zur
startseite
zum
archiv
Antwone
Fisher
Souverän
im Zölibat
Der Schauspieler Denzel Washington debütiert
als Filmregisseur
Der Mann kann nicht übersehen werden.
In Augenhöhe steht Denzel Washingtons Malcolm X einem weißen Polizeichef
gegenüber, der ihn nur scheinbar anredet, eigentlich durch ihn hindurch
befiehlt: „Und jetzt wird dieser Mob aufgelöst!“ Der Ignorierte fixiert
sein Gegenüber, schweres Schweigen sinkt nieder, ehe Malcolm X sich zu
den Demonstranten umwendet. Ruhig hebt er die rechte Hand, spreizt Daumen und
Zeigefinger ab und senkt beide leicht nach rechts. Das genügt. Die schwarzen
Demonstranten ziehen geordnet ab. Der Polizeichef sagt: „Das ist zu viel Macht
für einen einzelnen Mann.“
Hier zählt nicht mehr, ob Spike Lees
Malcolm X mit der Geschichte des charismatischen
Bürgerrechtlers korrekt umging. Denzel Washington erhebt sich über
seine Figur und führt selbst Regie: Innerer Antrieb zeigt sich gelassen,
kämpferische Wut äußert sich souverän. Seit seiner Rolle
als Steve Biko in Schrei
nach Freiheit (1987) hat
Denzel Washington die Methode, mit Ruhe Respekt zu fordern und „Macht“ zu beweisen,
so perfektioniert, dass sie als seine eigene Politik gelten kann. Mit seinem
Regiedebüt Antwone
Fisher, in dem er selbst
die Rolle eines gesetzten Ersatzvaters spielt, scheint er sein Ziel erreicht
zu haben: Sein muskulöser Körper, einst in Action-Filmen erprobt,
ist in Uniformen und Anzügen heimisch geworden. Seit Jahren spielt Washington
mit Vorliebe Repräsentanten, Polizisten, Juristen und Offiziere, die kaum
handeln müssen, um ihre Autorität zu beweisen. Er war der ideale Mann,
um Julia Roberts auf ihrer Flucht in Die
Akte zu beschützen.
Mit dieser Ausstrahlung stemmt sich Denzel
Washington gegen das Schicksal des Unsichtbaren
Mannes, von dem Ralph
Ellisons epochaler Roman handelt: Symbolisierte bei Elllison der schwarze, namenlose
Erzähler die Unmöglichkeit einer afroamerikanischen Identität,
so will Washington mit seiner Arbeit das Gegenteil beweisen. Ellison hatte beschrieben,
wie Schwarze durch Unterdrückung und rassistische Projektion in der amerikanischen
Öffentlichkeit „unsichtbar“ werden; Denzel Washington dagegen ist der „sichtbare“
Schwarze. Ein Filmstreit mit einem Denzel-Washington-Charakter geht nicht ohne
einen langen Blick von ihm zu Ende – geworfen mit einer so aufrechten wie entspannten
Haltung. Sieh mich an, ich sehe dich! Der schwarze Star behauptet sich als Souverän
seines Bildes.
Sichtbar und sehend zugleich – so agierte
Washington nicht nur als Märtyrer (Malcolm X, Steve Biko, Rubin „Hurricane“
Carter), sondern auch in staatstragenden Rollen. „Mir liegt viel daran, starke,
mächtige Männer zu spielen: FBI-Agenten, Armee-Befehlshaber, Ärzte.
Denn wer als Schwarzer in den USA aufwächst und nur Weiße in wichtigen
Positionen sieht, sagt sich eines Tages: Mit meiner Hautfarbe werde ich’s nie
so weit bringen.“
„Verantwortung“, schreibt Ralph Ellison
im Prolog zu seinem Roman Der
unsichtbare Mann, ist
„eine Form von Erkennen, und Erkennen ist eine Form von Zustimmung.“ Während
Ralph Ellison daraus eine Haltung ableitet, die buchstäblich in den Untergrund
führt, hat Denzel Washington sich konsequent für die Zustimmung entschieden.
Sein Regiedebüt Antwone
Fisher fügt sich
in jene Reihe seiner Filme, in denen das amerikanische Militär zur Ersatzfamilie
wird. Am Ende – vor allem in den erzkonservativen Edward-Zwick-Dramen Glory,
Mut zur Wahrheit und Ausnahmezustand – sind die USA eben nicht nur die Ursache,
sondern auch die Lösung aller Probleme. Denzel Washington ist immer bereit,
solchen Geschichten bis an ihr patriotisches Ende zu folgen, zum Wohl seines
Landes. „Ich bin sehr stolz, schwarz zu sein – aber schwarz ist nicht alles,
was ich bin.“ Auf diesem Weg wurde er, mehr noch als Sidney Poitier, mit dem
man ihn oft vergleicht, zur Symbolfigur, zur Verkörperung afroamerikanischer
integrity.
Jedoch, auf diesem Weg hat der Schauspieler
Denzel Washington zusehends seine Körperlichkeit eingebüßt.
Auch der Oscar 2002 für seine Rolle als krimineller Polizist in Training
Day kann darüber
nicht hinwegtäuschen. Die Kamera tastet nicht mehr, wie etwa in Mo’ Better Blues
und noch in der ersten Hälfte von Malcolm
X, seinen nackten Oberkörper
ab. Dieser Mann ist kein Verführer mehr, und in Antwone
Fisher zeigt er sich als
bebrillter, gesetzter Navy-Psychologe in Strickjacke, der seinem Schützling
Fisher erfahren den Weg weist.
Schon 1997 gab er einen göttlichen
Gesandten (Rendezvous mit
einem Engel). Und wurde
in Ausnahmezustand Sex noch mit dem Tod bestraft (er hatte
sich mit dem muslimischen Feind eingelassen), war Washingtons Rolle in Der Knochenjäger an der Seite von Angelina Jolie vorsorglich
entschärft: Bis auf einen Finger konnte er als ans Bett gefesselter Detektiv
seinen Körper nicht mehr bewegen. Radikaler als jeder andere seiner Filme
zeigt Der Knochenjäger die Nöte des Symbols, zu dem Washington
avanciert ist: Seine Politik der Sichtbarkeit hat für Sexualität keinen
Platz. Dass dieser Schauspieler dennoch sexy ist, indem er wie verschleiert
ein „Dahinter“ verspricht, zeugt von seiner enormen Präsenz. Der Zölibat
des „schwarzen Mannes“ aber erzählt von einer neuen Unsichtbarkeit: Körperlosigkeit
ist die Bedingung, unter der Denzel Washington in einem „weißen“ System
zum Star werden konnte.
Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: DIE ZEIT vom 12.06.2003
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Antwone Fisher
USA 2002 – Originaltitel: Antwone
Fisher Story – Regie: Denzel Washington – Darsteller: Derek Luke, Denzel Washington,
Joy Bryant, Salli Richardson, Rainoldo Gooding, Yolonda Ross, Stephen Snedden
– Prädikat: wertvoll – FSK: ab 6 – Länge: 120 min. – Start: 12.6.2003
zur
startseite
zum
archiv