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Antichrist
Versuchsanordnungen
In
"Antichrist" stellt Lars von Trier die Macht-Frage. Über die
Ironie-Frage wollen wir hier schweigen.
In
erhabenem Musikvideostil stirbt, schwarz-weiß und parallel montiert mit
Händel und Sex und Waschmaschine, zu Beginn des Films ein Kind. Sie (Charlotte
Gainsbourg) und Ihn (Willem Dafoe), namenlos für den Rest des Films beide,
sehen wir in der Seligkeit gemeinsamer Lust. Mit perverser Seelenruhe montiert
Lars von Trier dazu den Weg des Kindes in den Tod wie in Trance. Und damit,
in der sadistischen Montage-Lust des Regisseurs, ist gleich im Prolog die bei
von Trier alles bestimmende, nämlich die Macht-Frage gestellt.
Immer
insistierend, immer bereit, zum Äußersten zu gehen, immer bereit
auch, sich in Widersprüche und Unklarheiten zu verwickeln, fragt Lars von
Trier wie in vielen Filmen zuvor so auch hier: Was heißt es, die Macht
zu haben? Und was folgt aus der Macht? Was folgt aus der Ohnmacht? Und wie sind
Macht und Ohnmacht ineinander gewirkt? Immer behandelt der Regisseur diese seine
Grundfrage auf (mindestens) zwei Ebenen: der des Geschehens in seinen Geschichten,
die in aller Regel Versuchsanordnungen sind. Und der des Verhältnisses
dessen, der die Geschichten inszeniert, zu seinen (seinen?) Geschichten und
vor allem den Figuren in ihnen. Manchmal bringt er, als eine Art Gott (oder
Christus; oder Antichristus), sich selbst ins Spiel, dann aber als Herr und
Teil der Geschichte zugleich, zuletzt in seiner überaus sprechend betitelten
Komödie "The
Boss of it All".
Die Macht, die der Boss hat, verdankt sich hier, nichts Dialektisches ist von
Trier fremd, seiner Abwesenheit. Anwesend und abwesend ist auch der Regisseur
selbst, der die Kameraeinstellungen einem Computerprogramm überlässt,
und zwischendurch aus einem nicht näher bestimmbaren Off spricht: einem
Off, das Olymp, Regisseursstuhl, Abseits und Jenseits gleichzeitig ist. Auch
in "Dogville" sprach jemand aus dem Off – im Original: John Hurt –
als Setzung eines allwissenden Erzählers, dem man trauen durfte oder auch
nicht.
Die
Macht, dies die essenzielle These von Triers, versteht sich niemals von selbst.
Sie ist, alte Geschichte von Herren und Knechten, immer schon verstrickt in
ihr Gegenteil, weil der Mächtige ohne den Machtlosen ohnmächtig wäre.
Aus dieser Dialektik führt kein Weg hinaus, vielmehr führen alle Wege
bei von Trier nur immer tiefer in diese Dialektik hinein wie in einen tiefen,
finsteren Wald. Da hilft es nichts, Brotkrumen zu streuen, da hilft es nichts,
das Licht der Rationalität als Laterne bei sich zu tragen, da hilft es
nichts, im Walde zu pfeifen, da hilft es nichts, Brücken hinter sich abzubrechen
und die Einsamkeit zu suchen, ja, da hilft auch die abgefeimteste Ironie nicht.
Ironie ist sogar das, was am wenigsten hilft. Ironie ist vielmehr die Machtfrage
in anderer Form, ist, genauer gesagt, die Machtfrage als Form. Keiner nämlich
bleibt Herr seiner Ironie. Ironie ist das, was die Position dessen, der spricht,
sobald er es – und sei es noch so laut und machtvoll – ausgesprochen hat, selbst
in Frage stellt. Als Ironie frisst sich die Ohnmacht in die Macht, zersetzt
die Macht und ihre Souveränität, führt von einer Ironie zur nächsten
und wer ironisch spricht, wird am Ende der Ironie ein anderer sein als der,
der im Anfang mit noch so großer Macht und Kraft die Ironie in die Welt
gesetzt hat. Darum ist es auch so verdammt schwer, wenn nicht unmöglich,
dem Mega-Ironiker von Trier eine Position, eine Haltung, eine Ideologie zuzuschreiben:
Er ist, souverän ironisch, immer schon wieder woanders. Kein Dogma gilt
ewig. Keine Regel bleibt ohne Ausnahme. Und wenn dann, zu guter Letzt, die Ironie
selbst zu sprechen beginnt, mit wessen Stimme auch immer (oder auch, wie in
der Geschichte vom "Kannitverstan": als "Wessenstimmeauchimmer"),
hat sie nur eines zu sagen: "Chaos regiert". So wird, nur zum Beispiel,
in "Antichrist" Wessenstimmeauchimmer ein Fuchs. Listig spricht der
Fuchs, wie Füchse nun einmal listig sind, aber es ist die List der ironischen
Vernunft, die hier die Wahrheitsworte spricht: "Chaos regiert".
Fangen
wir deshalb noch einmal von vorne an. Vergessen wir den Prolog, das Schwarz-Weiß,
Händel, den Schwanz in der Vagina (nicht so leicht zu vergessen, diese
Großaufnahme), vergessen wir das engelgleich stürzende Kind (nicht
so leicht zu vergessen, diese Zeitlupe), vergessen wir die Obszönität
der lustvollen Parallelmontage, die Musikvideostilisierung. Aus, vorbei, noch
mal von vorne. Lassen wir uns auf die Ironie gar nicht erst ein. Sprechen wir,
ganz einfach, einfacher geht es nicht, von Ihr und von Ihm, die das Typische
selbst sind, ohne individualisierenden Namen. Sie bricht zusammen am Grab ihres
Kinds. Er ist bei Ihr, Er bleibt bei Ihr, Er ist und wird Ihr Therapeut. Und
als Therapeut ist Er die Axt im Haus, die den Zimmermann… – nein, nein, fangen
wir gar nicht erst damit an, in Sprichwörtern und Figuren zu reden. Am
Ende werden sonst ironischerweise metaphorische Äxte noch zu ganz realen.
Es
ist doch so einfach: Er hat Sie. Sie hat Ihn. Er ist Ihr Mann. Er ist Therapeut.
Er ist dann Ihr Therapeut als Ihr Mann. Er hat die Macht des Experten. Er hat
die Macht der Sprache. Er fickt sie, als Therapeut, als Mann, wir haben die
Großaufnahme vergessen, wir haben die Zeitlupe vergessen, einzig Sie,
die Sie doch das eine wie das andere nicht gesehen hat, Sie allein kann beides
niemals vergessen. Das Trauma sitzt fest, wie eine Großaufnahme, wie eine
Zeitlupe. Dabei hat Sie beides, anders als wir, niemals gesehen. Er hat die
Sprache und Er will nicht mit Ihr schlafen und dann tut Er es doch. Er tut also
nicht, was Er sagt. (Das vergessen wir. Das wäre doch wieder Ironie: etwas
anderes sagen, als man meint. Etwas anderes tun, als man sagt.) Er hat die Macht,
Sie zu heilen. Er hat die Macht, Sie mit der Sprache zu heilen. Er hat die Macht,
Seine Macht zu missbrauchen. Geschlechterverhältnisse, Therapeutenverhältnisse,
Sprachverhältnisse, Machtverhältnisse. Was könnte einfacher sein
als diese Zweisamkeit.
Wir
haben großes Glück gehabt. Wie man es, im tiefen Wald, in der Hütte,
in Eden, auch wendet und dreht: Lars von Trier ist ganz aus dem Spiel. Nur noch
Er und Sie. Wenn das nicht das Paradies ist: Ein Lars-von-Trier-Film ohne Lars
von Trier. Kein
"Boss of it All". Keine
Stimme aus dem Off, keine sadistische Parallelmontage. Der reine Zweikampf.
Aufs Blut, aufs Messer, aber: ein Duell. Kein Dritter im Spiel. Keine Inszenierung
mehr, keine Setzung mehr: Er und Sie, allein im finsteren Wald, in dem keiner
mehr pfeift. Der Prolog ist vergessen. Die Kapitelüberschriften vergessen
wir gleich hinterher. Wir vergessen die Eicheln, deren Hagel tock-tock-tock
aus dem Jenseits dieser Geschichte auf diese Geschichte niedergeht. Wir vergessen
den Raben, der doppelt und dreifach totgeschlagen immer noch weiterkrächzt
mit wessenstimmeauchimmer. Und die Fabel von den "Drei Bettlern":
vergessen. Was für ein Segen. Der Film selbst vergisst seinen Prolog und
er vergisst, anders als zuletzt noch in "The Boss of it all", auch
seinen Regisseur. (Nun gut: "Ich bin Sie", sagt Lars von Trier, in
Interviews. "Ich verfilme meine eigene Depression." Aber das vergessen
wir auch gleich wieder. Denn dann steckte er ja doch wieder drin, ganz tief
drin, tiefer drin als in all seinen anderen Filmen. Nein, das vergessen wir
gründlich, abgrundtief gründlich. Nehmen wir einfach an: Er meint
das ironisch.)
So,
alles glücklich vergessen. Irgendwas war da noch mit einem Schleifstein.
Irgendwas war da noch mit einer Klitoris. Irgendwas war da noch mit einem Schwanz,
aus dem Blut spritzt. Nun ist’s gesagt. Und durch Benennung: vergessen. Stille.
Wessenstimmeauchimmer: schweigt. Kein Pfeifen im Wald. Kein Krächzen der
Raben. Kein sprechender Fuchs. Der Schleifstein wird nicht den Berg hinauf gewälzt,
Mal für Mal. Mit einem Wort: Wir haben uns den Regisseur Lars von Trier,
wir haben uns Ihn und Sie und wir haben uns am Ende des Films sogar Uns als
glückliche Menschen vorzustellen. Das haben wir sauber hingekriegt. Ganz
und gar leer aus geht da die Ironie. Deshalb, bevor einer widerspricht: Finis.
Vielmehr: Was für ein Happy End!
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 09.09.09 in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Antichrist
Start:
10.9. (D, CH) 2009
Dänemark, Deutschland/Frankreich/Schweden/Italien/Polen 2009. R, B: Lars von Trier. K: Anthony Dod Mantle. Sch: Anders Refn, Åsa Mossberg. A: Karl Júlíusson. Pg: IFC/Zentropa/Slot Machine/Mefis/Trollhattan. V: MFA + Filmdistribution. L: 108 Min. FSK: KJ, ff. Da: Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe.
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