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9to5
– Days in Porn
Angst
und Schrecken in San Fernando
»Es gibt drei Arten von Leute, die
Porno machen«, teilt uns ein schmieriger Schauspielagent mit. »Die
einen wollen Ruhm, das sind die schlimmsten, und die fallen am tiefsten. Die
zweiten haben Spaß daran, das ist auch Unsinn, die würden das auch
kostenlos machen. Die dritten machen es wegen des Geldes, und wenn die halbwegs
wissen, was sie tun, dann sind sie hier tatsächlich richtig.« Nach der Sichtung von Jens Hoffmanns Dokumentarfilm
9 to 5 – Days in Porn möchte man die Unterteilung anderswo ziehen:
Es gibt diejenigen, die mit einem Leben in der Pornoindustrie klar kommen, und
diejenigen, die es nicht schaffen.
Der Film, der seine Protagonisten über
den erstaunlichen Zeitraum von über drei Jahren begleitet, macht sich in
seiner Zurückhaltung und seinem Verzicht auf klare Wertungen auf allen
Fronten angreifbar. Manchen wird beispielsweise der Erzählstrang um den
Branchenstar Belladonna naiv und apologetisch erscheinen: Sie fühlt sich
wohl, führt eine sympathische Beziehung ohne den geringsten Ruch der Ausbeutung
und kann in der Pornographie durchaus ihre Kreativität ausleben. Anderen
erscheinen die Schicksale des einstigen Starlets Audrey Hollander oder Katja
Kassin, die von ihrem Status als Nachwuchshoffnungen im Lauf der Jahre schleichend
in Abhängigkeit, Lethargie oder gar Prostitution abrutschen, vielleicht
als zu klischeehafte Warnbeispiele, wie man sie im Umgang mit diesem Thema gewohnt
ist. Hoffmanns großes und wichtiges Verdienst ist es dabei, beide Seiten
parallel zu zeigen, nie zu urteilen und dabei trotzdem immer echte Sympathie
für seine Figuren zu beweisen.
So entstehen einige Momente reinster Dokumentarmagie:
Wenn der unermüdliche Trashporno-Produzent Jim Powers an einem Set voller
bekiffter Schwarzer, die für einen Film namens White
Trash Whore #37 übers
Set stolpern und kaum die ihnen zugewiesene weiße Frau finden, mit einem
unbeschreiblich traurigen Lachen konstatiert, sein Beruf bestünde darin,
für eine Industrie der Scheiße eben diese Scheiße abzupumpen,
in der er bis zum Hals steht, wird man als Zuschauer von widerstreitenden Emotionen
(Mitleid, Ärger, Verachtung, Trauer) ebenso überflutet wie bei der
ehemaligen Pornodarstellerin, die seelenruhig erklärt, ihr neues Geschäftsmodell,
bei dem sie Fans persönlich trifft und stundenweise verdient, wäre
deutlich rentabler als die Arbeit am Set. Zwischen solchen Extrempolen gibt
es dann noch Graustufen wie den großen weisen Mann der Industrie, John
Stagliano, oder das Ex-Starlet Dr. Sharon Mitchell, die inzwischen als Ärztin
seit Jahren versucht, die Gesundheitsstandards der Branche zu verbessern, oder
die wunderbar rotzige Roxy Deville, die ganz nach eigenen Regeln spielt und
als einzige Darstellerin in der Branche keinen Analsex vollzieht. Und dann ist
da natürlich noch Sasha Grey, mit ihrer stolzen Körperhaltung, ihrer
rebellischen Attitüde und dem ständig spöttischen Lächeln,
die inzwischen in Steven Soderberghs neuem Mini-Projekt The
Girlfriend Experience
die titelgebende Freundin spielen durfte.
Die Editoren Christopher Klotz und Kai
Schröter bauten aus dem Dutzend Protagonisten und den endlosen Stunden
Material einen mitreißenden, klugen und bewegenden Film und haben vor
allem großen Anteil am Gelingen der delikaten Balance zwischen Hinschauen
und Schaulust: Der Film will und darf seine Kameraaugen nicht vor dem eigentlichen
Gegenstand, der Pornographie im Leben der Protagonisten, verschließen,
soll aber auch zu keiner Zeit in den Sensationalismus oder gar in die Voyeurismus
verfallen. Hier finden Hoffmann an der Kamera und seine Editoren in der Nachbearbeitung
immer wieder geschickte und wirkungsvolle Methoden: Mal sehen wir in einer Fellatioszene
die knienden Damen nur von der Brust abwärts, mal blendet das Bild auf
das romantische Panorama des San Fernando Valley, wo ein Großteil der
amerikanischen Pornoindustrie beheimatet ist, während auf der Tonspur noch
das rhythmische Keuchen und glitschige Stoßen zu hören ist. In beiden
Fällen entsteht ein absurd-komischer und trotzdem erschreckender und überraschend
origineller Eindruck von tausendmal gefilmten Szenen. Einige überraschende
Montagen, wenn beispielsweise von einem selbstgerechten Monolog des Darstellers
Otto Bauer weggeschnitten wird zu seinem fetten, sabbernden Hund, der sich in
der Sonne aalt, tun ihr Übriges zur mehr oder weniger subtilen Orientierung
der Zuschauer.
Es war, wie Regisseur Jens Hoffmann (der
bezeichnenderweise aus dem Sportfilm kommt) im Interview erklärt, ein Herzensprojekt,
für das er und seine Produzentin Cleonice Comino jahrelang immer wieder
in die USA geflogen sind, sich als Zwei-Personen-Filmteam mit den Protagonisten
angefreundet, bei ihnen übernachtet und ihre Schritte in der Industrie
verfolgt haben. Dieser No-Budget-Enthusiasmus verschafft dem Film eine Aura
der Wahrhaftigkeit und ungeschminkten Ehrlichkeit, die man sowohl in den selbstgerechten
Aufklärungsdokus als auch in den scheinverurteilenden und eigentlich nur
schaulustigen Sensationsschnipseln des Privatfernsehens vergeblich sucht. Dazu
gibt es einen phantastischen Soundtrack aus der amerikanischen Indie-Rock-Szene
um den legendären Brant Bjork und die Punkband The Dwarves, und fertig
ist ein wichtiger Film über eine gigantisch große und komplexe Industrie,
die gerne ganz ausgeblendet oder nur für kurze Zeit zur allgemeinen Ergötzung
ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird, obwohl sie doch ein Teil unserer
täglichen Kultur ist. Ein Aufklärungsfilm im besten Sinne also.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
9to5
– Days in Porn
Deutschland
2008 – Regie: Jens Hoffmann – Darsteller: (Mitwirkende) Belladonna, Sasha Grey,
Audrey Hollander, Jim Powers, Katja Kassin, Roxy Deville, Otto Bauer, Tom Herold,
Sharon Mitchell, Mia Rose, Julie Silver, Mark Spiegler – Länge: 95 min.
– Start: 2.7.2009
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