zur startseite

zum archiv

zu den essays

 

 

Agora

 

 

 

 

 

Forderschinken

 

Ein ambitionierteres, nicht zuletzt auch kommerziell gewagteres Projekt hat es im europäischen Kino in den letzten Jahren selten gegeben. Ein monumentales Historienepos mit weiblicher Hauptfigur, das naturwissenschaftliche und philosophische Fragestellungen ausarbeitet, kein testosterongeschwängerter Heldendarsteller weit und breit, nur unterdrückte Leidenschaften, außer für komplexe Gleichungen oder religiösen Fanatismus. Die zugrunde liegende Geschichte ist historisch verbürgt, und Regisseur Amenábar, der sich bislang mit Filmen wie The Others und Das Meer in mir eher intimen Stoffen widmete, nähert sich Agora aus der gottgleichen Perspektive eines historischen Google Earth.

 

Im Alexandria des ausgehenden vierten Jahrhunderts lehrt die junge Wissenschaftlerin Hypatia Mathematik und Astrologie, vertritt insbesondere unerhört moderne Thesen zur Beschaffenheit des Sonnensystems – lange bevor Galileo und Kopernikus die althergebrachte Weltsicht endgültig auf den Kopf stellten. Diese progressiven Ansichten stoßen bei ihren Schülern auf viel Gegenliebe, bei der erstarkenden Christenbewegung allerdings auf noch massiveren Widerstand. Mit einer Entschlossenheit, die an Sturheit grenzt, plädiert Hypatia dafür, ihren Forschungen Gehör zu schenken. Selbst als zwischen den Heiden und Christen in der Stadt ein wahrer Glaubenskrieg entbrennt, kämpft sie standhaft für ihre Überzeugungen.

 

Amenábar verzichtet dabei zwar weitgehend auf Romantisierungen und verklärte Heldentypisierungen, sein wuchtiges Epos bleibt jedoch über weite Strecken, wie imposant die Massenszenen und Prachtbauten auch inszeniert sind, leicht unterkühlt – die couragierte Protagonistin taugt nur leidlich zur Legendenbildung. Es ist das Dilemma des Genres, dem Agora erliegt, dass Historienschinken traditioneller Prägung ein gewisser Mystizismus innewohnt. Der aufklärerische Gestus von Amenábars Film wirkt dagegen zunächst wie ein befremdlicher Widerspruch. Möglicherweise wird er aber eines Tages als Ausgangspunkt für einen eher sachlichen, vernunftgesteuerten Historienfilm dienen, der auch gerade einen differenzierten, kritischen Umgang mit der Religion und seinen fanatischen Auswüchsen formuliert; als Blaupause eines großen Epos für ein intellektuelles Arthouse-Publikum – aber das steht, seinem Thema gemäß, in den Sternen.

 

Carsten Happe

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im:  schnitt

 

Agora

E/USA 2009. R,B: Alejandro Amenábar. B: Mateo Gil. K: Xavi Giménez. S: Nacho Ruiz Capillas. M: Dario Marianelli. P: Himenóptero/Telecinco. D: Rachel Weisz, Max Minghella, Oscar Isaac, Michael Lonsdale, Ashraf Barhom, Sami Samir, Rupert Evans, Yousef Sweid u.a.

128 Min. Tobis, Start (D): 11.03.10

 

zur startseite

zum archiv

zu den essays