zur startseite

zum archiv

zu den essays

 

 

Argo

 


 

Die Quadratur des Kreises

Ben Affleck ruft in seinem sehenswerten Politthriller eine längst vergessene Geschichte in Erinnerung

In seinem neuen Film erzählt der "Oscar"-Preisträger Ben Affleck ("Good Will Hunting") ein Märchen aus uralten Zeiten. Nur handelt es sich dabei um kein Märchen, sondern um eine wahre, wenngleich längst vergessene Geschichte.

November 1979. Im Iran hat die Revolution das Folterregime des Schahs Reza Pahlewi gestürzt. Der Schah selbst, schwer krank, ist in die USA geflohen, wo eine Auslieferung aus humanitären Gründen abgelehnt wird. Der Volkszorn richtet sich nicht grundlos – der Film erinnert durch historisches Material zu Beginn an die Umstände des Sturzes des demokratisch legitimierten Premierministers Mohammed Mossadegh 1953 durch Intervention des CIA und an den Terror des Schah-Geheimdienstes – gegen die USA und besonders die US-Botschaft in der iranischen Hauptstadt.

Die weitere Geschichte ist bekannt: Am 4. November 1979 wird die US-Botschaft von militanten Demonstranten gestürmt, und das vielköpfige Personal wird in Geiselhaft genommen, um die Auslieferung des Schah zu erpressen. Doch sechs US-Amerikanern gelingt im Chaos der Erstürmung die Flucht in die kanadische Botschaft, wo sie sich allerdings nur kurze Zeit in Sicherheit wiegen können. Der Film "Argo" erzählt von den Bemühungen des amerikanischen Geheimdienstes, die sechs außer Landes zu bringen. Verschiedene Fluchtpläne werden durchgespielt, sie scheitern aber schnell an offenkundigen amerikanischen Fehleinschätzungen der innenpolitischen und klimatischen Situation im Iran.

Hier kommt der CIA-Agent Tony Mendez, betont uncharismatisch gespielt von Ben Affleck selber, ins Spiel, der auf die Idee zum besten aller schlechten Pläne kommt, als er mit seinem Sohn telefoniert. Der lebt mit seiner Mutter längst von Mendez getrennt und schaut im Fernsehen den Klassiker "Planet der Affen". Mendez’ Idee ist einfach und genial, in der Realisierung erweist sie sich aber als logistisch außerordentlich aufwendig. Wie wäre es, wenn sich ein kanadisches Filmteam im Iran befände, das für einen geplanten Fantasy-Film vor Ort brauchbare Drehorte gesucht habe? Das Problem: es ist kein Fantasy-Film geplant, und die untergetauchten US-Botschaftsangestellten haben keinerlei Erfahrungen mit den Umständen einer Filmproduktion.

Mendez macht sich an die Arbeit, unter extremem Zeitdruck eine tragfähige Legende ins Werk zu setzen: zunächst in Hollywood, später vor Ort im Iran. In Hollywood trifft Mendez auf ein paar sehr abgebrühte Veteranen des Exploitation-Films und ein brauchbares Drehbuch mit dem Titel "Argo"; im Iran trifft er auf die aufgewühlte, in der Vergangenheit immer wieder erniedrigte Bevölkerung und äußerst misstrauische, zu allem entschlossene Revolutionsgarden.

Affleck gelingt das Kunststück, aus diesen Vorgaben eine staunenswert perfekte Schnittmenge zu konstruieren, die mindestens dreierlei ist: eine Satire auf den zynischen Hollywood-Betrieb, ein Stück altmodisches Spannungskino, das zu fesseln versteht, obwohl der Ausgang des Unternehmens logisch von Anfang an feststeht – und ein augenzwinkerndes Ausstattungskino, das modische wie habituelle "Sünden" jener Zeit lustvoll ausbreitet. Wann haben Sie zuletzt Menschen auf einem Linienflug ganz selbstverständlich rauchen gesehen? Wann haben Sie zuletzt derart viele unmögliche Frisuren und Kassenbrillen gesehen? Politisch zu bemängeln, aber eigentlich in diesem Szenario kaum zu verhindern ist dabei die Darstellung der fanatisierten Volksmassen im Iran, die als Hintergrundgeräusch stereotyp sind, aber gleichzeitig erlauben, aktuelle Nachrichtenbilder aus Bengasi oder Kairo damit kurzzuschließen und aktuelle Konflikte zu historisieren.

Doch Afflecks Film ist noch etwas brillanter: schließlich handelt der Kostümfilm "Argo" von der fiktiven Produktion des trivialen Films "Argo", der eine ganz reale Wirkung in der Wirklichkeit von 1979/80 entfaltete und dann Jahrzehnte später zu einem soliden Stück Spannungskino alter Schule wurde, das (auch) davon erzählt, dass man international brisante Konflikte mit List und Solidarität, aber ohne Gewalt lösen kann. Bis in die kleinsten Verästelungen der Handlung hinein, bis in die ein klassisches Versöhnungsbild des US-Kinos à la John Ford zitierende Schlussszene setzt Affleck Nuancen, die genau jene Form von liberalem Patriotismus feiert, die in Hollywood gerne mit Oscars belohnt wird.

Und nicht zuletzt – auch dies eine überraschend dialektische Volte – ist "Argo" eine subversive Feier des Professionalismus des alten Hollywood, die just zu einer Zeit spielt, als die politisch kritische und engagierte Phase des New Hollywood ad acta gelegt worden war und auf das rein kommerzielle System, auf Fantasy-Blockbuster à la "Krieg der Sterne" umgestellt wurde. Insofern ist "Argo" aus liberaler Perspektive eine nostalgische Reminiszenz und doch zugleich der Beweis, dass ein (fiktives) Projekt den Traum von der politischen Relevanz der Traumfabrik einzulösen wusste. Selbst, wenn diese Kapriole anschließend erst einmal ein paar Jahrzehnte in den unzugänglichen CIA-Archiven verschwinden musste.

Ulrich Kriest

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in der: Stuttgarter Zeitung

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

Argo
USA 2012 – Regie: Ben Affleck – Darsteller: Ben Affleck, Bryan Cranston, Taylor Schilling, Kyle Chandler, John Goodman, Alan Arkin, Titus Welliver, Clea DuVall, Rory Cochrane, Tate Donovan, Victor Garber – FSK: ab 12 – Länge: 120 min. – Start: 8.11.2012

 

zur startseite

zum archiv

zu den essays