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Am
Rande der Nacht
Weit spannender als die Story ist die
Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren. Der junge Bensoussan, ein Araber
in Paris, handelt mit Drogen, gehört aber selbst mehr zu den Opfern als
zu den Tätern, die ihn ohne eigenes Risiko für sich arbeiten lassen.
Der ältere Lambert war früher Polizist, jetzt jobt er als Tankwart,
säuft sich jeden Tag die Hucke voll und kommt mit der Vergangenheit nicht
zurecht. Als Bensoussan, der sich von der Polizei verfolgt glaubt, in seine
Tankstelle flüchtet, da hilft ihm Lambert ohne zu zögern. Er will
die Zukunft dieses Jungen retten, denn er fühlt sich verantwortlich für
den Tod seines eigenen Sohns; der war drogenabhängig, und Lambert wollte
ihm das auf seine eigene, zu brutale Methode austreiben. In Bensoussan sieht
er die Möglichkeit gutzumachen, was er damals versäumt hat. Und so
erzählt Claude Berris Film vor allem die tragische Geschichte einer vergeblichen
Adoption.
Lamberts Bemühungen haben keine Chance,
der junge Mann wird ermordet, eingeholt von dem Milieu, aus dem ihn der ältere
herausholen wollte. Aber dieser Tod setzt Lambert noch einmal in Bewegung; er
will Rache nehmen, für den Mord an Bensoussan und für den Tod seines
eigenen Sohns – für die Zerstörung seiner Welt und seines Lebens.
Obwohl Berris Sympathien auf der Seite
der beiden Männer stehen, hat sein Film nichts
zu tun mit den vielen reaktionären Selbstjustiz-Geschichten im Gefolge
von EIN MANN SIEHT ROT. Lambert ist kein Held, sondern ein von Anfang
an gebrochener Mann, der von sich sagt, er sei schon lange tot: ein verbitterter
Alkoholiker, der seine Trauer nicht artikulieren und damit auch nicht bewältigen
kann. Und so gebrochen und illusionslos agiert auch der Kriminalkommissar, der
Lamberts Emotionen durchschaut und damit auch seine Pläne erahnt, ohne
in den Rachefeldzug einzugreifen; es kommt ihm gelegen, daß da einer gewalttätig
handelt, wo sich die Polizei ohnmächtig fühlt.
Berris Inszenierung überrascht, vor
allem im Hinblick auf seine früheren, doch recht harmlosen Lustspiele.
Nun gelingt ihm eine überzeugende Verbindung von Milieu und Figuren, die
er weit mehr durch die Atmosphäre seiner düsteren Bilder aus einer
trostlosen Vorstadtwelt erklärt als durch Dialoge. Seine Helden sind Scheiternde
in einer Nachtwelt, weit entfernt von jedweder Bürgerlichkeit. Berri schafft
auch die Balance zwischen konkreten Details und Symbolen, zwischen Realismus
und Stilisierung. Da wird es schon spannend, wenn man auf die Verwendung von
Türen achtet: Türen, die geöffnet oder geschlossen werden, durch
die Wege zu anderen Menschen hin führen oder abgetrennt werden. Türen
nach innen und außen. So weist noch in der letzten Einstellung der Blick
der Kamera über den ermordeten Lambert (hinreißend: der vordem nur
als Komiker populäre Coluche!) hinweg nach draußen, aus dem Dunkel
ins Licht.
Hans Günther Pflaum
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 2/1985
Am
Rande der Nacht
TCHAO
PANTIN
Frankreich
1983. R: Claude Berri. B: Claude Berri, Alain Page, nach seinem gleichnamigen
Roman. K :
Bruno Nuytten. S: Herve du Luze. M : Charlelie Couture. T: Jean Labussiere.
A: Alexandre Traunet Ko: Sylvie Gautrelet. Pg: Renn Productions. P: Pierre Grunstein. V:
Concorde. L: 2567m (94 Min.). FSK.- 16, ffz FBW.- wertvoll. St: 18.1.1985. D:
Michel Colucci »Coluche« (Lambert), Richard Anconia (Bensoussan),
Agnes Soral (Lola), Philippe Leotard (Bauer), Mahmoud Zemmouri (Rachid), Ahmed
Ben Ismael (Mahmoud), Pierrik Mescam (Tankstellenkunde), Mickael Pichet (Mickey),
Michel Paul (Momo), Annie Kerani (Negerin).
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