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Anything
Else
Woody
und sein Double
Oder,
Wie sich Mr. Allen lieber spaltete als einen depressiven Film zu drehen
In
einen Woody-Allen-Film kommt man wie in die Wohnung eines alten Freundes, der
immer mehr zu erzählen hat, als man eigentlich hören will, der aber
aus Angst, einen zu langweilen (schließlich sind seine Geschichten eigentlich
immer die selben), einen so eleganten und charmanten Stil entwickelt hat, dass
man dem alten Quatschkopf zumindest nicht wirklich böse sein kann. Manchmal
amüsiert man sich prächtig, manchmal ist man ein bisschen genervt
von dem zappeligen Egomanen, und manchmal, so ungefähr alle sechs, sieben
Filme von Woody Allen, bekommt die Sache eine unerwartete Tiefe. Man hat die
üblichen Alltagsdramen und wunderbaren Seitengrotesken erwartet, aber diesmal
hat unser Jazz-liebender Freund ein paar philosophische Widerhaken eingebaut.
Normalerweise geht es bei ihm darum, dass die großen Dinge Liebe, Tod,
Schuld, Freiheit, Opfer und Erlösung, einigermaßen lustig sind, wenn
man sie aufs hektische Alltagsmaß und in die Lebensgrenzen normaler Stadtneurotiker
herunterbringt. Aber manchmal funktioniert das, wir kennen unsere Literaturgeschichte,
auch andersherum. Dann werden aus Grundproblemen der Philosophie nicht mehr
oder weniger intelligente Witze, sondern die mehr oder weniger witzige Phantasie
unseres Gastgebers sucht sich einen Weg zu den philosophischen und übrigens
auch religiösen Grundfragen. Rabbi Konigsberg verwickelt uns in einen Klärungsprozess
mit offenem Ausgang.
Jerry
Falk (Jason Biggs) ist Gag-Schreiber in New York, aber mit seinem Agenten Harvey
(Danny De Vito) kommt er über sehr bescheidene Erfolge nicht hinaus. Die
Beziehung mit Amanda (Christina Ricci) ist nach einem abenteuerlichen Beginn
auch in der ständigen Frustration stecken geblieben. Sie leidet unter Beziehungsängsten
und Frigidität, die sie dazu bringt, immer mal wieder mit anderen auszuprobieren,
ob es wieder geht. Eine Grenze von Berechnung, Betrug und Neurose ist da schwer
zu ziehen. Überdies macht sich die alkoholkranke Mutter in ihrer engen
Wohnung breit, eine Sängerin beim unermüdlichen Versuch des Comebacks.
Ein wenig Halt gibt Jerry in diesem Kuddelmuddel nur die Freundschaft mir seinem
älteren Kollegen David Dobel (Woody Allen), der allerdings auch so seine
paranoiden Schübe hat. Er ist besessen vom Gedanken an (bewaffnete) Selbstverteidigung,
sieht überall die Bedrohung durch Antisemiten, untreue Frauen und unfähige
Manager (und bei Gott!, muss nicht einer, der nur genug Pessimismus verbreitet,
ziemlich oft Recht haben?). Dobel gibt Jerry zwar sehr bizarre Tipps, aber dennoch
trifft er auch immer wieder die Bruchstellen in seinem Leben, das er jedenfalls
gehörig durcheinander bringt. Es ist offensichtlich, als wäre einer
der Doppelgänger des anderen, der eine das, was aus dem anderen geworden
sein mag, nach einem Leben voller Enttäuschung und Erkenntnis, der andere
das, was der eine vielleicht verloren hat, an Vertrauten, Naivität und
Offenheit. Und beide müssten versuchen, einander zu erlösen oder wenigstens
in heilsame Unruhe zu versetzen. Daneben gibt es einen korpulenten Psychologen,
der nie etwas rät, und jede Frage erbarmungslos auf den Frager zurückweist.
Aber dadurch, dass er sich weigert, Jerry weiter zu behandeln, solange der ein
Gewehr in der Wohnung hat, beweist er, wie genau er auf die Person neben ihm
reagiert, und wie sehr sich sein Patient keineswegs nur in einem Geflecht der
neurotischen Bilder bewegt, sondern in einem der Entscheidungen. Statt ihn bei
seinen Entscheidungen zu unterstützen, stellt er ihn selber vor eine Entscheidung.
So was kann man, wenn man will, als kabbalistische Weisheit verstehen. Man muss
sprechen, wenn man nicht verrückt werden will, auch wenn niemand „richtig”
zuhört, man muss lieben, gewiss, vom Sex ganz zu schweigen. Aber wenn man
leben will, muss man sich auch befreien, wenn es sein muss in die Einsamkeit
hinein. In die Einsamkeit der Entscheidungen. Zum Happy End dieser Fabel ist
Jerry Falk dabei, alles und alle hinter sich zu lassen, um ein neues Leben zu
beginnen. Er verlässt die Geliebte (nun ja, genauer gesagt, sie verlässt
ihn, bevor er etwas in der Richtung unternehmen kann), die Mutter, den Psychiater,
und sogar David Dobel (genauer gesagt, der zieht sich mit einer abenteuerlichen
Geschichte aus seinem Lebensplan zurück). Leicht war das nicht, aber notwendig.
Und als Jerry auf der Fahrt zum Flugplatz von den seltsamen Windungen des Lebens
philosophiert, pflichtet der Taxifahrer ihm bei: Damit verhält es sich
genau so wie mit allem anderem. Es gibt keinen Allgemeinplatz, den man nicht
noch mit einem allgemeineren Platz toppen könnte. Aber in der Wiederholung
dieses Satzes vom Anfang des Films bildet Allen natürlich auch das Funktionsprinzip
seines Filmes und sein Problem ab: Das Konkrete und das Allgemeine haben eine
Beziehung miteinander (sonst könnte man ja in der Tat weder miteinander
reden noch Filme drehen), es ist ein Spiel mit Puppen in der Puppe. Jedoch Anfang
und Ende des Lebens im Repräsentationssumpf können sich nur im Absurden
verlieren.
ANYTHING
ELSE ist der 41. Kinofilm Allens, und er steckt voll der Elemente, die wir aus
seinen Filmen kennen, der Jazz-Soundtrack, New York, das Beziehungsgequassel,
der Psychoanalytiker, die in den Dialog eingestreuten one
liner,
die literarischen Anspielungen, die brillanten Nebenfiguren und vor allem: der
Geschmack. Woody Allens Filme zeigen eine menschliche Hölle einer Klasse,
die sich gleichwohl (manchmal ohne es zu merken) höchst geschmackvoll in
ihr einrichten kann. Aber ganz nebenbei ist der Film wohl auch so etwas wie
eine kleine, verdichtete Retrospektive, ein Woody Allen-Film, der alle anderen
Woody Allen-Filme enthält, die Showbusiness-Filme wie BROADWAY DANNY ROSE,
die Musik-Filme wie SWEET AND LOWDOWN, die Loser-Filme wie TAKE THE MONEY AND
RUN, natürlich alle Beziehungsfilme von MANHATTAN an,
die Filme über die Kunst der Phantasie wie DECONSTRUCTING
HARRY,
die Engel-Filme wie MIGHTY
APHRODITE
und die morality
plays
wie CRIMES AND MISDEMEANORS.
Wahrscheinlich
ist Allen hier einer „Autobiographie” sehr nahe gekommen. Nach den eher leichten
Situationskomödien und Lockerungsübungen wie THE CURSE OF THE JADE
SCORPION oder HOLLYWOOD ENDING und einigen formalen Spielen kehrt er zurück
zu seinen philosophisch-komischen Dialogstücken, die tief in die Seelen
reichen, in Probleme wie Schuld, Liebe und Vertrauen. Ein einfaches Programm:
Wo sie herrschen (die anderen, die immer die Hölle sind) und Es nicht weiß,
wohin, da soll Ich werden. Auch der künstlerischen Selbstreflexion ist
breiter Raum gelassen; man könnte ANYTHING ELSE wohl auch als einen Versuch
darüber ansehen, wie „jüdischer Humor” (in den USA) entsteht, aus
dem Schatten der Geschichte und des Holocaust, der Diskriminierung und der Überlebenskunst,
aus Chuzpe und Offenheit noch beim Scheitern (Danny de Vito in einer Mel Brooks-Parodie),
oder wie es Falk ganz explizit sagt: Es gibt eben Leute mit Muskeln und Brutalität,
und andere, die gehen heim und schreiben eine böse Satire. Aber Dobel,
der Doppelgänger und Gegenbild auch zum skrupulösen Zögerer,
will sich nicht damit abfinden, und so kehrt er zurück und schlägt
den Kerlen die Autoscheiben ein, die ihm zuerst den Parkplatz genommen haben
und ihn dann mit ihrer Körperkraft und ihren Verbalinjurien bedrohten.
Das ist nicht nur in der Film-Handlung, sondern auch moralisch ein „kraftvoller
Akt”. ANYTHING ELSE handelt davon, wie sich eine alte und eine neue Version
eines „Typus” von ihrer Opfer-Rolle befreien.
Man kann das Erwachsenwerden nennen, eine Krise bewältigen, vielleicht ist es, für den alten Dobel, auch der Tod oder eine andere Form des Aufhörens. Der Trick ist, dass beides in einem möglich ist, die Anstrengung der Befreiung und die Melancholie des Rückblicks. Die Depression, das Schweigen, die Hysterie, die Neurose, alles, was das Leben schwer bis unerträglich macht (wenn man nicht komische Texte und Filme daraus formt), sie sind immer wieder „Geburtshelfer” des anderen. Wenn man also will, kann man ANYTHING ELSE nicht nur als Retrospektive, sondern auch als Revision des komischen Woody Allen-Kosmos ansehen. Am Ende sind sie ja beide fort, aus der Stadt, aus dem Bild, aus dem Traum, Woody und sein Dobel. Und für einen Augenblick würd’s uns nicht wundern, wenn dies der letzte Woody Allen-Film wäre. Aber ich wette, bald gehen wir wieder in das bekannte Wohnzimmer-Kino und lassen uns wieder ein paar hübsche Grotesken erzählen. Über die Liebe, atheistische jüdische, Entertainer, über die Angst vorm Immerzujungbleiben und Schonzualtsein, über fixe Ideen, schlechtes Essen, gute Musik, Sonnenuntergänge im Park und anything else.
Georg
Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in der Berliner Zeitung
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
ANYTHING
ELSE
USA
2002. R
und B: Woody Allen. P:
Letty Aronson. K:
Darius Khondji. Sch: Alisa Lepselter. T:
Gary Alper. A:
Santo Loquasto. Ko:
Laura Jean Shannon. Pg:
DreamWorks/Gravier/Perdido. V: Alamode. L: 111 Min. Da: Woody Allen (David Dobel),
Jason Biggs (Jerry Falk), Christina Ricci (Amanda), Danny DeVito (Harvey), Stockard
Channing (Paula), Anthony Arkin (Komiker), KaDee Strickland (Brooke), Jimmy
Fallon (Bob), William Hill (Psychiater) und Diana Krall.
Start:
2.9.2004(D), 1.10.2004 (A)
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