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ALIPATO – The Very Brief Life Of An Ember

 

 

In "ALIPATO: The Very Brief Life of an Ember" erforscht der philippinische Workaholic Khavn ein weiteres Mal das Prinzip der permanenten Eruption.

"Take care of the quantity. God will take care of the quality – that is, assuming you do believe in God." – Das rät der philippinische Regisseur Khavn (de la Cruz) in seinem 2003 verfassten Manifest "Digital Dekalogo" jungen Kollegen. Wieviele Filme der nebenbei auch als Musiker, Buchautor und mit Sicherheit in einer ganzen Reihe anderer Kunstbereiche höchst produktive Workaholic seither gedreht hat, weiß wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Seine Website listet insgesamt 159 Titel, aber zumindest "ALIPATO: The Very Brief Life of an Ember", sein neuester Streich, der diese Woche in Deutschland anläuft, ist da noch nicht mit eingerechnet.

Wie die allermeisten dieser Filme spielt "ALIPATO" in den Slums von Manila, und wie in ziemlich vielen von ihnen gehört die Mehrzahl der handelnden Figuren einer Straßengang an. Die erste Hälfte widmet sich deren jugendlichen Anfängen. Eine nicht enden wollende Sequenz stellt die Mitglieder der Gang der Reihe nach vor und ordnet ihnen, dem Zufalls-, beziehungsweise einem freudig pervertierten Lustprinzip folgend, deviante Eigenschaften zu. Manche der Jungs essen Scheiße, andere haben Sex mit ihren Geschwistern, wieder andere ihre Eltern umgebracht. Es gibt Ansätze einer Geschichte: einer ist der Boss, es gibt ein Mädchen, an dem der Boss Interesse hat, irgendwann wird ein Banküberfall geplant. Wichtig ist das nicht; die Erzählung löst sich fast vollständig auf in eine Serie distinkter, in agilen, oft mehrminütigen Einstellungen etablierten Tableaus, die Kindern beim Unfug machen zuschaut.

Dass Khavn seinen Film in dieser ersten Hälfte tatsächlich fast ausschließlich mit echten Kindern besetzt, mit sehr jungen Kindern sogar, die teilweise erst zwei, drei Jahre alt sind, entpuppt sich als veritabler Coup. Teils halb- bis ganz nackt, teils grotesk aufgetakelt, springen die Protagonisten (und wenigen Protagonistinnen) in bunten Trashkulissen oder auch in einem bemitleidenswerten Supermarkt herum, verprügeln sich gegenseitig, pissen auf den Boden, schreien kaum artikulierte Obszönitäten in die Kamera. Die Realität dieses tatsächlichen Kinderspiels, die Evidenz der offensichtlichen kindlichen Freude am Kaputt- und puren, anarchischen Blödsinnmachen, steht auf interessant verquere Weise gleichzeitig in enger Verbindung mit und in Kontrast zu der Realität, auf die der Film sich bezieht: Denn selbstverständlich gibt es in den Armenvierteln der philippinischen Großstädte tatsächlich sehr, sehr viele Kinder, deren Lebensumstände von den in "ALIPATO" dargestellten nicht allzu verschieden sind. Nur, dass man in den realen Slums für gewöhnlich ohne Trash-Glamour und B-Movie-Ästhetik entlehnte Überhöhungen auskommen muss. Die triste, skandalöse Realität und ihre lustvolle Überschreitung sind schlichtweg nicht zu trennen in diesen Bildern.

Khavns ästhetisches Grundprinzip ist die permanente Eruption. Dem Sprudeln der Filme in der unüberschaubaren Filmografie entspricht das Sprudeln der Bilder in jedem einzelnen Film. Nur folgerichtig, dass der Regisseur die minimalistische Low-Tech-Ästhetik, die die Frühphase seines Werks noch prägte, hinter sich gelassen hat, sobald sich ihm die Möglichkeit dazu bot. Spätestens seit "Mondomanila" (2010) hat sich der inzwischen im Festival- und Filmförderbetrieb gut vernetzte self made man der audiovisuellen Opulenz verschrieben. Bei "Ruined Heart" (2015) arbeitete er sogar mit Christopher Doyle zusammen, dem Starkameramann der überkandidelten Flanke des panasiatischen Kunstkinos. Den neuen Film hat zum Glück wieder sein Stammkollaborateur Albert Banzon fotografiert, dessen Bilder selbst in den wildesten Momenten des Khavn-Hyperdrives eine rohe, dokumentarische Grundierung behalten. Überhaupt entwirft Khavn seine ganz eigene, ausgesprochen punkige anything-goes-Version von Opulenz. Opulenz heißt hier nicht feinsinnig ausgetüftelte Massenchoreografie und schwülstige Flattertuch-mise-en-scene; sondern, dass um einen ohnehin schon ziemlich infernalischen Stripclub herum auch noch ein riesiger Schweinestall aufgebaut wird.

So wie die traurigen Striperinnen Bretterzaun an Bretterzaun mit Nutztieren leben, steht auch in "ALIPATO" alles unbehauen nebeneinander: cinema-verite-tracking-shots durch das reale Chaos Manilas wechseln sich mit klaustrophobischen Studiototalen und fast schon installativ anmutenden Straßenkampfzeitlupen ab. Das einzige synthetisierende Element ist die pure Negation, der Tod: Jedesmal, wenn jemand ins Jenseits befördert wird, ertönt ein Gong und ein Grabstein wird eingeblendet. Mitten im Film schickt Khavn den Obergangster per lakonischer Texteinblendung für 28 Jahre in den Knast. Der Zeitsprung wird mit einer ausgedehnten, ziemlich wahnwitzigen Animationsfilmsequenz überbrückt, die eine Gefängniskarriere als plastisches Schattenspiel inszeniert. Die zweite Filmhälfte spielt nach der Entlassung, ist ein klein wenig drehbuchlastiger und setzt auf etwas konventionellere Motive des Schock- und Ekelkinos. Macht aber nichts, die manisch-düstere Grundstimmung bleibt erhalten, der Soundtrack ist sowieso durchweg erstklassig. Ein Film, der knallt, von der ersten bis zur letzten Minute.

Lukas Foerster

Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de 

 

 

Alipato – The Very Brief Life Of An Ember
Deutschland, Philippinen 2016 – Laufzeit: 87 Min. – FSK: ab 16 Jahre – Kinostart(D): 24.11.2016 – Regie: Khavn De La Cruz – Drehbuch: Khavn De La Cruz, Achinette Villamor – Produktion: Stephan Holl, Khavn De La Cruz, Antoinette Köster, Achinette Villamor – Kamera: Albert Banzon – Schnitt: Carlo Francisco Manatad – Musik: Khavn De La Cruz – Darsteller: Khavn De La Cruz, Dido De La Paz, Marti San Juan, Robin Palmes, Bing Austria – Verleih: Rapid Eye Movies

 

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