zur startseite
zum archiv
Alle
Anderen
Freiheit
tut weh
Szenen wechseln unvermutet ihre Temperatur:
Der Film "Alle Anderen" ist kühner als seine Figuren und lässt
den Diskurs darüber, wie man dem Liebesgefühl Ausdruck verleiht, anklingen
Für einen Augenblick findet jedes
Ding einen festen Platz. Ranken, Raubkatzen und Blüten bilden das Ornament
auf einem orientalischen Teppich. Die Kamera schaut frontal darauf, im Off zwitschern
Vögel, man blickt auf das Muster wie auf die Karte eines labyrinthischen
Gartens, angelegt in vollkommener Symmetrie und Harmonie.
Doch kaum ist dieses erste Bild von "Alle
Anderen" vergangen, ist nichts mehr an seinem Platz. Maren Ades zweiter
Langfilm nach "Der
Wald vor lauter Bäumen"
erforscht, wie es ausschaut, wenn feste Ordnungen hinfällig, Lebensentwürfe
offen, gesellschaftliche Rollen überkommen sind. Auf die allgemein-theoretische
Frage, welche Subjektpositionen unsere Gegenwart zulässt, findet er im
Detail stimmige Antworten; seine Figuren lässt er ein Battle of Geschmack
und Geschlecht austragen, was anzuschauen mal todtraurig, mal hochkomisch ist.
Chris (Lars Eidinger) und Gitti (Birgit
Minichmayr), ein Paar Anfang 30, verbringen die Ferien auf Sardinien im Haus
von Chris’ Eltern. Er ist Architekt, seine hohen Ansprüche reiben sich
an der schlechten Auftragslage, was für ihn den Nachteil hat, dass er sich
erfolglos vorkommt, und den Vorteil, dass er seine Ideale nie mit einer widerständigen
Praxis in Einklang bringen muss. Sie macht Öffentlichkeitsarbeit für
einen ansässigen Musik-Major, ihre Berufstätigkeit ist jedoch, im
Gegensatz zu seiner, selten Gesprächsthema. Die beiden ringen mit sich
und ihren Optionen: Wie wollen sie ihr Leben führen? Wie ein Paar sein?
Wie ein Mann sein, wie eine Frau? Welche Kompromisse wollen sie eingehen, welche
nicht? Wenn diese Fragen sie, was oft der Fall ist, erschöpfen, hilft ihnen
der Rückgriff aufs Kindsein. Eine Ingwerknolle namens Schnappi leistet
ihnen gute Dienste bei der süßen Regression.
Vor allem machen Chris und Gitti eine
schmerzliche Erfahrung. Die Freiheit, sich selbst zu entwerfen, tut doppelt
weh: zum einen, weil man, sobald man sich für etwas entscheidet, die Möglichkeit,
etwas anderes zu tun und zu sein, einschränkt, zum anderen, weil es jenseits
dieser Freiheit ein Außen mit eigenen Regeln gibt. Das wahrzunehmen wird
vom Gefühl, frei zu sein, verstellt. Je weniger das Außen erkannt
wird, umso ungehinderter übt es seine Zwänge aus. Klar kann man alles
anders machen als die anderen, aber irgendwie macht mans dann doch so wie sie,
weil es leichter geht, akzeptierter ist oder weil man es mit der Angst zu tun
bekommt.
Dieses Dilemma fängt Ade in wunderbaren
Miniaturen ein, ohne die Figuren wie aufgespießte Insekten vorzuführen,
aber auch, ohne mit ihrer Ratlosigkeit gemeinsame Sache zu machen. Das allein
ist eine große Gabe, und so nimmt es nicht wunder, dass die junge, in
Berlin lebende und im Umfeld von Regisseuren wie Valeska Grisebach, Henner Winckler
und Ulrich Köhler arbeitende Regisseurin bei der Berlinale den Großen
Preis der Jury und die Darstellerin Birgit Minichmayr einen Silbernen Bären
erhalten hat.
"Steht dir eigentlich ganz gut",
sagt die Schwester zu Chris, als der ihr wenige Monate altes Kind im Arm hält,
und so dahingesagt der Satz auch ist, so steckt doch eine soziale Erwartung
darin. Gitti ihrerseits gibt sich rebellischer, in einer tollen Szene bringt
sie der vielleicht fünf Jahre alten Tochter von Chris Schwester bei, "Ich
hasse dich" zu sagen. Das Kind steht am Pool, schreit aus vollem Hals,
bis ihm der Hass tatsächlich in den Augen blitzt. Wenn Gitti später,
bei einem Abendessen mit Bekannten, dem gönnerhaft auftretenden Gastgeber
Paroli bietet, erwidert der: "Du bist ja eine ganz schöne Brunhilde."
Chris stimmt ein: "Du bist so peinlich." Zu diesem Zeitpunkt hat sich
Gitti schon ein feminin geschnittenes Kleid gekauft, um eine andere Rolle auszuprobieren
– und auch, um ihren nachlässigen, großartigen American-Apparel-Sex-Appeal
zu zähmen.
Der Film selbst ist kühner als die
Figuren, er nimmt sich die Freiheit, in der sich Gitti und Chris nur wähnen,
indem er seine Sequenzen jeweils für jede Möglichkeit offenhält.
Szenen wechseln unvermutet ihre Temperatur und ihre Richtung, etwa wenn sie
vom Komischen ins Tragische und von dort zurück ins Komische kippen. Die
Figuren agieren in einem Augenblick infantil und im nächsten reif, sie
probieren Posen und Sätze aus, verwerfen oder ironisieren sie und meinen
sie schließlich doch ernst.
Wie das konkret vonstatten geht? Zum Beispiel
so: Hans (Hans-Joachim Wagner) und Sana (Nicole Marischka) kommen zu Besuch.
Chris und Gitti haben die süße Verliebtheit der ersten Szenen verspielt;
sie sind in eine schwierigere Phase ihrer Zweisamkeit eingetreten, eine Wanderung
ist missglückt, das erste Abendessen mit Hans und Sana, dem etablierten
Architekten und der schwangeren Modedesignerin, hat einen hässlichen Verlauf
genommen.
Nun werden die Gäste durchs Ferienhaus
geführt, das mit kitschigen Gegenständen vollgeräumt ist. Die
komfortablen Vermögensverhältnisse von Chris Eltern stehen in keinem
Verhältnis zu ihrem Geschmack – der stützt sich auf Rattan, Blumenmuster,
Messingstangen und jede Menge Chichi. Welche Objekte, welches Design, welcher
Stil angemessen sind, diese Fragen verhandeln die Figuren ohne Unterlass; immer
wieder wird guter, avancierter Geschmack gegen schlechten Geschmack in Stellung
gebracht. Daran knüpft sich ein subtiles Spiel von Abgrenzung und Machtausübung.
"Anything goes" gilt eben nur in der Theorie, in der Praxis geht vieles
nicht. Nicht mal im Spaß stellt man eine Suppenschüssel in Form und
Farbe einer Tomate auf den Esstisch, und es ist sicher kein Zufall, dass Chris
die leicht prolligen Bekannten mit dem Motorboot meidet, während er den
für das berufliche Fortkommen wichtigen Hans hofiert. Dass Hans verfeinerter
Geschmack in Sachen Champagner und Architektur im eklatanten Missverhältnis
zu seinem Mackertum steht, ist dabei nur einer von vielen Nebenwidersprüchen.
Auf dem Höhepunkt der Hausführung
betreten die vier das Zimmer von Chris Mutter, in dem zahlreiche kleine Vogelfiguren
stehen. Hans macht sich lustig, Sana ruft: "Das ist alles so sehnsüchtig
hier." Ein Lied von Grönemeyer wird gespielt: "Ich hab dich lieb,
so lieb". Die Kamera schaut sich Chris, Hans und Sana in einer halbnahen
Einstellung an, Gitti steht in einer anderen Einstellung allein, der Kameramann
Bernhard Keller isoliert sie von den anderen. Nach einer Weile ändert sich
das Gefüge, Hans und Sana sind in einem Bild zu sehen, aneinandergeschmiegt.
Nach dem Schnitt sieht man Gitti und Chris in einem Bild, er am linken Rand
stehend, sie am rechten Rand sitzend. Es gibt keinen Blickkontakt, Grönemeyer
singt, es ist ein peinlicher Moment, bis man zu ahnen beginnt, dass unter der
Konventionalität des Textes ein Begehren liegt, etwas, was über den
guten Geschmack hinausgeht, etwas, was all die faden Ironisierungen und Abgrenzungen
überwindet. Unerwartet huscht ein Lächeln über Gittis und über
Chris Gesicht, sie blicken sich an, und die große Entfremdung, die eben
noch in dem Bild steckte, schlägt um in Nähe und Zärtlichkeit.
Fast noch im selben Augenblick inszeniert Ade einen weiteren brüsken Wechsel,
indem sie Hans, genervt und rabiat, die Musik abstellen lässt.
Im Mäandern der Szene steckt viel
– zum Beispiel der im Film immer wieder anklingende Diskurs darüber, wie
man dem Gefühl der Liebe Ausdruck verleiht. Kann man einen vernutzten Satz
wie "Ich liebe dich" verwenden, um eine einzigartige Beziehung zu
beschreiben? Gitti
will ihn hören, Chris will ihn nicht aussprechen; Grönemeyer flüchtet
ins kindliche "Ich hab dich lieb",
später singt Cat Stevens: "How can I tell you that I love you, I love
you / But I cant think of right words to say."
Zudem fällt auf, wie subtil Ade am
Motiv der Vögel arbeitet. Im allerersten Bild, dem Teppich-Garten, wird
es über die Tonspur eingeführt. Als Chris später einmal das Haus
nach einem Streit verlässt, zwitschern draußen die Vögel wie
zum Spott, und hier, im Zimmer der Mutter, sind sie, die Sehnsuchtstiere, allgegenwärtige
Raumdekoration. In einer Szene erzählt Chris, wie er sich einmal vorstellte,
Gitti auf einer Party durch einen Fenstersprung zu beeindrucken. Sterben wollte
er nicht, "eher lässig rausfliegen wie Batman". Nachdem Hans
und Sana endlich gegangen sind, springt Gitti aus dem Fenster, aus dem Zimmer
von Chris Mutter im ersten Stock. Chris merkt es nicht. Gitti landet im Garten.
Fliegen ist keine Option.
Cristina Nord
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Alle
Anderen
Deutschland
2008 – Regie: Maren Ade – Darsteller: Birgit Minichmayr, Lars Eidinger, Hans-Jochen
Wagner, Nicole Marischka, Mira Partecke, Atef Vogel, Paula Hartmann, Carina
Wiese – Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ab 12 – Länge: 119 min.
– Start: 18.6.2009
zur startseite
zum archiv