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Achterbahn
Ruin
und Untergang
Norbert Witte, bekannt geworden als Spreepark-Pleitier,
ist ein Mann, dem alles, was er anfasst, misslingt. Peter Dörfler versucht
in seinem Dokumentarfilm "Achterbahn" ein Porträt.
Norbert Witte ist ein Mann, der nichts
als Unglück bringt über sich, seine Nächsten, wenn nicht die
Welt. Er ist, das führt Peter Dörfler in seinem Dokumentarfilm "Achterbahn"
vor, eine Kraft, die zwar Großes, aber nichts Böses will, und doch
einzig Ruin und Untergang schafft. Die Lebensgeschichte geht, auf ihre Tiefpunkte
gebracht, so: Norbert Witte ist der Sohn eines Schaustellers und der Enkel eines
Mannes, der sich einst sehr kontrafaktisch als König Albaniens ausgab.
Auch er selbst ergreift den Schaustellerberuf, zunächst mit Erfolg. 1981
jedoch wird er wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Ein Metall-Arm
seiner Loopingbahn gerät, als er ihn zu reparieren versucht, in ein Karussell:
sieben Menschen kommen zu Tode.
Witte aber macht weiter. Er zieht mit
seinen Schaustellgeräten durch Europa. Als er von Jugoslawien sehr schnell
die Schnauze voll hat, zieht seine Frau mit zwei kleinen Kindern weiter durch
Titos gerade sehr unruhige Lande, Witte selbst macht sich nach Italien davon.
(So jedenfalls die Schilderung seiner Frau.) In die Schlagzeilen gerät
Witte wieder gleich nach der Wende. Er – bzw. die offiziell von seiner Frau
geleitete Spreepark GmbH – bekommt den Zuschlag für den Betrieb des VEB
Kulturpark Berlin im Plänterwald.
Witte will aus dem DDR-Kulturpark ein
deutsches Disneyland machen, Westernstadt und Dinosaurier inklusive. Die Dinge
entwickeln sich nicht wie erwartet. 2001 erklärt der Park, in den der Senat
sehr viel Geld gebuttert hat, seine Insolvenz. Witte macht sich davon nach Peru,
mit Frau und Kindern sowie, per Schiff, seinen Attraktionen "Butterfly",
"Spider", "Baby-Flug", "Wild River", "Jet
Star" und "Fliegender Teppich". Zwar kommen alle in Lima gut
an, von da an geht jedoch alles gleich wieder schief. Der Zoll rückt die
Fahrgeschäfte nicht raus und als er es gegen teuer Geld tut, ist Familie
Witte ruiniert, wenngleich noch eingemietet im Edel-Anwesen in einer der besten
Gated Communities der Stadt.
Witte startet dennoch einen Fahrgeschäftsbetrieb.
Der Umsatz ist hoch, die Kosten sind höher. Frau und Tochter reisen zurück,
Vater und Sohn Marcel bleiben. Norbert Witte lässt sich zur Sanierung der
Kasse auf einen haarsträubenden Deal ein: Er will 180 Kilo Kokain im "Fliegenden
Teppich" nach Deutschland schmuggeln. Das fliegt auf, Witte kommt in Deutschland
in Haft, erleidet einen Herzinfarkt. Schlimmer noch ergeht es dem Sohn: Er wird
in Lima verhaftet, in einen der wirklich schlimmen Knäste dieser Erde gesteckt
und gleich zweimal zu einer Haftstrafe von zwanzig Jahren verurteilt. Nun lässt
sich Pia Witte, die viel erduldet hat bis dahin, von ihrem Mann scheiden. Norbert
Witte wird zu sieben Jahren Haft verurteilt, der Film zeigt ihn als Freigänger,
inzwischen ist er entlassen. Man sieht ihn am Ende des Films schon wieder mit
großen Plänen für einen neuen Schaustellbetrieb in der Nähe
des Berliner Hauptbahnhofs. Er verhandelt, sagt er, mit "den Chinesen".
Wie erzählt man eine solche Geschichte?
Wie vermeidet man, eine hoch dubiose Figur wie Norbert Witte zum Helden zu machen
in einem Film, in dessen Zentrum man ihn stellt? Was die letzte Frage betrifft:
Peter Dörfler, der Witte freilich auch mal bei der Bartrasur zeigt, setzt
auf die Relativierung durch widerstreitende Aussagen. Neben Witte selbst kommen
sein Sohn, seine Frau, seine Tochter (es gibt drei weitere Kinder, die sieht
man nicht), sein Anwalt zu Wort. Für die komplizierten rechtlichen und
ökonomischen und bürokratischen Verwicklungen rund um das Spreepark-Desaster
interessiert sich der Film kaum. Ein paar auf die eine oder andere Weise Betroffene
kommen zu Wort, insgesamt jedoch erhalten Wittes eigene Einlassungen zum Thema
mutmaßlich ein Gewicht, das ihnen nicht zukommt.
Aber auch als Psychogramm eines Mannes,
der auf desaströse Weise das Unmögliche möglich macht, funktioniert
"Achterbahn" nicht so recht. Wie es Witte gelungen ist, die Familie
und alle Welt von seinen Projekten zu überzeugen, erschließt sich
in Dörflers Film deshalb gleich doppelt nicht. Denkbar wäre ja eine
Analyse der gesellschaftlichen Umstände, die es einem wie Witte erlauben,
seine zum Scheitern verurteilten Visionen umzusetzen. Es könnte immerhin
sein, dass er die exemplarische Figur eines kapitalistischen Unternehmers ist,
die in der Übersteigerung ins Bizarre gerade zur Kenntlichkeit gelangt.
Dazu müsste man aber mehr – oder überhaupt etwas – erfahren über
die Art und Weise, in der er Geldgeber zum Geldgeben bringt. Nicht im mindesten unternimmt Dörflers Film einen Recherche-
und Erklärungs-Versuch dieser Art. (Er scheint sich, was schlimmer ist,
nicht einmal die Frage zu stellen.)
Stattdessen lässt er das Verhalten
seines Helden durch Familienmitglieder kommentieren, deren Langmut man selbst
in der Distanzierung noch bestaunt. Der Erkenntnisgewinn, den "Achterbahn"
am letzten Ende doch bringt, ist rein negativ. Das Unfassbarste an Norbert Wittes
Lebensgeschichte wäre dann nicht, was er alles auf die Beine gestellt hat,
nur um es dann verlässlich wieder zu Fall zu bringen. Das Unfassbarste
ist sehr viel eher der abgrundtiefe Mangel an Charisma dieser Figur. Wo man
einen Visionär vermuten würde, gibt es nichts als Selbstmitleid und
Rechthaberei und halbseidene Rechtfertigungen und Pläne. Auf alle in Politik
und Finanzwelt, die einem wie Witte Geld anvertraut haben, fällt so, obwohl
sie völlig ausgespart bleiben, am Ende das allerschlechteste Licht.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Achterbahn
Deutschland
2009 – Regie: Peter Dörfler – Mitwirkende: Norbert Witte, Pia Witte, Sabrina
Witte, Marcel Witte – FSK: ab 12 – Länge: 88 min. – Start: 2.7.2009
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