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Als wir träumten
Die Halbstarken von 1989
Andreas Dresen hat Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“ verfilmt. Er gibt in Leipzig Vollgas – und verliert den Überblick.
Der Schriftsteller Clemens Meyer war zwölf Jahre alt, als die Mauer fiel. Als er seinen Debütroman schrieb, bis zum Bersten gefüllt mit Geschichten von Jugendlichen, die in der gedanklichen und realen Trümmerlandschaft der untergegangenen DDR nach einem Weg suchen, war er noch keine dreißig. Eine Pubertät, die mit einem gesellschaftlichen Umbruch zusammenfällt – das ist ein starkes Narrativ. Genauso stark wie das Narrativ von einem Schriftsteller, der, jung und wild, scheinbar aus dem Nichts auftaucht und dem Lesepublikum zeigt, was eine Harke ist. Bei Meyers Debütroman, „Als wir träumten“, kamen 2006 beide Narrative zusammen. Seitdem steht Clemens Meyer im Verdacht, ein Schriftsteller zu sein, der – von des Gedankens Blässe unangekränkelt – aus der harten, vom Wohlstand abgehängten Wirklichkeit berichtet.
Andreas Dresen möchte nun in seiner Verfilmung vor allem das Rohe, Ungeschliffene, Anarchische dieses Romans auf die große Leinwand transportieren. Das Wilde – das ist der Schatz dieses Buches, den es für Dresen filmisch zu heben gilt. Eine Alternative wäre gewesen, mit der Kamera etwas forschender an diese Jugendlichen heranzugehen oder aber diese Lebensschicksale melodramatisch ernst zu nehmen. Aber nun gut. Wildes Träumen, elendes Scheitern in den noch kopfsteinpflasterrohen Leipziger Vororten der frühen neunziger Jahre also.
Wie zeigt Andreas Dresen das? Zunächst gibt der Film vor allem
Vollgas. Nichts gegen Szenen, in denen besoffene Jugendliche in geknackten Autos
durch die Straßen rasen, weil sie der engen Welt der DDR entkommen sind.
Aber für ihre Gruppendynamik nehmen sich die Szenen keine Zeit, immer müssen
die Schauspieler beweisen, wie rebellisch sie sind. Und es sind irgendwie altbackene
Muster von einem Halbstarkendasein: Das Mädchen zwischen zwei Jungsbanden.
Das Motiv des Freundesverrats. Verfolgungsjagden, in denen eine Jungshorde hinter
der Hauptfigur herrennt. Oft hat man den Eindruck, als würde hier ein Gangfilm
der fünfziger Jahre in die Kulisse der DDR-Altbausubstanz verpflanzt.
Das liegt zum einen an der Regie. In seinen bisherigen Filmen, „Halbe Treppe“,
„Wolke 9“, „Sommer vorm Balkon“,
hat Andreas Dresen gezeigt, dass er intime Situationen gut auflösen kann.
In den Gruppenszenen von „Als wir träumten“, wenn die Clique beim Saufen
im Keller gefilmt wird oder beim Feiern im Technoclub, verliert er den Überblick.
Der Säufer, der in dem Club hilflos sein Leben wegballert, ist mindestens
eine Spur zu pittoresk in Szene gesetzt. Die Nazi-Horde, die die Jugendlichen
auf Schritt und Tritt verfolgt, sieht, sorry, wie für einen sozialkritischen
„Tatort“ gecastet aus. Lustig nur, dass der Anführer Kehlmann heißt;
aus seiner Ablehnung des Autorenkollegen Daniel Kehlmann hat Clemens Meyer eine
Zeit lang keinen Hehl gemacht. Wenn der Film in der zweiten Hälfte endlich
ruhiger wird, verheddert er sich in den vielen Geschichten, die nebeneinander
erzählt werden. Der Junge namens Pitbull, der vom gehänselten Dicken
zum Dealer wird. Das Mädchen namens Sternchen, die Klassenschönste
war und in einer Stripbar landet. Rico, der Boxer, der einmal eine große
Chance bekommt und sie versemmelt. So viele Geschichten, die angerissen, aber
nicht ernst auserzählt werden.
Andreas Dresen wäre bestimmt ein toller Regisseur für manche
Episoden einer ambitionierten Fernsehserie gewesen, die man aus dem Roman auch
hätte machen können; mit Zeit für die Figurenentwicklung. Aber
für die große Orientierungslosigkeitsoper in zwei Stunden mit ihrer
Dialektik von Aufbruch und Scheitern, die der Film ja sein will, ist das alles
zu ungenau.
Dass das alles etwas nach fünfziger Jahre riecht, liegt auch am Drehbuch.
Wolfgang Kohlhaase hat es geschrieben, der große, alte Mann des Defa-Films
(„Berlin – Ecke Schönhauser“, 1957). Kohlhaase war 14 Jahre alt, als 1945
Nazideutschland unterging. In einem Interview zu „Als wir träumten“ weist
er selbst, in aller Vorsicht natürlich, auf Parallelen hin: „Verhältnisse
wurden völlig neu geordnet, und alte Regeln galten nicht mehr. Pubertät
und Weltgeschichte fielen zusammen.“ Das erklärt vielleicht die Macken,
die „Als wir träumten“ hat. Der Film steckt dramaturgisch viel zu sehr
in der Nachkriegswelt nach 1945, als dass er sich auf die Nachwendewelt von
1989 einlassen könnte.
Dirk Knipphals
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Als wir träumten
Deutschland 2015 – 117 Min. – Kinostart(D): 19.02.2015 – FSK: ab 12 Jahre – Regie: Andreas Dresen – Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase, Clemens Meyer – Produktion: Olivier Père – Kamera: Michael Hammon – Schnitt: Jörg Hauschild – Darsteller: Pit Bukowski, Joel Basman, Ruby O. Fee, Merlin Rose, Gerdy Zint, Dorothea Walda, Peter Schneider, Henning Peker, Marie Luise Stahl, Ramona Kunze-Libnow, Julius Nitschkoff, David Berton, Ronald Kukulies, Joachim Nimtz, Clemens Meyer
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