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American Sniper
Emotionaler Katalysator
130 Minuten unterkühlte Meinungsfilm-Standardsituationen bekommt man in Clint Eastwoods umstrittenen "American Sniper" serviert.
Dort drüben läuft die Mutter mit dem Kind. Hier droben lauert der Scharfschütze. Kriegsgebiet, Irak. US-Panzer rollen an, die Mutter steckt dem Kind was zu. Der Scharfschütze lauert. War es eine Granate? Der Scharfschütze lauert. Das Kind rennt auf den Panzer zu. Atmen, Gewissensbisse, der Scharfschütze – nein, drückt nicht ab. Oder doch, aber früher: match cut in die Kindheit, Jagd im Wald, ein Schuss fällt, das erlegte Reh auch. Auf das Kind im Irak wird man erst später wieder zurückkommen.
Der spätere Scharfschütze, lernt man hier, war also immer schon ein solcher. Er heißt Chris Kyle, gespielt wird er von Bradley Cooper im (wie man seit Sonntagmorgen weiß: letztendlich erfolglosen) Oscar-Overdrivemodus der Totalverkörperung mit viel Zusatz-Fett und -Muskeln, und es gab ihn wirklich: Um die 160-mal hat er im Irak getroffen, so oft wie kein anderer, danach hat er Memoiren verfasst und fiel schließlich selber einer Kugel zum Opfer. Nicht im Irak, sondern in den Staaten. Erschossen von einem anderen Veteranen. Ein Leben für die Kugel: In der Kindheit bei der Jagd, beim Militär, beim Sterben schließlich auch. Ein schicksalhaftes Leben, seufz.
Als schicksalhaftes hat Drehbuchautor Jason Hall Chris Kyles Leben in Form gebracht, als solches hat es Clint Eastwood inszeniert. Was bedeutet, dass alles schon immer ausgebreitet, alles immer schon bekannt ist: Da ist der Vater, der am Esstisch allegorisch was von Schafen und Wölfen faselt, der seinem älteren Sohn Chris aus rustikalem Männlichkeitsgehuber einen saftigen Beschützerkomplex einflüstert, der aus jenem im Irak einen Kriegshelden macht, treudoofes Ritterlichkeitsverständnis inklusive: Beim Therapeuten wurmt ihn später nicht die Zahl der Menschen, die er ins Jenseits befördert hat, sondern dass die Zahl der eigenen Jungs, die er durch beherzteren Zugriff hätte retten können, ruhig noch größer hätte sein können. Da ist auch die entbehrungsreiche Ausbildung, da sind die Gesten der Verbrüderung, natürlich der Gewissensbiss auf dem Dach und die Traumatisierung im wildesten Kampfgetümmel: "Schatz, ich komme bald nach Hause", weint er ins Telefon, als es mal so richtig rund geht. Vier Kampfeinsätze hat Kyle absolviert und von jedem kommt er ein bisschen entfremdeter zur Familie zurück. Seitens der Gattin fallen erwartbare Sätze, zu denen der Soldat ebenso erwartbar auf Pflicht und Ehre insistiert. Wenn es ums Kämpfen gegen fremde und Beschützen eigener Männer geht, haben Frau und Kind hintanzustehen. Bitter, diese Entsagung – ein echter Held.
Mag ja alles so sein. Wenn Ehen unter etwas wenig Erfreulichem wie beispielsweise Krieg zu leiden haben, ist das oft nicht schön. Nur: Kann man sich in einer ruhigen Minute tatsächlich schon einmal gedacht haben. Da braucht es keine über 130 Minuten bräsigen Abhakens unterkühlt inszenierter Standardsituationen vom gezeichneten Veteranen, verpackt in einen Film, in dem die Sachlage immer schon sortiert ist.
Seit Wochen kommt man um eine Positionierung zu "American Sniper" nicht herum: Ist der Film nun rechts (weil die Iraker kontextlos als mordgeile, entmenschlichte Vasallen hingestellt werden) oder links (weil der Film zeigt, dass Krieg eben auch auf Siegerseite ziemlich mürbe macht)? Oder beides zugleich, vielleicht sogar keins von beidem? Ein gefundenes Fressen für die oft profillose Filmkritik: Endlich mal wieder gratis Haltung einnehmen!
Wenn der Film ein Tribut an einen Kriegshelden sein soll, muss man attestieren: Das ist schon eher schwach. Wer fühlt sich von einem Film geehrt, der stets aufs Naheliegendste versessen ist und einfach bloß die Checkliste durchgeht? Na vielen Dank auch, dafür ist Kyle viermal in den Irak gezogen und am Ende in den USA verblutet? Aber Kriegsfilm? Antikriegsfilm? Eh immer eine schwierige Sache. Mehr als nur eine Spur zu sehr hat Eastwoods Inszenierung Freude an der Kriegssause, wenn die Kugeln fliegen. Wenn "American Sniper" ein Antikriegsfilm ist, dann einer der eher dümmlichen Art: "Krieg? Voll doof. Aber hey, geil, schau mal!" Für einen gestandenen Revisionistenfilm wiederum, an dem sich abzuarbeiten, von dem sich zu distanzieren, über den entsetzt sein zu können am Ende ein gewisses Maß an Freude in Aussicht stellen würde, ist das schon zu sehr Kompromiss, lauwarm in Formvollendung. Die kernigeren Faschisten des Hollywoodkinos hätten Schmackhafteres zubereitet. Schließlich will man auch vom politischen Gegner etwas geboten bekommen.
Also nun, Gretchenfrage der Kinosaison, wie hältst Du es mit "American Sniper", sprich. Ehrlich gesagt: Mir einschneidend egal, das Ganze. Der Film ist schlicht stinklangweilig und gähnend leer. Mögen andere – dem Filmgeschäft zum einträglichen Gewinn, nichts rentabler als ein Film, den viele Leute aus nur den besten Gründen von Herzen ablehnen oder befürworten – eine eindeutige, resolute, von nichts als der reinen Wahrheit und edelster Gesinnung getragene Meinung dazu kundtun. Man muss ja nicht jeden Scheiß mitmachen, weder muss man jeck in den Krieg ziehen, noch jeder vor die Nase gehaltenen Meinungsfilm-Karotte hinterherlaufen.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
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American Sniper
USA 2014 – 132 Min. – Start(D): 26.02.2015 – FSK: ab 16 Jahre – Regie: Clint
Eastwood – Drehbuch: Chris Kyle, Jason Hall, Scott McEwen, James Defelice –
Produktion: Zakaria Alaoui, Bruce Berman, Bradley Cooper, Clint Eastwood, Sheroum
Kim, Andrew Lazar, Robert Lorenz, Tim Moore, Peter Morgan, Jason Hall, Jessica
Meier – Kamera: Tom Stern – Schnitt: Joel Cox, Gary Roach – Darsteller: Bradley
Cooper, Kyle Gallner, Sienna Miller, Jake McDorman, Brian Hallisay, Luke Grimes,
Brando Eaton, Sam Jaeger, Eric Close, Keir O’Donnell, Eric Ladin, Marnette Patterson,
Owain Yeoman, Max Charles, Billy Miller, Cole Konis, Ben Reed, Elise Robertson,
Luke Sunshine, Troy Vincent, Brandon Salgado Telis, Keir O’Donnell, Jason Hall,
Leonard Roberts, Jason Walsh, Reynaldo Gallegos – Verleih: Warner Bros. GmbH
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