version
wieder weltweit in die Kinos. Auch in diesem Film interessierte Wong das Spektakel
kunstvoll geschwungener Schwerter und im Wind flatternder Tücher nur insoweit,
als darin das melancholische Pathos der von der Liebe verletzten Protagonisten
zum Ausdruck kommt.
Dreh-
und Angelpunkt der lose verbundenen fünf Episoden ist ein Gasthaus am Rande
einer Wüste, dessen Wirt (Leslie Cheung) "Probleme löst",
indem er im Namen seiner Gäste Kopfgeldjäger und Auftragskiller anheuert.
Bereits in der ersten Episode zeigt sich die typisch Wong’sche melancholische
Tragik: Ein junger Mann (gespielt von Brigitte Lin) bittet den Wirt um den Mord
an dessen bestem Freund (Tony Leung Ka Fei), da dieser das Herz seiner Schwester
(ebenfalls Brigitte Lin) gebrochen hat. Diese wiederum beauftragt den Wirt mit
dem Mord an ihrem Bruder, da dieser ihren Liebsten umbringen lassen will. Die
ergreifendsten Szenen gelingen Wong dabei mit den geringsten Mitteln: Ein Bast-Vogelkäfig,
eine clever gesetzte Ausleuchtung, zwei Personen und die richtigen Kamerabewegungen
genügen, um einen der magischsten Kinomomente hervor zu zaubern.
Indem
Wong Bruder und Schwester von derselben Frau spielen lässt, greif er nicht
nur auf Traditionen des klassischen Wuxia-Kinos zurück, in dem junge Männer
häufig von Frauen verkörpert wurden, er impliziert auch recht eindeutig,
dass hinter beiden Personen nur eine einzige, die Schwester, steckt. Dies In-Sich-Verstrickt-Sein,
wie auch das im Hongkonger Actionkino immens populäre Motiv der zwei Kontrahenten,
die eigentlich Brüder sein könnten und die das Schicksal auf unterschiedliche
Seiten der Front gespült hat, mag man als allegorische Verarbeitung der
historisch-politischen Zerrissenheit zwischen der einstigen Kronkolonie und
dem Festland China vor 1997 betrachten, die Zahl der Exegeten jedenfalls, die
dies vorschlägt, ist beachtlich.
Von
nicht minderer poetischer Melancholie ist die sich anschließende Episode
vom zusehends erblindenden Schwertkämpfer (Tony Leung), der sich nichts
sehnlicher wünscht, als einmal noch die blühenden Pfirsichbäume
seiner Heimat sehen zu können, und den am Tag der kämpferischen Auseinandersetzung,
die ihm das nötige Geld für die Reise einbringen soll, ein wolkenverhangener
Himmel mit diesigem Licht straft. Diesen Kampf eines einzelnen gegen eine zahlenmäßig
weit überlegene Bande Banditen zelebrieren Wong Kar-Wai und Kameramann
Christopher Doyle, der hier noch ganz am Anfang einer seitdem erstaunlichen
Karriere stand, nicht nur als Todesballett vor der Kamera, sondern auf Bildebene
als Spektakel des Abstrakten, in dessen erdfarbene Schlieren bald schummrige
Körper, bald grelle Sonnenblitze eintauchen und wieder daraus verschwinden.
Was heute als Gestaltungsmanöver fast alltäglich erscheinen mag, legte
1994 noch Zeugnis darüber ab, warum das Hongkong-Kino seit seiner Erneuerung
durch Regisseure wie John Woo oder Tsui Hark, in deren Gefolge sich dann auch
Wong Kar-Wai einen internationalen Namen machen konnte, für einige Jahre
als das aufregendste der Welt galt. Es schien den Widerspruch zwischen kommerziellen
Schauwerten und künstlerischer Integrität spielend aufzulösen.
Die
Wiederaufführung von "Ashes of Time" bietet die willkommene Möglichkeit
eines Wiedersehens mit eben diesem einst so gefeierten und heute, von wenigen
Ausnahmen abgesehen, weitgehend in der Bedeutungslosigkeit verschwundenen Kinoentwurf,
für den "Hongkong" einst stand. Hier, an der Kippstelle zwischen
aufregender Dynamik und technischer Perfektion, zwischen emotionaler Aufrichtigkeit
und leerem Stilismus, entstand einer der optisch reizvollsten Filme seines Genres,
bevor dieses endgültig in den hyperbolischen Manierismus des heutigen Schwertkampf-Filmes
mündete.
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 16.09.2009 im www.perlentaucher.de
Ashes
of Time: Redux
Hongkong
/ China / Taiwan 2008 – Originaltitel: Dung che sai duk – Regie: Wong Kar-wai
– Darsteller: Leslie Cheung, Brigitte Lin, Maggie Cheung, Tony Leung Chiu Wai,
Jackie Cheung, Charlie Yeung, Carina Lau – FSK: ab 12 – Länge: 93 min.
– Start: 17.9.2009
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