zur startseite

zum archiv

zu den essays

 

 

Apparition – Dunkle Erscheinung

 


Todd Lincolns "Apparition – Dunkle Erscheinung" inszeniert ein geisterhaftes Technokratenduell.

"Wenn alle Stricke reißen, können wir immer noch hier arbeiten" meint Ben zu Kelly im Supermarkt, zwischen zwei riesenhaft-bedrohlichen Regalen. Ein solcher Satz der tristen Selbsterkenntnis wird nicht allzu oft gesprochen im amerikanischen Kino dieser Tage. Und noch erstaunlicher ist, dass man Ben, einem deplatzierten Hipster und beruflich wenig erfüllten Elektrotechniker, diesen Satz auch noch abnimmt. Und dass man auch versteht, wie es gemeint ist, wenn Kelly, seine ebensowenig erfüllend in einer Tierhandlung angestellte Freundin, abwiegelnd und vage positiv auf bessere Zeiten in der Zukunft verweist.

In solchen Momenten scheint in diesem ansonsten hochschematischen Film eine interessante Schwundstufe des american dream durch, eine, die sich mit Müh’ und Not ans letzte verbliebene, durch die Finger zerrinnende vornehmlich kulturelle Kapital klammert. Ben und Kelly stehen im Übrigen auf world cuisine. Vielleicht hat die zerbrechlich, fast außerweltlich wirkende Hochglanz-Ästhetik, die "Apparition – Dunkle Erscheinung" (Regie: Todd Lincoln, ein Name, den man sich wohl eher nicht merken muss) gerade in den für die eigentliche Handlung nebensächlichen "Übergangsszenen" bestimmt, tatsächlich etwas zu tun mit dem Amerika der Gegenwart. Ob dieses sonnendurchflutete, von Wüste umgebene, von freundlichen Pendlern bewohnte Palmdale, California nun der Himmel oder die Hölle auf Erden ist, weiß man auch nach dem Film nicht so ganz.

Das Grauen schleicht sich in einen solchen Ort zumindest anders ein als in heruntergerockte Altstadtaltbauwohnungen oder in ausladende, herrschaftliche Landhäuser. Ben und Kelly wohnen in einem Neubau, genauer gesagt in einem am addretten, leicht ornamentalen, swashbucklertauglichen Stil spanischer Landhäuser orientierten Stück Architektur-Pastiche. Dessen scheinbare Individualität sofort wieder zunichte gemacht wird durch die Tatsache, dass die Nachbarhäuser exakt identisch sind. Ein Haus, das Geschichte gerade in seiner Inkorporierung historischer Markierungen leugnet. Kein Ort für Gespenster, eigentlich, kein Ort für Heimsuchungen, die ja fast immer Heimsuchungen durch eine verdrängte (und also nicht wie hier: luftdicht verspiegelte, zum Zitat degradierte) Vergangenheit sind. Weil "Apparition" dann aber doch ein sehr plumper Film ist, muss Kelly genau darauf auch noch in einem Dialog verweisen: "Das Haus ist zu neu, als dass es darin spuken könnte. Es hat keine Geschichte."

Und es spukt doch. Allzu lange kommt man nicht darum herum: "Apparition" ist vielleicht auch, an den Rändern, ein gar nicht mal so schlecht fotografierter, mit gar nicht mal so schlechten Elektrobeats unterlegter Film über das in Luxusderivaten noch gerade eben restentspannt vor sich hin lebende, abends vor dem HD-Fernseher gemeinsam einschlafende Mittelklasseamerika; in erster Linie aber: ein ziemlich schlechter Horrorfilm. Als solcher nimmt er seinen Anfang bei zwei Prologen, die an die derzeit im Genre allgegenwärtige Found-Footage-Methode angelehnt sind: Zwei Filmschnipsel, einer auf analog-räudige Siebzigerjahre, einer auf digital-räudige Gegenwart getrimmt, die verwackelte Aufnahmen parawissenschaftlicher Experimente zeigen. Natürlich sucht das, was damit auf die Welt losgelassen wurde, auch die rhetorisch komplett fiktionale und glücklicherweise wackelkamerafreie Zweisamkeit von Ben und Kelly heim. Es geht da unter anderem um ein Tor zu Geisterwelt, um Bens verschwundene Ex-Freundin und um eine Art übernatürlichen Faradayschen Käfig zum Schutz gegen aufdringliche Geisterwesen.

Fast schon technokratisch, generalstabsmäßig vorbereitet zumindest, brechen diese Geister über die Welt hinein; da bleibt kein Raum für leise Irritationen, für Ambivalenzen, im Gegenteil sind das zupackende und ziemlich hässlich digital animierte Gespenster, die sich noch dazu mit Vorliebe in die allzu bekannten Bilder weitaus effektiverer Vorgängerfilme hüllen (eine Szene mit Anleihen bei den diversen "Body Snatcher"-Verfilmungen ist ganz schön, zugegeben). Und ebenso fast technokratisch ist die Antwort der Betroffenen. Ein wenig Beziehungskrach gibt es zwar schon, schließlich spukt irgendwie auch die verschollene Ex. Aber dann werden schnell und (in Maßen) vernünftig Pläne geschmiedet, und irgendwie hat man das Gefühl, dass zumindest Ben nicht nur die übernatürlichen Wesen, sondern auch seinen inneren Nerd domestizieren möchte. Inzwischen ist er längst ebenso langweilig geworden wie die Gespenster, die er einst rief. Und unter solchen Voraussetzungen ist es einem bald völlig egal, wer bei diesem Technokratenduell am Ende die Nase vorn haben wird.

Lukas Foerster

Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de

 

Apparition – Dunkle Erscheinung
OT: The Apparition
USA 2011 – 83 min.
Regie: Todd Lincoln – Drehbuch: Todd Lincoln – Produktion: Alex Heineman, Todd Lincoln, Andrew Rona, Joel Silver – Kamera: Daniel Pearl – Schnitt: Todd Lincoln – Musik: Mandy Sinewy – Verleih: StudioCanal – FSK: ab 16 Jahre – Besetzung: Ashley Greene, Tom Felton, Sebastian Stan, Julianna Guill, Luke Pasqualino, Rick Gomez, Suzanne Ford, Anna Clark, Meena Serendib
Kinostart (D): 13.12.2012

 

 

 

zur startseite

zum archiv

zu den essays