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3096 Tage

 

 

 

Ein Film über Natascha Kampusch: Kühnes Kalkül oder aufrichtige Aufklärung? Egal. Sherry Hormanns Verfilmung des Falls macht sich ohnehin selbst vergessen.

Es war eines der großen Medienereignisse der letzten Jahre. Im August 2006 gelang es der jungen Österreicherin Natascha Kampusch, nach acht Jahren Gefangenschaft ihrem Entführer zu entkommen. Alles, was nach diesem Tag geschah, schien die Klischees vom widerwärtigen Sensationsjournalismus zu bestätigen. Mit einem Mal brach die mediale Hölle los, ein Inferno an Berichterstattung und Interviews, gekoppelt an eine öffentliche Präsenz des Falls, die das reale Ereignis so penetrant überlagerte, dass es fast verschwand. Was bleibt, ist die irgendwie geartete Repräsentation des Geschehenen, zusammengestaucht und verzerrt zum brauchbaren Format.

Die Repräsentation in diesem Fall: Natascha Kampusch, oder besser: die Medienfigur des entführten Mädchens Natascha Kampusch. Nun also folgt der Film, der, basierend auf einem Drehbuchfragment des 2011 verstorbenen Filmproduzenten Bernd Eichinger, dieses Bild weiter ausdehnt. Eine Diskussion über Sinn und Unsinn dieses Films, der sich an der Dialektik zwischen Ausbeutung des Themas und ehrlicher Aufarbeitung der Vorkommnisse entlanghangelt, wird sich wohl notwendigerweise anschließen. Das Ereignis bleibt interessant, solange sein Echo weiter durch die Kanäle der Mediengesellschaft forthallt.

Filme, die aktuelles Zeitgeschehen behandeln, stehen immer vor einem großen Problem. Unter der Bürde der dramaturgischen Verkürzung gilt es, das Thema adäquat darzustellen. Wird eine Form konsequent durchgezogen, funktioniert ein Ereignis auch als Genrekino. Kathryn Bigelows "Zero Dark Thirty" (2012) ist ein Beispiel dafür, das auch bestens die unvermeidbare Folge vor Augen führt: den Skandal. Wie sehr sich nun ein Film an seiner Skandalträchtigkeit labt und diese für sich nutzt, ist ein inzwischen leidiges Thema. Was aber bleibt von "3096 Tage", wenn man davon absieht?

Nicht viel. Dennoch mag man zunächst überrascht sein. Der Film ist bei weitem nicht so reißerisch, wie es der unsägliche Trailer vermuten lässt. Einige Szenen darf man sogar durchaus als gelungen bezeichnen. In einer Szene im Baumarkt verliert Natascha (Antonia Campbell-Hughes) ihren Begleiter aus den Augen, doch lässt ihr aufgeregtes Umherblicken nicht erschließen, ob sie einen möglichen Fluchtmoment wahrnimmt oder sie über das Verschwinden ihres Entführers in Panik gerät. Der Blick des Zuschauers mag die ausgemergelte Physiognomie der jungen Frau, die so elendig zwischen den Kaufhaus-Regalen kauert, nicht zu deuten.

Überhaupt bleibt die Beziehung zwischen Opfer und Täter undurchsichtig. Im einen Moment schlägt man sich, im anderen beschenkt man sich. Psychologisierungen gibt es in Ansätzen, doch verweigert sich die Erzählung der unverfänglichen Eindeutigkeit. Mit seiner tagebuchartigen Struktur der Aneinanderreihung zentraler Momente schafft Hormanns Film Mikrodramaturgien innerhalb des Gesamtwerks und sichert sich damit immer wieder die Aufmerksamkeit des Zuschauers.

Überzeugend ist "3096 Tage" trotzdem nur sehr bedingt, selbst wenn man von dem unglücklichen Umstand, dass er aufgrund seines internationalen Casts komplett nachsynchronisiert wurde, einmal absieht. Obwohl der Film in einigen Momenten versucht, sich zu zügeln und seinem selbstauferlegten objektiven Duktus zu folgen, pocht es immer wieder bedrohlich in der Tonspur, und das Zeitlupenbild überlässt das Martyrium nicht dem emotionalen Zufall. Ein für die Cineplexe ausgerichtetes Großprojekt nach realem Vorbild – "Der Baader Meinhof Komplex" (2008) bestätigt dies – kann der Forderung nach Verismus nun einmal nie vollends nachgeben. Für eine lupenreine Genreausrichtung nimmt sich "3096 Tage" dann aber wiederum zu wichtig und hätte sich wohl heftigen Vorwürfen stellen müssen. Übrig bleibt die Kameraarbeit von Michael Ballhaus, der nach mehrjähriger Pause für die Bildgestaltung verantwortlich zeichnet und die Enge der Fünfquadratmeter-Zelle souverän einfängt.

Schließlich möchte "3096 Tage" – und hier liegt das skandalträchtige Moment des Films, das dann doch noch erwähnt werden muss – einen ungeklärten Aspekt des Falls beleuchten: die sexuelle Beziehung zwischen Opfer und Täter. Mit Kabelbinder an den Peiniger gefesselt lässt die Jugendliche die Schmach über sich ergehen und gibt monotones Gestöhne von sich. Kampusch selbst schweigt diesbezüglich bis heute. Somit schleppt der Film neue Anreize für das öffentliche Auswalzen der Vorfälle mit sich, um die eigene Unentschlossenheit zu übertünchen. Das mutet wie ein wohlüberlegter Versuch an, sich aus der filmischen Misere herauszuwinden. "3096 Tage" ist manchmal zurückhaltend und manchmal aufdringlich, mal distanziert und mal emotionsgeladen und spielt mit Parametern des Konsumierbaren, ohne sie auszuloten. Für einen aufgewärmten Diskurs über Opfer- und Täterschaft ist Hormanns Film allemal gut. Aber: Die Filme, über deren Machart man sich geärgert hat, bleiben einem unweigerlich im Kopf. Jene, die nicht wissen, was sie mit ihrem realen Vorbild anstellen sollen, allerdings nicht.

Josef Lommer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.critic.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 
3096 Tage

Deutschland 2013 – 109 Minuten – Regie: Sherry Hormann – Drehbuch: Ruth Toma – Produktion: Martin Moszkowicz – Kamera: Michael Ballhaus – Schnitt: Mona Bräuer – Musik: Martin Todsharow

Darsteller:Trine Dyrholm, Jaymes Butler, Thure Lindhardt, Antonia Campbell-Hughes, Amelia Pidgeon, Angelina Noa, Vlasto Peyitch

Verleih: Constantin – Kinostart28.02.2013

 

 

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