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Allein die Wüste

 

 

Zwangserwärmung

Regen, Kälte und kein Ende. So schmeckt der Sommer. Filmemacher Dietrich Schubert tut genau das Richtige: Er packt sein Zelt und fährt dahin, wo die Hochs sich die Klinke in die Hand geben. In die marokkanische Wüste, die Ende September mit Temperaturen von teilweise über 40 Grad ziemlich überdeutlich an Sommer erinnern, "wie er früher einmal war" (Rudi Carrell). Zugegeben, bei Schuberts Selbstversuch handelt es sich eher um eine selbstverordnete Zwangsisolation als um eine Rückerwärmung, die selbstgestellte Frage lautet: Wie lange kann ich die Wüste, wie lange kann ich mich ertragen?

Mit Mineralwasser, Brauchwasser und Verpflegung für etwa zwei Monate ausgestattet, kampiert Schubert neben einer Akazie, lässt sich die Sonne auf den Pelz scheinen und den Sandsturm um die Nase wehen. Er füttert täglich eine benachbarte Maus, damit sie ihn nicht mehr nachts durch ihr Knabbern wecken soll, nennt sie fantasiebegabt "Herr Maus", und einen geselligen kleinen schwarzweißen Vogel, arabischer Name "Mula Mula", nennt er "Frau Mula Mula".

Entstanden aus der Idee, primär einen Selbsttest zu machen, sekundär darüber eventuell diesen Film zu drehen und tertiär diesen Film eventuell zu vermarkten, wirkt das Werk etwas unentschlossen und streckenweise ähnlich lethargisch wie sein Protagonist, Regisseur, Ton- und Kameramann in Personalunion, der ganz erstaunt berichtet, dass er es fertigbringt, stundenlang einfach da zu sitzen und in die erstaunlich vielseitige und vielfarbige Wüste vor dem Panorama hoher Berge zu schauen, ohne sich zu langweilen und ohne auch nur einmal ein Buch oder den Weltempfänger zu gebrauchen: Eine für den Siebzigjährigen sicherlich kathartische Erfahrung ("Die Wüste ist eine Dusche für die Seele"), für den Zuschauer aber nur schwer optisch vermittelbar, besonders wenn der Selbstfindungsreisende ein doch weniger eloquenter und exhibitionistischer Mensch ist, als es dem Film gut täte.

Es wäre z.B. aufschlussreicher gewesen, hätte Schubert einmal die Kamera auf seine alltäglichen Verrichtungen gerichtet: Aufstehen, Waschen, Frühstücken, nur verbal erfahren wir von ihm, dass er stets versucht, die Stille in der Wüste nicht zu stören, indem er beim Abwaschen jedes laute Klappern vermeidet. Fast nichts erfahren wir über seine mitgebrachten Nahrungsvorräte, nur indirekt und zufällig, wenn Schubert "Herrn Maus" mit Rosinen aus seinem Müsli füttert.

Dass die Wüste viel mit Selbsterfahrung zu tun hat, zeigen, wenn schon nicht dem Träumer selbst, dann wenigstens dem psychologisch interessierten Zuschauer, Schuberts Gewaltträume, die ihn überfordern, die zu Fluchtträumen werden; für jemanden, der als Kind selbst Flüchtling war, ist von Flucht zu träumen, nichts unbedingt Abwegiges. Und auch ein Traum von einem großen schwarzen Hund, der bald für immer eingesperrt wird, geträumt  am Ende seines Aufenthaltes, spricht eine deutliche Sprache. Schubert brauchte offenbar erst einen Psychologen, der ihm erklären musste, dass er hier von sich selbst träumte.

"Allein die Wüste" wäre vielleicht besser ein privates Erlebnis/Unternehmen geblieben. Für ein Interesse von größerer Tragweite fehlt es entweder an einer, sagen wir es ruhig, interessanteren Hauptfigur oder aber an einem Regisseur, der das kathartische Element, die Wüste, bewusst in den Mittelpunkt des Vermittlungsinteresses zu stellen versucht. Das aber hätte bedeutet, eine Intensität der Stille, der Sandstürme, der Weite zu zeigen, die nicht immer wieder durch Kommentare gestört würde, die man auf jedem Campingplatz vernehmen kann: "Wenn der Wind so bleibt, werde ich morgen wieder abreisen!"  

Benotung des Films: (5/10)

Andreas Thomas

Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de

 

Allein die Wüste
Deutschland 2011 – 85 min.
Regie: Dietrich Schubert – Produktion: Dietrich Schubert, Stefan Schuster (Postproduktion) – Kamera: Dietrich Schubert – Schnitt: Dietrich Schubert – Verleih: Real Fiction – FSK: ohne Altersbeschränkung – Besetzung: Dietrich Schubert
Kinostart (D): 19.07.2012

 

 

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