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Altiplano
Volle Kanne poetisch
Mordsmäßig metaphysisch kommt das Blindenerlösungswerk
"Altiplano" des Regieduos Brosens
& Woodworth daher: Ungutes tut sich im peruanischen Hochandenland.
Die Filmemacher Peter Brosens und
Jessica Woodworth wissen, einerseits, was sie tun. Ihr Film "Altiplano" hat mit Absicht zwei Seiten, von denen sie glauben, sie passten
zusammen: brutales Message-Kino zum einen, brutaler Spiritualismus zum anderen.
Heraus kommen schöne Bilder von bösen Dingen, symbolische Überformung
sozialen Missstands, Anklage und Überwältigung. Der Reihe nach geht
das so:
1) Message-Kino. Hoch in den Anden erblinden die Menschen.
Unglück kündigt sich an. Bei einer Prozession bringen Kinder, die
eine silbern glänzende Lache entdecken, die Träger einer Marienfigur
bei einer Prozession zum Straucheln. Die Gottesmutter zerscherbt.
Ein blinder (sic!) Mann fügt sie im Lauf des Films wieder zusammen. Ärzte
aus entwickelteren Weltgegenden versuchen unterdessen vor Ort die Erblindenden
zu heilen. Diese Ärzte sind auf Grauen Star spezialisiert und als immer
mehr keineswegs Linsengetrübte, sondern Sehnerventzündete zu ihnen kommen, ahnen sie, dass etwas nicht stimmt. Die Menschen
werden vom Quecksilber vergiftet, das in den Bergen ohne Rücksicht auf
mögliche Kontaminationen abgebaut und von staubaufwirbelnden Lastern talwärts
transportiert wird. Saturnina (Magaly Solier), die Protagonistin dieser Filmhälfte, verliert
ihren Verlobten und trinkt, sich dabei filmend, in Märtyrerabsicht aus
dem Quecksilberfläschchen. Dies ist der eine Teil der Geschichte, dem ein
anderer recht gewaltsam zugeführt wird.
Grace (sic!) ist Kriegsfotografin im Irak. Vor ihren
Augen wird ihr Stringer Omar getötet. Seine Mörder zwingen sie, diese
Tat zu fotografieren. In einer nach oben offenen Kirche, die glatt bei Tarkowski geklaut ist ("Hommage"), sitzt sie, zurück in der
Heimat, mit Max (Olivier Gourmet), ihrem Mann, und mit Familie und Freunden
zu einem letzten Abendmahl vor seiner Abreise (als Augenarzt in die Anden) zusammen
und diskutiert ethische Fragen der Kriegsfotografie. Sie hat das von Omars letztem
Moment geschossene Foto tatsächlich publiziert und ist nun damit für
den Pulitzer-Preis nominiert. Skrupel hat sie nun, etwas spät, sollte man
meinen. Ihr Mann erklärt ihr in der für den Film typischen überdeutlichen
Weise, dass unabhängige Kriegsfotografinnen wie sie sehr wichtig sind.
Später sehen wir auf einer Art Privataltar in Grace’ Wohnung das Foto als
größtes unter kleineren: ein typischer Fall geschmäcklerisch-monumentaler
Kriegsfotografie. Dann ist Grace’ Mann in Peru und schickt ihr Videobotschaften.
Dann ist er tot und Grace reist ins Erblindungsgebiet.
2) Spiritualität. Brosens und
Woodworth wollen, erklären sie im Presseheft, keinen Exotismus.
Sie wollen nur die Spiritualität und Mystik, die es in den nicht so gründlich
säkularisierten Weltgegenden noch gibt. Also zum Beispiel in den Anden.
Peter Brosens ist der Ausbildung nach Ethnologe, aber gut, manche
von denen haben sich immer schon gerne hintendrauf zu den Hexen auf den Besen
gesetzt. Jessica Woodworth hat Dokumentarfilm studiert und dabei sichtlich viel
zu viele Filme von Tarkowski, Angelopoulos und Artverwandten gesehen und nicht richtig
verdaut. "Altiplano" ist stilistisch epigonal, Tarkowski und
Angelopoulos light, soll heißen: volle Kanne poetisch in kunstgewerblicher
Weise. Sagt der kleine Junge im Andendorf zur gerade vom
Hund gebissenen Grace: Nimm diesen Stein, er trägt für dich deinen
Schmerz. Tief und dunkel ist der Brunnen der falschen Weisheiten, in den sich
der Film Kopf voraus stürzt.
Harte Arbeit im Weinberg der Mystifizierung leistet die
Kamera, in sanfter Bewegung, auf abgezirkelten Wegen produziert sie Bilder,
die überwältigen sollen. Andenbilder, Eingeborenenbilder,
Verdunkeltemenscheninwilderlandschaftherumstehbilder. Rabiate Zerstörung der Realität durch fortgesetzte
Schönheitsbehauptung. Erschwerend hinzu kommt: Wer von der Tonspur schweigt,
lügt. Chorlaute, orffisch. Sakraler Mariengesang. In jeder einzelnen Einstellung
sieht und hört man dem Film an, dass er was so Großes
sein will, wie kein Film je sein kann.
3) Und wie passt das eine zum andern – die bildproduktionskritische
Umweltbotschaft zur epigonalen Großpoesie? Die Antwort ist einfach: ganz
und gar nicht. Das eine borgt illegitim beim anderen, was es nicht hat. Die
Ästhetik eilt bildfromm der Ethik zu Hilfe und schlägt sie "versehentlich"
tot. Die Ethik steckt in der Ästhetik wie der Türke im Schachautomaten.
Im Endergebnis ein ästhetisch-ethischer Kuhhandel, der Schlichtheit mit
Schlichtheit vergilt. Selig sind die Einfältigen, denn sie schauen das
Himmelreich. Wunder geschehn am Quecksilbersee.
P.S.: Eine Szene gibt es, in der man eine Ahnung davon
bekommt, was im günstigen Fall aus "Altiplano"
hätte werden können: große Oper in Camp-Manier. In Krämpfen
windet sich, während von rechts durch das Fenster im nachgemalten Altmeisterstil
Licht einfällt, die sterbende Saturnina. Plötzlich
aber kippen die Wände des Hauses, als wären sie reine Bühnendekoration
(was sie sind), zur Seite und strahlend liegt die nunmehr (vorübergehend)
Tote im taghellen Andenlicht. Ein Bild, das die Künstlichkeit seines Effekts
endlich einmal nicht leugnet, sondern geradezu ausstellt. Während für
den Rest des Films jedes der von Brosens und Woodworth gehandhabten Mittel des Kinos aufs Heiligmäßige rauswill, zu diesem Behuf seine Gemachtheit gewaltsam verleugnet
und durch Jenseitsbehauptung kompensiert, ist hier für einen Schlag sichtbar,
wie diese Mystik-Etüde gebaut ist. Und umgekehrt gilt: Weil sie die Mittel
des Kinos und seine Effekte zur ästhetischen Gegenaufklärung verwenden
und den dabei herauskommenden Überwältigungskitsch mit Fleiß
für echte Spiritualität halten, wissen die Filmemacher Peter Brosens und Jessica Woodworth, andererseits, eben nicht, was sie tun.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Altiplano
Belgien / Deutschland / Niederlande 2009 – Regie: Peter
Brosens, Jessica Hope Woodworth – Darsteller:
Jasmin Tabatabai, Magaly Solier, Olivier Gourmet, Behi Djanati Atai, Edgar Alcides Condori, Sonia Loaiza Roja – FSK:
ab 12 – Länge: 105 min. – Start: 24.6.2010
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