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Die Affäre Aldo Moro 

Aldo Moro, Parteipräsident der Democrazia Christiana, wird am 16. März 1978 von den Roten Brigaden entführt. Am 9. Mai wird er erschossen aufgefunden – in einer Seitenstraße Roms, die die Zentralen der kommunistischen und christ-demokratischen Parteien verbindet. Der Tod Moros beendet den Versuch eines historischen Kompromisses zwischen diesen beiden Parteien. Zehn Jahre später hat Giuseppe Ferrara über diese 55 Tage andauernde Entführung einen Film gedreht, einen dramatischen Krimi, der Authentisches und Erfundenes vermengt und den Politiker Moro zum einsamen, gütigen Menschen macht, der von den wilden, instrumentalisierten Brigadisten gefangengehalten wird. Eine zugerichtete Geschichte, die niemandem weh tut

 

Ein journalistisches Spektakel. Verzweifelt klopft der Eingeschlossene an die Mauern um ihn her, und draußen jagen die Reporter nach Nachrichten. Gelingt die Bergungsaktion? Wird alles getan, um den Verunglückten zu retten? Es wird nicht alles getan. Das gibt übergenug Anlaß, Statements einzuholen und Kommentare zu verfertigen, auch ist eine Sondersendung im Fernsehen angezeigt. Verschütt gegangen ist allerdings nicht die Schicht im Bergwerk Borken, sondern Parteipräsident Moro im Volksgefängnis Rom. Ein Medienspektakel. Der Film »Die Affäre Aldo Moro« ist in vorderster Linie dabei, die ganze Zeit, vom 1. bis zum 55. Tag der Einkerkerung. Und er schlägt alle Konkurrenten. Denn es gelingt ihm, in die Zelle vorzudringen, zu Moro, dem Chef der Christdemokraten, und zu den Brigadisten, die ihn verhören. Die Personen kommen ins Bild und die wesentlichen Sätze ins Mikrofon.

 

Zwar hat der Film, neun Jahre danach, die historischen Szenen nachgestellt und mit Akribie das berühmte Foto, das Moro unter der Fahne der Brigate Rosse zeigt, in eine Spielfilmhandlung überführt. Aber der Einwand zählt nicht. Die Simulation ist so perfekt, daß sie als solche nicht mehr wahrnehmbar ist. Hektisch folgen die Einstellungen aufeinander, so kurz wie möglich, ein Satz hier, ein Satz dort, und die Stimme des Reporters überschlägt sich; dazwischen Videomaterial, Ausschnitte aus TV-Nachrichtensendungen; ob authentisch oder nicht, ist ohne Belang. Denn die journalistische Perspektive des Films macht aus Spielszenen und Dokumenten das Gleiche: Nachrichtenmaterial. »Die Affäre Aldo Moro« hat den Blick von Außen. Was läßt sich verwerten? 

 

Verwerten möchte der Film, guter Absicht voll, das recherchierte und inszenierte Bild- und Ton-Material, um einige interessante Thesen zum Hintergrund des Falls Moro zu belegen. Da dies jedoch nur verbal geschieht und Talking Heads nicht eben attraktiv sind, geht die Aufmerksamkeit vor allem dahin, wo den Sinnen etwas geboten wird. Zum Beispiel zur Musik (Pino Donaggio), die immer wieder dramatisch eingreift (gern Streicher und Schlagzeug), aber zu nichts anderem als zu den letzten Dingen führt, die etwa zum Sinnieren über »Treue« und »Verrat« Anlaß geben. Ja, Aldo Moro sinnt in seiner Zelle genau darüber nach, – er, der seinen Christdemokraten treu war, die ihn nun in seiner Zelle sitzenlassen und verraten. Gespielt wird er von dem großen Schauspieler Gian Maria Volonté, und das ist die Attraktion des Films, die allerdings leider die redlichen, aber blassen intellektuellen Bemühungen des Regisseurs, Thesen zu erarbeiten, in den Schatten stellt. Volonté macht den Politiker Moro zum Menschen, zum Leidenden, zum Opfer – und alle anderen zu Tätern, zu Wölfen. Das Märchen »Der Jäger und die Wölfe« hatte er noch rechtzeitig vor der Entführung seinem kleinen herzigen Enkel vorgetragen. So viel auch Politika in diesem Film herumrennen, agieren und konferieren, Volonté spricht in der Rolle des Moro, des gütigen, sympathischen, menschlichen, eine andere Sprache: die Sprache des Herzens. Es ist die Hauptrolle, und Volonté bekam dafür auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin einen Silbernen Bären als bester Darsteller.

 

Die Schauspielkunst des Moro-Darstellers ist eindrucksvoll, aber eindimensional und entpolitisierend. Sicherlich ist es der nicht zu übersehenden Naivität des Regisseurs Giuseppe Ferrara zu verdanken, seinen Film mit dem in Italien sehr bekannten Namen Volontés zu schmücken. Nicht nur Cineasten ist der Schauspieler aus den edelsten der italienischen Filme bekannt. Jedes italienische Kind ist mit ihm aus unzähligen Fernsehfilmen vertraut. Freilich kennen wir hier nicht das spezifisch italienische Genre des politischen Fernsehfilms, der den authentischen Hintergrund mit TV-Stars bevölkert. Und solange wir hier auf den heimischen Monitoren keinen Spielfilm über die Affäre Uwe Barschel sehen können, sollten wir die Plakativitäten und Sentimentalitäten der »Affäre Aldo Moro« nicht scheuen, um etwas über den politischen Hintergrund des Falles zu erfahren. 

 

Gesagt wird dazu vieles, vornehmlich andeutungsweise. »Die Affäre Aldo Moro« ist ein Dialogfilm. Laut und vernehmlich lassen sich lediglich die Brigadisten hören, protokollgerecht reden sie ihren Gefangenen mit »Herr Präsident« an, schätzungsweise hundertmal im Film. Nach dem uns gut bekannten Muster »Um 10.40 wird zurückgschossen« lassen sie Sprüche ab wie »Wir sind im Krieg, Herr Präsident! Sie sind im Volksgefängnis! Wir haben mit dem Angriff auf den Staat begonnen! « Aber sie sind keine Menschen, auch wenn dem einen die Stimme einmal zittert, sondern nützliche Idioten und nur Vordergrund, denn sie spielen das Spiel der eher anonymen Mächte, die mit ihrer Hilfe den unbequemen Politiker Moro loswerden wollen. Die Brigadisten arbeiten nämlich dem ISM in die Hand. Dem ISM? Wir erfahren in Synchrondeutsch, daß es sich dabei um den Internationalismus der multinationalen Konzerne handelt. Und daß die Roten Brigaden, nur den bewaffneten Kampf im Auge, den politischen Hintergrund nicht zu durchschauen vermochten. 

 

22 Brigadisten sitzen nach der Hinrichtung Moros in lebenslanger Haft, und sie entrüsten sich über die Aussage des Films. Regisseur Ferrara hat sich denn auch in einem Interview mit Franca Magnani, jetzt im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, beeilt, den Verurteilten zu versichern, daß sie nicht instrumentalisiert worden seien – mit der für ihn und seinen Film bezeichnenden formalen Begründung: »weil sie autonom sind«. Die absurde Exkulpation ändert jedoch nichts an der in Frageform vorgebrachten Behauptung des Films – und dafür liefert er einige Indizien – , daß den unterschiedlichsten politischen Kräften die Rückkehr Moros aus der Brigadistenhaft unerwünscht war. Weswegen der Dialog mit den Terroristen verweigert, ihre Forderungen ignoriert und der Tod des Häftlings in Kauf genommen wurde. Also wer? Die Roten Brigaden brauchen die Hinrichtung explizit – zwecks Stabilisierung der ins Wanken geratenen »Kolonnen« (synchrondeutsch); immerhin ist dies nur eine Mehrheitsentscheidung, gefällt während hochdramatisch die Polizei bereits den konspirativen Treff umstellt hat, viel Blaulicht flackert und das Käsebrötchen ungegessen bleibt. Auch Moro verschmäht das Weißbrot, das gleich drauf groß ins Bild kommt, denn ihn schmerzt der Verrat seiner christdemokratischen Parteigenossen: »Macht verliert Berechtigung, wenn sie unmenschlich wird«, erkennt er. Aber wir haben noch mehr: die KPI, die Nato, CIA, Pentagon, ISM nicht zu vergessen, Bonn, Zion und den Teufel.

 

Um mit dem letzten anzufangen, Moro selbst kommt es vor, »als ob der Papst selbst Teil eines unergründlichen teuflischen Plans ist«, denn Paul VI. entschied sich angesichts der Alternative von Staatsräson und Menschlichkeit dafür, gegenüber den Forderungen der Terroristen standhaft zu bleiben. Die »einfache und bedingungslose« Freilassung Moros verlangte seine Heiligkeit von den Roten Brigaden. Damit besiegelte er das Schicksal des Opfers. Nun zu Zion. Auch hier legt der Film die argumentative Spekulation raffinierterweise in den Mund des verstorbenen Moro (wie er auch sonst eigene Erklärungen und Statements gern von Dritten zitieren läßt: sie werden dadurch zu journalistisch verwertbarem Material). Moro also spekuliert in seiner Zelle, daß die von ihm eingeleitete pro-arabische Öffnung beanstandet wird, weil dadurch die Nato sowie Israel nicht zu den gewünschten »Stützpunkten«, nämlich den »Landungsplätzen« in Sardinien kamen; wie sollten die Natopartner daher rasch den Israelis zu Hilfe eilen können? Moro bestätigt damit indirekt die Kriegstheorie der Roten Brigaden, die zwar nicht ausdrücklich von Israel sprechen, aber mindestens bei uns wird der bekannte Satz aktiviert »Die Juden haben Deutschland den Krieg erklärt«, wenn der Brigadist im Film plakativ seine Motivation mit der Feststellung erläutert: »Das Kapital hat der Arbeiterklasse den Krieg erklärt«.

 

Von der Rolle Bonns und seiner Geheimdienste hätten wir in diesem Film gern etwas Genaueres gehört. Der Film beläßt es beim name dropping und vagen Andeutungen. Sind nicht in der Bundesrepublik zuvor zwei Häftlinge aus Gründen der Staatsräson in ihren Zellen zu Tod gekommen – so wie Moro aus den nämlichen Gründen dem gleichen Schicksal überlassen wird? »Aus den gleichen Gründen«, sagt der Brigadist, »wie Baader und Meinhof sich in ihren Zellen in Stammheim umgebracht haben, hätten wir Sie, Herr Präsident, zum Selbstmord zwingen können«. Aber die Roten Brigaden ziehen das förmliche Verfahren vor und vollstrecken ein Urteil des »Volksgerichtshofes«.

 

Weitere konspirative Macht der Verschwörung, der Aldo Moro zum Opfer fallen wird: Pentagon-Nato. Sie wollen mit dem DC-Chef denjenigen wegräumen, der die Partei politisch nach links geöffnet hat und die KPI an der Regierung beteiligen wird. Und Berlinguer selbst, staatsbewußter als der Staat, die Realisierung des compromesso storico vor Augen, formuliert die bekannten Berührungsängste: kein Kompromiß mit den Terroristen, »wir lassen uns von den Roten Brigaden nicht einschüchtern«.

 

Im Gerede dieses Films verdüstert sich der Hintergrund der Aldo-Moro-Affäre, die zu erhellen doch Anliegen des Films gewesen war. Der Vorsatz, Reportage und Faktensammlung sein zu wollen, steht dem von vornherein entgegen. Ihren Ausdruck finden auch die Roten Brigadisten nicht. Sie sind zu Zitatenträgern und Stichwortgebern degradiert, verbiesterte Intellektuelle neben dem Mann des Herzens, Held und Opfer dieses Films. Ja, Moro will eine Bibel in der Zelle haben und eine Audiokassette, auf der die heimatliche Messe aufgenommen ist. Genau das bringt die bunte Faktenschau heraus, und das ist wenig, aber etwas fürs Gemüt und einen großen Filmverleih.

 

Einmal rückt der Film ein Filmplakat ins Bild: Bertoluccis »Letzten Tango«. Ein fataler Vergleich für den Film »Die Affäre Aldo Moro« . Denn Bertolucci hat in dem Film, der dem »Letzten Tango« folgte, den historischen Kompromiß zwischen dem Partito Comunista Italiano und der Democrazia Cristiana zum Gegenstand eines Großwerks gemacht und ihm Form und Ausdruck gegeben: in »Novecento«, gedreht in den Jahren, in denen Aldo Moro Politik machte, 1974 – 1976. 1978 war Aldo Moro tot. In Ferraras Film wird er jetzt auch politisch erledigt. Der Papst selbst hält die Totenmesse, und uns werden zwei unterhaltsame und besinnliche Stunden erlaubt: Wie war das denn noch, seinerzeit vor einem Jahrzehnt? Jaja, was 1978 Kraft, Kampf und Stärke war, ist jetzt journalistisch sauber zugerichtet, und es tut keinem mehr weh.

 

Dietrich Kuhlbrodt 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 07/1988

 

Die Affäre Aldo Moro

IL CASO MORO

Italien – 1986 – 117 min. – Verleih: 20th Century Fox; RCA/Columbia (Video) – Erstaufführung: 16.6.1988/13.12.1988 Video – Produktionsfirma: Yarno – Produktion: Mauro Berardi

Regie: Giuseppe Ferrara

Buch: Robert Katz, Armenia Balducci, Giuseppe Ferrara

Vorlage: nach einem Buch von Robert Katz

Kamera: Camillo Bazzoni

Musik: Pino Donaggio

Schnitt: Roberto Perpignani

Darsteller:

Gian Maria Volonté (Aldo Moro)

Margarita Lozano (Eleanora Moro)

Mattia Sbragia (Terrorist)

Enrica Maria Modugno (Terroristin)

Daniele Dublino (Politiker)

 

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