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The Amazing Spider Man 2: Rise of Electro

 

 

Im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit benötigt der Superheld keinen Heldenkörper mehr, ihm reicht schon ein Repertoire von aufwendigen Spezialeffekten. In einem auf Algorithmen basierenden Medium kann er selbst wieder Zeichen werden, die technischen Voraussetzungen dafür waren nie besser. Das digitale Kino hat in den letzten Jahren die Virtualisierung von Aktion und Reaktion mit einem Tempo vorangebracht, das dem Medium völlig neue Erzähltechniken ermöglichen könnte – und, will man das lächerlich exzessive Format des Blockbusters ernst nehmen, sogar müsste. In der Ära von 3D und IMAX ist am gegenwärtigen Blockbusterkino allerdings ein eklatantes Missverhältnis von Form und Inhalt zu beobachten.

Bei Marvel, den Gralshütern des „Autorencomic“ (und seit der Einverleibung in den Disney-Konzern auch ein maßgeblicher Player in der Filmindustrie), kümmert man sich vorerst noch rührend um die Traditionen. Die Marvel-Strategie setzt weiterhin auf das character building der Figuren, den Markenkern des Unternehmens: "Thor" als Mischung aus Shakespeare-Held und wagnerianischer Entgleisung, "Iron Man" Tony Stark als Jetset-Weltbefrieder mit Belastungsstörung und "Captain America" in der Rolle des kritischen Patrioten.

„Rise of Electro“, der zweite Teil des „The Amazing Spider-Man“-Franchise von Regisseur Marc Webb, muss sich dieser Konvention schon allein deswegen fügen, weil die Geschichte von Peter Parker in das Sujet des coming of age eingebunden ist. Webb kam über die Romantic Comedy ("(500) Days of Summer") eher zufällig zum Superheldenfilm. Es ist also naheliegend, dass sich seine Version von Spider-Man anders als die seines Vorgängers Sam Raimi an einem jüngeren Publikum ausrichtet, das sich für den geopolitischen Subtext, mit dem Marvel dem Superhelden-Genre zuletzt eine Relevanzinfusion verpasste, herzlich wenig interessiert.

Die Szenen zwischen Andrew Garfields Peter Parker/Spider-Man und seiner Flamme Gwen Stacy (Emma Stone) gehören dann auch zu den weniger aufregenden Momenten im Film, weil sie über typische Darsteller-Attribute wie „Chemie“ funktionieren und damit ein Identifikationsmodell imitieren, das noch auf der Psychologie des traditionellen Starkinos beruht.
Wesentlich interessanter als Spider-Man sind in „Rise of Electro“ die Gegner, was sich unter der Regie Webbs insgesamt als Problem abzeichnet. Interessanter hinsichtlich einer radikal entgrenzten Interpretation von Starkino (Paul Giamatti spielt einen stiernackigen Psychopathen mit messianischer Stacheldraht/Dornenkronen-Tätowierung und russischem Akzent), mehr noch aber als Prophezeiung des Blockbusters, den Wissensvorsprung von Digitalkino und 3D endlich auch in einen erzählerischen Überschuss an Bilderleistung zu übersetzen. Wo Webbs erster Spider-Man-Film noch einem visuellen Realismus anhing, besitzen die Actionsequenzen in „Rise of Electro“ eine digitale, artifizielle Ästhetik, die die Provenienz der Bilder wieder kenntlich macht.

Diese Entscheidung ist insofern programmatisch, da auch Electro, Spider-Mans Hauptgegner, als reines Mediendesign konzipiert ist: ein von pulsierenden Äderchen durchzogenes, bläulich illuminiertes Energiefeld mit menschlichen Proportionen (Jamie Foxx bleibt unter diesem Spezialeffekt gerade noch erkennbar), das sich bei Bedarf entmaterialisieren und in das Stromnetz von New York einspeisen kann. Die Hoheit über die Stadt besitzt, wer die Macht über das allegorische grid, das unterirdische Versorgungssystem, hat.
An diesem Punkt verweist „Rise of Electro“ auf einen anderen Blockbuster der letzten Zeit, der den Machtdiskurs ebenfalls in die Schaltkreise verlagerte. Während „
Tron: Legacy“ aber die Form eines Videospiels adaptierte, sind die Actionszenen von „Electro“, ausgestattet mit äußerst effektiver und sinnträchtiger 3D-Technik, ein ziemlich irrer psychedelischer Trip: ein Rausch an Sound, Farben, Lichtwellen und elektrischen Impulsen, der auf synästhetische Immersionseffekte abzielt. Das Kino als bewusstseinserweiternder Isolationstank.

Diese knapp zwanzig Minuten, in denen Jamie Foxx erst den kompletten Times Square lahmlegt und später ein Stromkraftwerk in einen gigantischen Lichtflipper (mit Spider-Man als Kugel) verwandelt, ergeben das perfekte Showreel für ein künftiges 3D-Kino. Man müsste dann nur noch eine sinnvolle Aufgabe für die Schauspieler finden. „The Amazing Spider-Man – Rise of Electro“ erklärt den Superheldenkörper für überflüssig.

Andreas Busche

Dieser Text ist zuerst erschienen in: der freitag

The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro
(The Amazing Spider-Man 2) – USA 2014 – 143 Minuten – Start(D): 17.04.2014 – FSK: ab 12 Jahre – Regie: Marc Webb – Drehbuch: Steve Ditko, Alex Kurtzman, Stan Lee, Roberto Orci, Jeff Pinkner, James Vanderbilt – Produktion: Avi Arad, Matthew Tolmach – Kamera: Daniel Mindel – Schnitt: Elliot Graham, Pietro Scalia – Musik: Hans Zimmer, Pharrell Williams – Darsteller: Emma Stone, Andrew Garfield, Jamie Foxx, Felicity Jones, Sarah Gadon, Paul Giamatti, Dane DeHaan, Sally Field, Martin Sheen, Marton Csokas, Stan Lee, Chris Zylka, Denis Leary, Chris Cooper, B.J. Novak – Verleih: Sony Pictures

 

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