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(500)
Days of Summer
Wunsch
und Wirklichkeit
Um
einem senilen Genre in den Hintern zu treten, braucht es manchmal nur eine gute
Idee. Ein Junge liebt ein Mädchen, aber sie kann sich nicht entscheiden
– zack, schon fliegt der ganze Blödsinn namens romantische Komödie,
den man sich in den letzten Jahren als denkender Mensch sowieso nicht mehr angesehen
hat, mit einem Schlag auf den Müllhaufen der Filmgeschichte. (500)
Days of Summer ist
kein perfekter Film, aber ein Befreiungsschlag.
Es
geht um einen jungen Mann namens Tom. Eines Tages tritt eine Frau namens Summer
in sein Leben. Er verliebt sich sofort, sie nicht. Dann doch, aber nicht so
richtig. Sie glaubt eh nicht an dauerhafte Liebe. Sie küssen sich, doch
sie will nur mit ihm befreundet sein. Irgendwie werden sie doch ein Paar, doch
dann ist sie wieder verschwunden. Tom spult in seinen Erinnerungen hin und her,
um den Moment zu finden, an dem es schief ging, und findet doch nur lauter traurige
und schöne Erinnerungen. All das ist unspektakulär, aber mit so einer
Aufrichtigkeit erzählt, dass man merkt, wie oft man im Kino sonst mit Klischees
verarscht wird. Und wie gut es tut, in einem Film Figuren zu treffen, mit denen
man auch selbst befreundet sein könnte. Keine Helden, keine Antihelden,
keine Witzfiguren, keine Langweiler mit einer Mission, keine verspulten Indiefilm-Spackos,
sondern einfach Individuen, die man kennen lernt und gerne mag.
Neu
daran ist unter anderem, dass Liebe als ein Gefühl ernstgenommen wird,
das beide Geschlechter betrifft. Sonst geht es immer um hysterische Mädchen,
die an der Frage zu Grunde gehen, ob Mr. Right jetzt endlich anruft, oder um
Jungs, die sich beim Anblick der perfekten Frau in hormongesteuerte Vollidioten
verwandeln. Die Liebe ist da wie ein goldenes Kalb, um das man herumtanzt, von
dem man aber eigentlich keine Ahnung hat. Die ganz alltägliche Begegnung
zweier Menschen mit all ihren Ängsten und Wünschen, mit Freundschaft
und Liebe und all dem dazwischen, ist bis dato im Kino kein häufiges Phänomen.
Zu ehrlich muss der Autor da sein, das wird ihm oft zu peinlich, dann flüchtet
er sich lieber in erprobte Klischees, anstatt einfach mal sein Herz zu öffnen.
Dabei wäre es so einfach. Scott Neustadter, einer der beiden Autoren, hat
eine Geschichte zu Grunde gelegt, die ihm selbst passiert ist, und schon fliegen
ihm die Herzen zu.
Für
einen Film, der so grundsätzlich ehrlich an seine Zuschauer herantritt,
ist es da schon wieder schade, dass er immer eine Spur zu schön aussieht.
Die Protagonisten leben in einer gut aussehenden Taschen-Bildband-Welt und wohnen
in umwerfend schönen Wohnungen. Und so ehrlich der Film das Liebesleben
seiner Menschen schildert, so schludrig geht er mit dem anderen Aspekt um, der
für unsere Generation charakteristisch ist, nämlich dem Pflegen ausgedehnter
und inniger Freundeskreise. Der Held hat seine lustigen Sidekicks, die er anzapft,
wenn er sie braucht, ansonsten ist er Solist. Egal, der Film macht trotzdem
in jedem Moment Spaß, was nicht nur an den emotionalen Qualitäten
liegt, sondern auch an einer sehr eigensinnigen, reflektierten Erzählweise.
So wie er durch seine eigene Geschichte springt, so springt er auch durch die
Filmgeschichte, zitiert hier und klaut da, hüpft in die Meta-Ebene und
schenkt uns am Ende eine reizende Splitscreen-Sequenz aus Wunsch und Wirklichkeit,
die man sofort noch mal sehen will. Und er kriegt es sogar hin, über den
eigenen Tellerrand zu gucken und sich auch für so entlegene Dinge wie Kunst
und Musik zu interessieren.
In
den letzten Jahren sah man gelegentlich eine Erscheinung, die noch einige Auswirkungen
aufs Kino der beginnenden Dekade haben könnte: den Hipsterfilm. Figuren,
die in derselben Welt leben wie ihre Zuschauer, nämlich einer Welt, die
wesentlich von kulturellen Produkten geprägt ist. Geschichten, so uneindeutig
und fragmentarisch wie das Leben selbst, die man sich trotzdem und gerade deswegen
gern ansieht. Eine Dramaturgie, die althergebrachte Regeln ignorieren kann,
weil die Macher das Kino als Muttersprache gelernt haben und die Grammatik der
Emotionen beherrschen, ohne ständig ins Handbuch zu gucken. Filme, die
ihr Publikum nicht von oben herab abspeisen, sondern ihm auf Augenhöhe
begegnen. Und nicht zuletzt eine unvoreingenommene, neugierige Haltung dem Genre
gegenüber. District
9
war ein ähnlich heilsamer Schock fürs Science-Fiction-Kino. Wenn es
so weitergeht, dann steht uns ein interessantes Jahrzehnt bevor.
Dietrich
Brüggemann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
(500)
Days Of Summer
USA 2009 – Regie: Marc Webb – Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Zooey Deschanel, Geoffrey Arend, Matthew Gray Gubler, Chloë Grace Moretz, Clark Gregg, Rachel Boston, Minka Kelly – FSK: ohne Altersbeschränkung – Länge: 97 min. – Start: 22.10.2009
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