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Arirang – Bekenntnisse eines Filmemachers

 

 

Nach vier Jahren Pause kehrt der koreanische Festivalliebling Kim Ki-duk zurück: mit "Arirang", einem Essayfilm voller Spiegelungen und doppelter Böden.

Im Zimmer friert das Wasser zu Eis, mittendrin steht ein Zelt, um die Nacht etwas erträglicher zu machen. Die Ramen-Nudeln werden auf dem Holzofen zubereitet. Für das gedämpfte Licht am Abend sorgt ein über die Glühbirne gestülpter, ausgetrockneter Fischkopf. Immerhin: Eine selbstgebaute Espressomaschine steht bereit, die, der Crema nach zu schließen, ganz passablen Kaffee zaubert. Im Zelt: Ein riesiger Mac-Bildschirm. Eine Canon Mark II, eine vergleichsweise günstige, professionelle Digitalkamera, die gerade das Filmschaffen im niedrigen Budgetsektor zu revolutionieren verspricht, steht ebenfalls bereit. Eine eigentümliche Kombination aus Heidegger’scher Berggipfel-Archaik und Hi-Tech – die angerissenen, bräunlich verschwielten Hornhautkontinente an der Ferse, die die Kamera dann und wann ins Blickfeld führt, bilden einen harschen Kontrast zum Komfort von Espresso und Steve-Jobs-Utopie. Kann man in dieser abgelegenen Berghütte einen Film drehen? Man kann.

Kim Ki-Duks letzter Film liegt bald vier Jahre zurück. Keine halbe, eine ganze Ewigkeit für das einst von Festival zu Festival herumgereichte Wunderkind des Korea-Filmbooms um 2000, das ansonsten im Jahrestakt, und manchmal öfter, häufig prämierte, meist hochkontroverse Filme nach Venedig, Cannes und Berlin und von dort aus in die ganze Welt pumpte. 15 Filme, 12 Jahre. Ein Kinoathlet im ganz buchstäblichen Sinne, wenn man sich das letzte Kapitel seines "Frühling, Sommer, Herbst, Winter… und Frühling" vergegenwärtigt (an einer Stelle in "Arirang" schaut Kim es sich unter bittersten Tränen an), in dem der Regisseur selbst als geläuterter, buddhistischer Mönch schon aus Selbstgeißelungsgründen den Naturelementen herkulisch trotzt. Ich erinnere mich an die Berlinale 2002, wo Kim seinen harschen Film "Bad Guy" zeigte: Ins altehrwürdige Kino International wollte dieser aufstrebende, ehrgeizige, vielleicht eine Spur zu arrogante, drahtige und betont sportlich auftretende Regisseur nicht passen, der da die verschüchterten Fragen eines teils traumatisiert wirkenden Publikums erst gar nicht an sich heranließ.

Nicht passen zu diesem Erinnerungsbild will nun wiederum der vom Alkohol aufgedunsene, in Depressionen versunkene, graumelierte, ungepflegte Mann, der, eigener Aussage nach, seit 2008 im zurückgezogenen Exil dieser Berghütte sein Dasein fristet und Wunden leckt: Beim Dreh seines bis dahin letzten Films wäre eine Darstellerin bei einem Unfall fast ums Leben gekommen, was den Regisseur in eine tiefe Sinnkrise stürzte, auch sollen sich einstige Weggefährten aus anscheinend opportunistischen Karrieregründen von ihm abgewendet haben. Auch Eitelkeiten spielen eine Rolle: Einmal klagt Kim sein Leid darüber, dass Würdenträger seiner Heimat ihn wohl weniger seiner Filme, sondern vielmehr seines Erfolgs bei internationalen Filmfestivals wegen für die Mehrung des koreanischen Ansehens in der Welt ausgezeichnet und also seine Filme, denen man genau dies nun wirklich nicht zutraut, wohl nie gesehen haben. Zwischen Kim und der Filmindustrie steht, so scheint es, ein unüberbrückbarer Abgrund von Verletzungen, Eitelkeiten und Depressionen: Kim Ki-Duk, ein vom Gipfel des Triumphs gefallener Elender, zerrissen zwischen Lebenserfüllung vor roher Naturkulisse und dem Wunsch, endlich wieder Filme drehen zu können.

Mit einer Nabelschau ist "Arirang" nun aber gerade nicht zu verwechseln, nicht Authentizität der Neurose, sondern die Ambivalenz einer im Verdacht der Fiktionalisierung stehenden, dokumentarisch-essayistischen Form sind hier zentral: Schon gleich zu Beginn spricht Kim vom Schauspiel und dass er einen Film drehen wolle, der Dokument, Drama und Fantasy zugleich sein könne, überhaupt sind seine ersten Worte – "Ready? Action!" – Regieanweisungen. Mindestens drei Kims sind zudem anwesend: Im langen, zermürbenden, im Videoschnitt aufgelösten Zwiegespräch derer zwei – der eine anklagend, der andere weinerlich um Selbsterklärung bemüht -, deren Status aber, sobald es einem zu sehr zu Herzen geht, durch einen dritten Kim, der sich beim Betrachten der Szene auf dem Computer offenbar bestens, zumindest aber selbststrafend amüsiert, ins Unklare gehoben wird. Was dieses Bespiegeln und Selbstkommentieren noch nicht schafft, besorgt schließlich das Finale: Kim greift zur Waffe, fährt durchs Land, bringt lakonisch Menschen um, und schließlich auch, nach einem letzten Furz, sich selbst.

Ein Motiv zieht sich durch fast alle Filme Kims: das der langen Passion, der oft anlasslos sühnenden Leidensgeschichte im schmutzigsten Elend, die Unmenschlichstes abverlangt und der Unmenschliches gelegentlich auch selbst – beziehungsweise eben doch immer von einem oft des Sadismus bezichtigten Regisseurs – auferlegt ist. Mit "Arirang" und dem zugrunde liegenden Leidensprozess, den man selbst noch allen Spiegelungen und doppelten Böden zum Trotz beim Wort nehmen mag, hat sich Kim Ki-Duk nun selbst konsequent in den Rang eines solchen Leidenden aus seinem Werk erhoben und nicht zuletzt die tiefste Talsohle einer Schaffenskrise zum Erfolg umgemünzt: Das Festival in Cannes prämierte "Arirang" 2011 in der Sektion "Un certain regard”.

Thomas Groh

Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de

Arirang – Bekenntnisse eines Filmemachers
Südkorea 2011 – Originaltitel: Arirang – Regie: Kim Ki-Duk – Mitwirkende: Kim Ki-Duk – FSK: ab 12 – Fassung: O.m.d.U. – Länge: 100 min. – Start: 26.1.2012

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