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Anonyma  – Eine Frau in Berlin

Verfilmt ist das Buch einer Zeitzeugin. Sie ist nur Eingeweihten namentlich bekannt. April 1945. Berlin. Der „Schändungsbetrieb“ der Roten Armee. Ein Vergewaltiger reißt einer Frau die Kiefer auseinander und spuckt ihr in den Mund. Großaufnahme. Anonyma verlässt die Opferrolle und prostituiert sich freiwillig. Sie findet einen Beschützer. Andere tun es ihr nach. Major Andrej (Evgeny Sidikhin) tut Frauenproteste ab: „Die paar Minuten“. Dann aber spielt er Klavier bei den Frauen. Schubert. Die Soldatenklientel feiert rauschende Feste im Frauenhaus. Wodka. Krakowiak. Und sie sind freizügig. „Die Russen spielen gerne Weihnachtsmann“. Man muss sie verstehen. „Wenn die Russen das mit uns tun, was wir ihnen angetan haben, dann gibt es in Bälde keine Deutschen mehr“. – „In Bälde?“, fragt Irm Hermann zurück, „so was sagt doch keiner“. Der Major entpuppt sich als feiner gebildeter Mann. Er und Anonyma verstehen sich. Eine Beziehung. Anonyma: „Ich möchte mich bedanken, dass ich Sie kennenlernen durfte“. Fazit: „Wir Frauen sind jetzt auf Lebenszeit gestempelt, aber für den Moment fühl ich mich katzenwohl“. Deutsche Frauen haben sich dank der Roten Armee emanzipiert. Ihre Männer, zurück aus Sibirien, versagen (Selbstmord, Tobsucht). Alles gut? Nein. „Das Unglück hat die größere Fantasie“: Stalin.

 

Das Buch ist frei von Larmoyanz, kein Opfer-Pathos, aber sachlich kühl, schnoddrig, – rühmt Filmproduzent Günter Rohrbach. Doch der Film trifft diesen Ton nicht. Im Gegenteil. Der Schnitt ist getragen, bedeutungsschwer, pathetisch. Er legt Pausen ein zwischen den Sätzen, dass Blicke wandern, hin und her. Auf Fragen folgt Schweigen. Aus dem schnodderigen Zeitzeugenbericht wird das Weihespiel von Opferfrauen. Eine Schnittkatastrophe, aber immerhin die Länge für einen ZDF-Zweiteiler. Und das ist das zweite Problem. Die Darstellerinnen agieren wie in einem TV-Spiel, die russischen Schauspieler wie auf der Bühne. In einem Film, der mit gefühlter halber Geschwindigkeit projiziert wird. Verloren geht dabei der beeindruckende authentische Touch des Szenenbilds (Uli Hanisch). Verloren hat auch die Schriftstellerin Anonyma gegen die Schnittmeisterin Ewa J. Lind.

 

Es ist vorauszusehen, dass die Rezeption des Films wieder Opfer (deutsche Frauen) und Täter (Sowjets) sortiert. Das Presseheft steuert in diese Richtung. Es druckt die UN-Resolution von 2008 ab, die sexuelle Gewalt gegen Zivilpersonen verurteilt. In Ordnung das. Afrika heute! Aber was soll das beweisen? Dass die Rote Armee sich vor sechzig Jahren eines Verstoßes gegen den Beschluss des Sicherheitsrates von 2008 schuldig gemacht hat? Und: kommen die Milizen von heute aus einem Land, das von uns verbrecherisch angegriffen worden war und 26 Millionen Tote (Opfer!) zu beklagen hatte? Nochmal: so, wie der Film geworden ist und so, wie er wahrgenommen werden wird, contrakariert er das, was das Buch sagen wollte.

 

Dietrich Kuhlbrodt

 

Dieser Text erscheint auch in: Konkret 11/08

 

Anonyma – Eine Frau in Berlin

Deutschland 2007 – Regie: Max Färberböck – Darsteller: Nina Hoss, Evgenij Sidikhin, Sandra Hüller, Irm Hermann, Jördis Triebel, August Diehl, Rüdiger Vogler, Juliane Köhler, Ulrike Krumbiegel, Rosalie Thomass – Prädikat: wertvoll – FSK: ab 12 – Länge: 131 min. – Start: 23.10.2008

 

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