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Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder
Seit dem Sturz der Ceausescu-Diktatur 1989 hat die Mehrzahl der rund
120.000 Siebenbürgener Sachsen das Land verlassen. Heute leben nur noch
10.000 von ihnen in Zentral-Rumänien, in einer weitgehend agrarischen Landschaft,
die mit dem 21. Jahrhundert noch kaum in Kontakt gekommen ist. Die Filmemacherin
Claudia Funk hat ein Altersheim in Atei/Hetzeldorf besucht, wo auf Initiative
einer Pfarrerin die Bewohner so lange als möglich in die landwirtschaftlichen
Arbeitsprozesse integriert bleiben. Die 30 Bewohner sind zwischen 60 und 90
Jahre alt und bewirtschaften 12 Hektar Land inklusive einiger Kühe, Schafe
und Hühner, womit sie einen Teil der anfallenden Kosten erwirtschaften.
Der Rest wird durch Spenden und Zuschüsse der Kirche finanziert.
Die Filmbilder zeigen eine Gegend, in der Kutschen auf unbefestigten
Straßen fahren und die Landwirtschaft zumeist als Handarbeit funktioniert.
Der Alltag ist dort so organisiert, wie er hierzulande vor einem halben Jahrhundert
auf den Dörfern auch noch anzutreffen war. Dass alte Menschen sich in dieses
Leben einfügen können, dass sie Schweine füttern, Kühe melken,
Erbsen schälen oder auch nur den Klee vor dem Vieh beschützen, ist
kaum verwunderlich. Auch in Deutschland war es vor nicht allzu langer Zeit ja
noch üblich, dass mehrere Generationen auf einem (kleinen) Hof zusammenlebten.
Wenn Funk ihren Film aber als ernstzunehmenden Beitrag zum Thema „Altern
in Würde“ verstanden wissen will, dann scheint das nur möglich, wenn
man das Leben in Atei als Gegenentwurf zum Schreckensbild des anonymen Dienstleistungs-Altenheims
ohne soziale und familiäre Anbindung versteht. Unter sich bleiben die Alten
in Atei, abgesehen von ein paar Betreuern, zwar auch, denn Kinder tauchen nur
am Rande anlässlich eines Festes auf. Allerdings ist ihr Leben hier (noch)
durch Arbeit und nicht durch den Essensplan strukturiert. Es geht offenbar darum,
sich weiterhin als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft zu verstehen, was auch
eine gewisse Selbstständigkeit wahrt. Allerdings wird im Film, der im Sommer
gedreht wurde, auch davon gesprochen, dass das Leben im Winter womöglich
ganz anders aussieht.
Manchmal wähnt man sich in einer von Volker Koepps Landschafts-
und Kulturraum-Beschreibungen aus Ost-Mittel-Europa. Mit dem entscheidenden
Unterschied allerdings, dass Funk ihr Material nicht sorgfältig genug aufbereitet,
um über 75 Minuten zu fesseln. Sie lässt die Menschen zwar vor der
Kamera erzählen, aber die haben ziemlich wenig zu sagen. Es sind einfache
Menschen, tief religiös, die in ihrem Leben kaum über ihren begrenzten
Radius hinausgekommen sind. Gelegentlich ist man sich nicht einmal sicher, ob
es hier überhaupt eine Rolle spielt oder schlicht bemerkt wurde, dass der
Sozialismus kam und wieder ging. Schon Bukarest scheint einen Planeten weit
entfernt zu sein.
Mal begleitet der Film einen Protagonisten auf einem Ausflug in seine alte Heimat, wo er Menschen besucht, ohne dass man erfahren würde, wer hier warum mit wem so wenig spricht. Ein anderer Bewohner berichtet, dass es seit vielen, vielen Jahren seine Lebensaufgabe sei, bei Gewitter durch das Schlagen der Kirchenglocke den Hagelschlag zu vertreiben. Bislang mit Erfolg. Man sieht „Kurpfalz Radio“-Käppis und „Fishbone“-Sweatshirts und würde gerne etwas über deren Herkunft erfahren; stattdessen begleitet der Film eine Gruppe von Bewohnern zu einem Gottesdienst mit anschließendem Hoffest, bei dem sich zwei schwerhörige Männer mit kauzig gemeintem Humor nichtssagende Überbleibsel alter Volksweisheiten, etwa den Filmtitel, an den Kopf werfen. Etwas ermüdend ist auch die Beobachtung, wie eine mürrische Alte mit einer Schwerhörigen um die Herrschaft der Fernbedienung für den Fernseher ringt oder sich über die Attraktivität eines Mannes mokiert, der nicht ins Bild kommt. Mit „Altern in Würde“ hat das alles viel weniger zu tun, als mit den trostlosen Lebensumständen in einer Region, die vor Jahrzehnten den Anschluss an die Gegenwart verloren hat. Oder mit einer im Sterben liegenden Volkskultur, deren verbleibende Mitglieder jetzt in WGs zusammenrücken (müssen), weil alle Jüngeren das Land verlassen haben und sie selbst keine Rente bekommen. Dies als zukunftsweisendes Modell für Mitteleuropa ins Spiel zu bringen, wirkt etwas sehr romantisch. Da hilft dann auch keine flotte Balkan-Folklore auf der Tonspur, um die Tristesse zu übertünchen.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Filmdienst 20/2015
Arbeit macht das Leben süß,
Faulheit stärkt die Glieder
Filmstart (D): 01.10.2015 – Regie: Claudia Funk – Buch: Claudia Funk – Produktion:
Claudia Funk – Kamera: Julia Weingarten – Schnitt: Lale Özdönmez –
Musik: Ensemble Vinorosso – Verleih: GMfilms – 76 Min. – FSK: keine Beschränkung
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