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Anchorman – Die Legende kehrt zurück
Roy Burgundy ist ein verkappter Meister der eigentlichen Rede. Seine Gedanken gehen ihm unbeeindruckt von Vernunft und Zeitgeist über die Lippen. Man könnte diese Retardierung als schlechte Manieren abtun, besäße Burgundys soziale Disposition nicht auch eine kulturelle Komponente. Er ist schon äußerlich als Vertreter einer aussterbenden Spezies identifizierbar. Mit seinen Polyesteranzügen, der Föhnfrisur und seinem phallokratischen Schnauzer haftet ihm auch für die siebziger Jahre der schwere Moschusgeruch einer ausklingenden Ära an. Als komödiantische Prämisse ist das nur recht und billig. Roy Burgundy darf – nicht Kraft seiner vermeintlichen Autorität, sondern legitimiert durch schiere Ignoranz – all das aussprechen, was gegen den gesellschaftlichen Konsens verstößt. Er führt seine kulturelle Differenz so selbstgewiss vor wie seine Retro-Outfits. Im gegenwärtigen Comedy-Genre fungiert Burgundy – ähnlich wie Nachrichtenkollege Borat Sagdiyev – als dialektische Figur: Seine Unerhörtheiten sind in dem Moment, in dem sie aus seinem Mund kommen, bereits als Zitat erkenntlich. Roy Burgundy ist, und das verdankt er maßgeblich seinen Schöpfern Adam McKay und Will Ferrell, ein subversiver Anarchist.
Es gibt eine Szene in „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“, die das Prinzip dieses Humors perfekt veranschaulicht. Da sitzt Burgundy beim Abendessen mit der Familie seiner Freundin und Vorgesetzten Linda. Eine weibliche Nachrichtensprecherin, die Anchorwoman – war die gesellschaftliche Revolution, die der Vorgänger aus dem Jahr 2004 in ornamentreichen Gag-Varianten thematisiert hatte. In der Fortsetzung wird die Erkenntnis, dass seine neue Vorgesetzte auch Afro-Amerikanerin ist, nur noch mit einem kurzen Tourette-Anfall abgehandelt. Roy Burgundy befindet sich mental schon mitten im kulturellen Wandel (bei seiner Ankunft in New York läuft „White Lines“ von Grandmaster Flash). Also will er in einer hochgradig absurden Umkehrung der „Rat mal, wer zum Essen kommt“-Situation die Eltern einer „Sister“, die augenscheinlich demselben gesellschaftlichen Segment wie Bill Cosbys Huxtable-Familie angehören, angemessen adressieren – und zwar in einem frei assoziierenden Gaga-„Street Jive“, den er unmöglich aus einem Blaxploitationfilm haben kann. Die Methode von „Anchorman“ ist dabei eine ganz spezielle, und niemand beherrscht sie so souverän wie Ferrell. Er wiederholt Witze einfach so lange, bis sie lustig werden (oder anfangen zu nerven). Man könnte die Dinner-Szene auch mit einem Roy Burgundy-würdigen Sprachbild umschreiben: Er prügelt noch auf den weißen Elefanten im Wohnzimmer ein, als dieser sich längst nicht mehr rührt.
„Anchorman – Die Legende kehrt zurück“ variiert die Geschichte des ersten Teils, wartet im Mittelteil aber mit einer ziemlich großartigen Pointe auf: dass Roy Burgundy und sein Nachrichtenteam (Paul Rudd, Steve Carell und David Koechner) quasi im Alleingang das moderne Nachrichtenfernsehen erfinden, inklusive Live-Verfolgungsjagden und blinkenden Infografiken. Nach einer zwischenzeitigen Phase der Erblindung wird Burgundy von seiner Ex-Frau (Christina Applegate, diesmal leider in eine Nebenrolle delegiert) zum Frontmann des neuen 24-Stunden-Nachrichtensenders GNN aufgepäppelt. Ein derart hoffnungslos aus der Zeit gefallenes Leben kann eben nur als Dauer-Comeback erzählt werden. „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“ bestätigt nebenbei die These, dass die eigentlichen Stärken von Will Ferrell der Sketch und der Cameo-Auftritt sind. Vereinzelte denkwürdige Momente bekommt Roy Burgundy aber wieder reichlich. Für die Cameos sind diesmal Harrison Ford, Jim Carrey, Will Smith, Kirsten Dunst, Marion Cotillard und Sacha Baron Cohen zuständig.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film
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Anchorman – Die Legende kehrt zurück
(Anchorman 2: The Legend Continues) – USA 2013 – 113 Minuten – Kinostart: 30.01.2014 – FSK: ab 12 Jahre – Regie: Adam McKay – Drehbuch: Will Ferrell, Adam McKay – Produktion: Judd Apatow, Jessica Elbaum, Will Ferrell, David B. Householter, Adam McKay, Kevin J. Messick – Kamera: Patrick Capone, Oliver Wood – Schnitt: Mellissa Bretherton, Brent White – Musik: Andrew Feltenstein, John Nau – Darsteller: Will Ferrell, Steve Carell, Paul Rudd, David Koechner, Christina Applegate, Dylan Baker, Meagan Good, Judah Nelson, James Marsden, Greg Kinnear, Josh Lawson, Kristen Wiig, Fred Willard, Chris Parnell, Harrison Ford
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