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An
Education
Paris
hat mehr zu bieten als die Penne
London
1961. Für
die sechzehnjährige Jenny (sensationell: Carey Mulligan) liegt der Sehnsuchtsort
jenseits des Kanals. Paris, Sartre, Camus, Beauvoir, dunkle Zigaretten, Chansons
– all dies steht in schroffem Gegensatz zum konservativen Schulsystem und den
kleinbürgerlichen Verhältnissen zu Hause. Jenny soll es bis nach Oxford
schaffen. Dafür legen sich die Eltern krumm, verlangen die Lehrer Disziplin.
Sozialer Aufstieg will durch Verzicht und Selbstdisziplinierung verdient sein.
Dagegen stehen etliche Verlockungen, nicht zuletzt die materiellen Versprechen,
die mit dem Bonvivant David (Peter Sarsgaard) verknüpft sind.
David
ist ein äußerst attraktiver Verehrer, der das neugierige Mädchen
mit in seinen bohemistischen Alltag nimmt. David ist doppelt so alt wie Jenny,
aber offenbar wohlhabend, charmant, kulturell interessiert, keineswegs bloß
lüsterner Verführer einer Minderjährigen. Selbst Jennys Eltern
vermag er aus der Reserve zu locken. Eine Heirat könnte viel Geld sparen
– richtig überzeugt ist man von der Investition in Bildung nämlich
nicht. Jenny genießt ein abenteuerliches Leben mit Partys, Theater und
Konzerten, eine (Aus-)Bildung jenseits von Schule und Elternhaus. Doch ihre
neue Freiheit birgt Risiken. In der Schule wird ihr klargemacht, dass eine junge
Frau so ihren guten Ruf ruiniert und mit Sanktionen rechnen muss.
In
ihrem neuen Film zeichnet die Dänin Lone Scherfig ("Italienisch
für Anfänger")
das begeisternd präzise und optimistische Bild eines Umbruchs. Eine Klassengesellschaft
wird durch Impulse des kulturellen Überbaus modernisiert. Obwohl der mit
1968 verknüpfte Impuls der Fundamentalliberalisierung noch nicht einmal
am Horizont erkennbar ist, entgeht Jenny der Opferrolle. Dass sie einem kleinkriminellen
Hochstapler aufsitzt, ihren guten Ruf verliert, die Schule abbrechen muss –
all das kann sie nicht mehr aufhalten.
In
einem Interview hat der Autor Nick Hornby, der nach den Memoiren der Journalistin
Lynn Barber das Drehbuch verfasste, festgestellt, das große Glück
der um 1945 geborenen Jahrgänge habe darin bestanden, dass der Aufbruch
der Sechziger die Risiken biografischer Experimente abfederte. "An Education",
bis in kleinste Nebenrollen herausragend besetzt, zeigt dies durch die Selbstverständlichkeit,
mit der er das erwartbare Melodram verweigert. Am Ende ist Jenny durch ihren
Mut zu Erfahrungen hinreichend gefestigt, um auch die folgenden, jetzt richtig
wilden sechziger Jahre zu überstehen.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: Stuttgarter Zeitung
An
Education
Großbritannien 2009 – Regie: Lone Scherfig – Darsteller: Carey Mulligan, Peter Sarsgaard, Dominic Cooper, Rosumund Pike, Alfred Molina, Cara Seymour, Matthew Beard, Emma Thompson, Olivia Williams – FSK: ohne Altersbeschränkung – Länge: 100 min. – Start: 18.2.2010
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