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Die
Affäre
Leidenschaftliche
Emanzipation einer liebenden Frau
In
Catherine Corsinis neuem Film „Die Affäre“ („Partir“) ist die bürgerliche
Ordnung ein Bollwerk und ein Gefängnis aus materiellem Wohlstand, einem
konservativen Verständnis der Geschlechterrollen und moralischer Bevormundung.
Zumindest empfindet das so Suzanne Vidal (Kristin Scott Thomas), eine attraktive
Mitvierzigerin, die nach fünfzehn Jahren Familienpause zurück in ihren
Beruf als Physiotherapeutin möchte. Mit ihrem Mann Samuel (Yvan Attal),
einem erfolgreichen Arzt, und zwei Kindern im Teenageralter lebt sie relativ
sorglos in einem noblen Viertel der südfranzösischen Stadt Nîmes.
Ihre Ehe ist erkaltet und dabei in gewohnheitsmäßiger Routine und
Gleichgültigkeit erstarrt. Was noch schwerer wiegt, sind die subtilen Mechanismen
materieller Abhängigkeit und weiblicher Unterdrückung.
Das
bekommt Suzanne vehement zu spüren, als sie sich in den katalanischen Arbeiter
Ivan (Sergi López) verliebt und sich mit geradezu sexueller Gier in eine
rückhaltlose, leidenschaftliche Amour fou stürzt. „Ich kann nicht
anders“, gesteht Suzanne ihrem gekränkten, eifersüchtigen Ehemann.
Ihre wiedererwachte Liebeslust erlebt sie als körperliche Abhängigkeit
und befreiende Entgrenzung, was die renommierte Kamerafrau Agnès Godard
in sinnlichen Bildern einfängt. Vor allem reklamiert Samuel aber seine
Ehefrau als seinen Besitz. Und hier zeigt die bürgerliche Ordnung ihr hässliches
Gesicht: Der latent ausländerfeindliche, von einem Standesdünkel getriebene
Karrierist erweist sich als rücksichtsloser Machtmensch, der seinen gesellschaftlichen
Einfluss einsetzt, um eine selbständige materielle Existenz seiner abtrünnigen
Frau und ihres Geliebten zu verunmöglichen. Das mündet schließlich
in einer privaten Tragödie.
Die
französische Regisseurin Catherine Corsini erfindet in ihrem aufwühlenden,
von starken Schauspielern getragenen Liebesfilm das bürgerliche Ehedrama
keineswegs neu. Dafür arbeitet sie zu offensichtlich mit tradierten Motiven,
Klischees und bewussten Zuspitzungen wie etwa derjenigen des sozialen Abstiegs.
Was in diesem Zusammenhang jedoch nachhaltig beeindruckt ist die leidenschaftliche
Emanzipation einer liebenden Frau, die ihre Gefühle gegen das erschreckend
machtvolle Besitzdenken ihres Mannes verteidigt. Begleitet wird sie dabei von
der ebenso romantischen wie schmerzlichen Stimmung einer Musik, die Georges
Delerue und Antoine Duhamel ursprünglich für die Filme François
Truffauts komponiert haben.
Wolfgang
Nierlin
Die
Affäre
Frankreich
2009 – Originaltitel: Partir – Regie: Catherine Corsini – Darsteller: Kristin
Scott Thomas, Sergi López, Yvan Attal, Bernard Blancan, Aladin Reibel,
Alexandre Vidal, Daisy Broom, Berta Esquirol – FSK: ab 12 – Länge: 85 min.
– Dt. Start: 28.1.2010
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