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Alle
anderen
Maren Ades Wettbewerbsfilm "Alle
Anderen" erkundet jede mögliche Gasse und Sackgasse zwischen Ironie
und Postironie
Vielleicht fängt man am besten mit
Herbert Grönemeyer an, ausgerechnet. Kürzlich las ich ein Interview,
das Jens Balzer mit Antony Hegarty führte, für die Spex. Antony Hegarty
– bekannt als Sänger von "Antony and the Johnsons" – wird derzeit
sehr gefeiert als Transgender-Künstler, der Künstlichkeit und Pathos
zu bewegenden Songs zu verbinden versteht. Im erwähnten Interview kommt
Balzer auf eine Zusammenarbeit Hegartys mit Herbert Grönemeyer zu sprechen
(sic!) und Hegarty fragt in aller postironischer Unschuld zurück: Finden
Sie Grönemeyer etwa nicht gut? Balzers schriftliche Antwort lautet, aus
der Erinnerung, ungefähr: "Hmmm…"
Musik von Grönemeyer ist in einer
der dichtesten Szenen von Maren Ades Film "Alle anderen" zu hören.
Es geht um Liebe, ich weiß nicht, wie das Lied heißt, ich finde
Grönemeyer ja auch unerträglich. So einfach ist das hier aber nicht.
Versammelt sind im Zimmer der Eltern von Chris (Lars Eidinger) die vier Personen,
auf die sich – alle anderen aussparend – Maren Ade in aller Radikalität
konzentriert. Diese dramatis personae sind: Chris, ein, nach allem was wir erfahren,
zwar brillanter, aber wegen Kompromisslosigkeit nicht sehr erfolgreicher Künstler.
Seine Freundin Gitti (Birgit Minichmayr), PR-Frau bei der Musikfirma Universal.
Die beiden stehen, bis zur Klaustrophobie, im Zentrum des Films. Als Reflektorfiguren
eher denn als wirklich gleichberechtigte Spielpartner agieren Hans (Hans-Jochen
Wagner), ein kompromissbereiterer Künstler mit sehr viel mehr Erfolg, und
seine Freundin Sana (Nicole Marischka), eine offenkundig auch eher gefragte
Modedesignerin.
Bei zwei Abendeinladungen begegnen sich
die beiden Paare und bei beiden Gelegenheiten werden zuvor in geradezu übergenauen
Details latent bleibende Probleme von Chris und Gitti manifest. Sie sprechen
hier aus, was ihnen sonst auszusprechen nicht gelingt. Auf hohem Niveau nicht
gelingt und immerzu nicht gelingt und teils sehr wortreich nicht gelingt. In
gewisser Weise geht es nämlich immerzu um nichts anderes als das: einen
Ausdruck zu finden für das, was man empfindet; oder sich im Ausdrücken
klar darüber zu werden, wie es einem mit dem anderen eigentlich geht. Darum,
weil hier nichts gesagt werden muss, ist die Musik auch so wichtig (mehrfach
im Film). In der erwähnten Grönemeyer-Szene facettieren sich die Reaktionsmuster
auf aufschlussreiche Weise: Während Sana Grönemeyers sehr direkte
und eben auch sehr grobe Gefühlsansprache einfach gut findet (aber weiß,
dass sie nicht dürfte) – und Hans Herbert Grönemeyer (und Sanas Reaktion)
einfach peinlich ist ("Folter"), sieht man Chris und Gitti genau in
jener unentschiedenen Mittellage der Gefühle zwischen Ironie und Postironie,
die auch ihre Beziehungs- und Streitkultur bestimmt. Sie finden es, kurz gesagt,
eher arrogant, ihr Wissen darum, dass Grönemeyer peinlich ist, gegenüber
Sana zum Ausdruck zu bringen und verachten deshalb eher Hans, auf dessen Seite
sie geschmackshalber eigentlich stehen.
Die beiden sind Virtuosen des Spielerischen,
des Nicht-Ganz-Ernstnehmens, des Verlagerns ihrer Gefühle und Probleme
auf Ersatzobjekte (eine Ingwerwurzel namens Schnappi ist da von einiger Bedeutung).
Auf diese Weise verstehen sie sich gut, können aber selbst nie so genau
sagen, ob man sich auf diese Weise überhaupt wirklich verstehen kann. Wie
zum Beispiel kann man sich ironisch streiten? Und wie sagen, was man meint,
ohne immer die Ausflucht offenzuhalten, dass es so ja gar nicht gemeint war?
Und wie gelangt man zu einem postironischen Ernst, ohne auf die Grobheiten des
exemplarischen Gegenpaars Sana und Hans zurückzufallen? Lässt sich
gar – und das ist eine Frage, die nicht nur das Paar, sondern unweigerlich auch
den ganzen Film betrifft – mit einem postironischen Pathos von all diesen Verwicklungen
dann ganz direkt wieder so singen, wie das Antony Hegarty gelingt?
Dies zu tun, also noch einmal eine andere
Verständigungsebene zu finden, das gelingt Chris und Gitti nicht. Darum
hat der Film auch ein offenes Ende. Und weil auch Maren Ade aus dem postironischen
Dilemma keinen anderen Ausweg findet, als den, aber auch jede mögliche
Gasse und Sackgasse zu erkunden, bleibt "Alle anderen" zwar eine hoch
virtuose Angelegenheit, zu der überdies Birgit Minichmayr als Gitti hinzutut,
was sie an schauspielerischem Herzblut zu bieten hat. Hinaus aber aus dem ewigen
Kreisen und Schwanken und der passiv-agressiven Ironie dieses Lebens findet
der Film nicht. Er ist eine ungeheuer genaue und geduldige und darum immer wieder
faszinierende Diagnose von Befindlichkeiten, deren sozialer und ästhetischer
Ort genau angebbar ist. Man kann das "Alle Anderen" zum Vorwurf machen
– muss dabei aber schon selbst sagen, von wo aus genau man selbst blickt oder
spricht.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist anlässlich der Berlinale 2009 zuerst erschienen am 09.02.2009 im www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Alle
Anderen
Deutschland
2008 – Regie: Maren Ade – Darsteller: Birgit Minichmayr, Lars Eidinger, Hans-Jochen
Wagner, Nicole Marischka, Mira Partecke, Atef Vogel, Paula Hartmann, Carina
Wiese – Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ab 12 – Länge: 119 min.
– Start: 18.6.2009
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