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Die
Anwälte
– Eine deutsche Geschichte
Die
Jahre 1967/68, verweht. Zum Auftakt ein altes Foto: Zwei Anwälte, die sich
als Linksanwälte, als Mitglieder eines sozialistischen Anwaltskollektivs
verstehen, verteidigen einen Sozius, den es in den Untergrund, in eine terroristische
Vereinigung verschlagen, der den Weg in die bewaffnete Dissidenz gewählt
hat. So „nah“ werden diese drei Männer sich danach nie wieder sein.
Birgit
Schulz ist es in ihrer Dokumentation „Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte“
folglich auch nicht gelungen, die drei Protagonisten Otto Schily, Hans-Christian
Ströbele und Horst Mahler noch einmal dazu zu bewegen, sich gemeinsam in
einem Raum einzufinden, um vielleicht vor laufender Kamera miteinander zu reden.
So bewegen sich diese drei exemplarischen Lebensläufe in Interviews nebeneinander
her, begegnen sich wiederholt kurz (zum Beispiel beim Verbotsverfahren gegen
die NPD) und entfernen sich schließlich entschieden voneinander. Interessanterweise
hält sich jeder zugute, sich nicht verändert zu haben. Drei Anwälte,
die den Ehrgeiz haben, nicht nur im Gerichtssaal Politik zu machen.
Kindheit
und Jugend der drei Protagonisten belässt der Film dabei weitgehend im
Ungefähren, weil er auf Selbstaussagen und dokumentarischem Material (Fotos
und bewegte Bilder) basiert und darauf auch vertraut. Alle drei – Schily (Jahrgang
1932), Mahler (Jahrgang 1936) und Ströbele (Jahrgang 1939) – stammen aus
Akademikerhaushalten, haben als Kinder noch den Zweiten Weltkrieg erfahren –
und zumindest zweien von ihnen ist ein recht elitärer Habitus nicht abzusprechen.
Alle drei haben sich im Verlauf der 1960er-Jahre politisiert und wurden ab 1966
im Rahmen der Aktionen gegen die Notstandsgesetze zu engagierten Anwälten
der Außerparlamentarischen Opposition. Die weiteren Stationen ihres Lebens
und des Films sind weitestgehend bekannt; der Film setzt gewisse historische
Grundkenntnisse beim Zuschauer auch voraus: Die Erschießung des Studenten
Benno Ohnesorg durch den Polizisten (und Stasi-Mann) Kurras, die gegen Polizeigewalt
und Springer-Presse angestrengten Verfahren, die Frankfurter Brandanschläge
auf zwei Kaufhäuser durch Baader, Ensslin & Co., die Gründung
der RAF, der Hungertod und die Beisetzung von Holger Meins, die Distanzierung
Mahlers vom Terrorismus im Rahmen der Lorenz-Entführung, der „Deutsche
Herbst“ 1977 und die Toten von Stammheim, die Gründung der Grünen
und die Friedensbewegung, die auseinander strebenden politischen Karrieren von
Schily (Die Grünen, SPD), Ströbele (Die Grünen) und Mahler (KPD,
NPD).
Im
letzten Drittel des Films sind dann der Anschluss der DDR, der Parteispenden-Skandal,
Kosovo-Kriegseinsatz und die innenpolitische Aufrüstung des Sicherheitsapparats
die entscheidenden Themen, die Schily und Ströbele voneinander entfernen.
Mahler hat sich zu diesem Zeitpunkt schon ins Abseits des Rechtsextremismus
begeben, was Ströbele nicht kommentieren mag und Schily für eine „Tragödie“
hält. Womit wir beim spannenden Teil dieses Film wären. Denn Mahler
inszeniert sich und seinen Werdegang brillant und provokativ diszipliniert:
Durch intensive Hegel-Lektüre ins nationale Lager gedriftet! Ein intellektueller
Dandy ist Mahler auch in der neuen politischen Heimat – die reglose Reaktion
der Umstehenden auf eine Rede von ihm zeigt, dass keiner der Neonazis auch nur
ein Wort davon verstanden hat –, so wie Schily immer den Bourgeois unter den
Grünen gab. Mahler weiß ganz genau, dass seine biografische Drift
in den Augen der ehemaligen Genossen eine offene Wunde darstellt, und mit ausgemachter
Boshaftigkeit stellt er in seinen Gesprächsbeiträgen immer wieder
ostentativ Nähe her, lobt Ströbeles Solidarität in Notzeiten,
charakterisiert Schilys anwaltliche Qualität als „geistige Elite“. Was
Schily gewiss gerne unterschreibt, nur eben nicht, wenn es aus dem Munde Mahlers
formuliert wird. So bleiben Mahlers Vita und sein Habitus das spannendste Moment
dieses Films, zumal Mahlers Renegatentum (handelt es sich dabei vielleicht um
ein historisches Zitat? Man erinnert solche radikalen Biografien aus der Zeit
um 1930; man kann auch an Syberberg denken) sich ja bereits 1975 zeigte, als
er sich gegen die RAF auf die Seite des Proletariats schlug.
Nach
„Die Anwälte“ tut man jedenfalls gut daran, noch einmal die Mahler-Episode
in „Deutschland
im Herbst“
anzuschauen, noch mal einen Blick in den Band mit den Gesprächen zu werfen,
die Mahler mit Gerhart Baum führte und das „Vanity Fair“-Gespräch
zwischen Michel Friedman und Mahler zu googlen. In „Die Anwälte“ bleibt
offen, inwieweit Mahler sich in etwas verrannt hat (wofür einiges spricht)
oder ob er in Holocaust-Leugnung und offenem Antisemitismus nur eine funktionstüchtige
Provokationsstrategie eines seit jeher sendungsbewussten Außenseiters
sieht.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Die
Anwälte – Eine deutsche Geschichte
Deutschland
2009 – Regie: Birgit Schulz – Mitwirkende: Otto Schily, Hans-Christian Ströbele,
Horst Mahler – Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ab 12 – Länge:
92 min. – Dt. Start: 19.11.2009
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