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Abschied von den Fröschen
Zu Ulrich Schamonis „Eins“ (fd 17 647) hat Joe Hembus 1981 angemerkt: „Ulrich
Schamoni ist der geborene Autorenfilmer; alle seine Filme handeln hauptsächlich
von ihm selbst, von seinen Neigungen, seinen Schrullen, seiner Lust am Zocken,
von seiner Lust überhaupt und auch von seinen Schmerzen, von den Prozessen
seines Alterns und seiner Erinnerung, von seinem verrückten Haus in der
Furtwängler-Straße 19, Berlin 33, und von seinen Freunden und Freundinnen.
Je mehr er sich in seinen Filmen von sich entfernt, umso weniger interessant
werden sie: In diesem hier bleibt er ganz dicht an sich dran.“ Verglichen mit
„Eins“ ist „Abschied von den Fröschen“ ein Jump Cut hin zu sich selbst:
kauzig, schrullig, versponnen, intim, leise. Der Film erzählt vom Sterben
Schamonis, besser: von seinem Leben mit der Diagnose der tödlichen Krankheit,
der er zu Beginn des Films noch augenzwinkernd zu begegnen versucht: „Tja! Der
Professor hat mir das Schlimmste ausgemalt. Aber ich hoffe, dass es nicht so
weit kommen wird. Und er hofft das auch. Werden wir sehen.“ Diese Worte spricht
Schamoni Ende November 1996 direkt in eine Videokamera – und führt fortan
eine Art Videotagebuch, ein Journal des Jahres 1997, das bis wenige Tage vor
seinem Tod am 9. März 1998 reicht. Die Idee ist nicht neu: Bereits in seinem
Spielfilm „Chapeau Claque“ (fd 18 908) hatte er davon gesprochen, den Zuschauern
in der Zukunft eine Botschaft zu hinterlassen, aus der dann längst vergangenen
Gegenwart des Filmemachers. Darin lag auch 1974 schon die Hoffnung, dass es
eine solche Zukunft noch geben werde. 170 Stunden Videomaterial hat Schamoni
in dieser kurzen Zeit aufgenommen: Anmerkungen zum Gang der Jahreszeiten, Tierbeobachtungen,
kurze und längere, mitunter fast vertrauliche Ansprachen an ein imaginiertes
Publikum, Notizen aus dem Alltag, von spektakulären Sportereignissen. Manchmal
entsteht eine Art Arbeitsjournal, wenn Schamoni von seinem „Herrmann“-Projekt
erzählt. Wie schon in „Chapeau Claque“ und „Das Traumhaus“ (fd 22 607)
spielen seine bis unters Dach mit skurrilen „Sammlungen“ vollgestopfte Villa
und ihr verwilderter, liebevoll dekorierter Garten in „Abschied von den Fröschen“
eine Hauptrolle. Wie überhaupt die beiden Filme von 1974 und 2011 eine
erstaunlich vergleichbare Grundhaltung teilen: So wie Schamoni bereits Mitte
der 1970er-Jahre mit einer „Oblomow“-Haltung wider den Zeitgeist kokettiert
hatte, so scheint er in seinen letzten Jahren das Leben eines zumeist leger
gekleideten Privatiers zu führen. Allerdings: Man wird auch Zeuge eines
Hochzeitsfests, einer Geburtstags- und einer Weihnachtsfeier; auch empfängt
er manchmal Gäste.
Schamonis Tochter Ulrike hat das hinterlassene Videomaterial mit Ausschnitten
aus den Spielfilmen ihres Vaters vom frühen Kurzfilm „Hollywood in Deblatschka
Pescara“ (1965) über den Publikumserfolg „Es“ (fd 13 927) bis zum Proto-Öko-Film
„Das Traumhaus“ (1980) – und älterem Material – montiert. Es ist zwar schon
eine Weile her, dass die Partys der Brüder Schamoni – der ältere Bruder
Peter gehörte zu den Unterzeichnern des Oberhausener Manifests, aber der
fünf Jahre jüngere Ulrich brachte den „neuen“ Film zum Publikum –
im alten West-Berlin zum Gegenstand von Wochenschauen wurden, aber man lernt,
dass Ulrich Schamoni schon sehr früh seine eigenwillige Form von Exzentrik
pflegte. In „Chapeau Claque“ erinnern manche der lässigen Sprüche
(„Gott gibt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht auf“) und Gesten Schamonis
an einen antiautoritären Geistesverwandten aus Schwabing: an Werner Enke.
Dazu passend gibt es viel Musik: alten Jazz, Mariachi-Klänge, Beethoven,
Mozart, aber auch Einschlägiges wie „Heut’ ist der schönste Tag in
meinem Leben“ oder „Der müde Cowboy“. Man bekommt enorme Lust, die alten
Filme Schamonis noch einmal zu sehen, scheinen seine Werke ab „Quartett im Bett“
(fd 15 904) doch wie Vorarbeiten zu seinem Video-Tagebuch. Es geht dabei nicht
nur um Filmgeschichte, sondern um eine Haltung zum Leben und folglich auch zum
Sterben. „Abschied von den Fröschen“ macht keinen Hehl aus dem Fortschreiten
der Krankheit, ist aber kein Film über das Sterben, sondern eher eine heitere
Feier der kleinen Glücksmomente auf dem Weg dorthin. Es ist auch ein Abwägen:
Einmal reflektiert Schamoni darüber, dass die kaum erträglichen Nebenwirkungen
seiner Medikamente nur deshalb akzeptabel sind, weil sie den Sensenmann auf
Distanz halten. Was aber, wenn dies nicht garantiert sei? Am Ende ist es schon
ein Glück, noch einmal einen Monat gelebt zu haben. Und sei es, um neues
Spielzeug für den Garten gekauft zu haben, während auf dem Nachbargrundstück
schon die Abrissbagger lärmen. Hier versucht jemand bis zuletzt, seinen
originellen Lebensentwurf zu bewahren, damit die Nachgeborenen daraus etwas
lernen – sei es Eigensinn und der Mut, ein Original zu sein.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film Dienst
Abschied von den Fröschen
Deutschland 2011 – Regie: Ulrike Schamoni – Darsteller: Dokumentation – FSK:
ohne Altersbeschränkung – Länge: 92 min. – Start: 15.3.2012
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