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12 Years a Slave
Eine ganze Reihe von Scheusalen
Ja, auch Brad Pitt und Hans Zimmer sind
mit an Bord, doch im Kern geht es Steve McQueens Sklaverei-Drama "12 Years
a Slave" um die aufrichtige Bergung eines Erfahrungsschatzes.
Dieser Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ist ein geachteter Gentleman in den feineren Kreisen im New York des Jahres 1841. Seine Künste als Geigenspieler sind geschätzt, man grüßt ihn auf den Straßen und in den Läden mit zuvorkommendsten Floskeln und hält gerne Konversation mit ihm. Es ist der Traum des gelingenden Lebens, dessen Verwirklichung Solomon Northup und der enge Kreis seiner Liebsten beträchtlich nahe kommen.
Bis er auf die Herren trifft, die Gentlemen zu sein nur vorgeben, ihn dann unter Drogen setzen, demütigen, auspeitschen und in den Süden nach New Orleans verkaufen. Denn Solomon Northups Hautfarbe ist dunkler als ihre. Das Scheusal, das ihn als erstes in einer ganzen Reihe von Scheusalen mit der Peitsche malträtiert, prügelt es ihm gehörig ein: "Ich bin ein Sklave", soll Northup sagen. Zum Sklaven ist man nicht geboren, zum Sklaven wird man gemacht. Dasselbe gilt für die Hautfarbe als Identitätsmerkmal: Wenn Solomon Northup zu Beginn noch die Freiheiten seines bürgerlichen Lebens in vollen Zügen genießt, spielt seine Hautfarbe – gemessen an den Gepflogenheiten des Hollywoodkinos – auf fast schon irritierende Weise keine Rolle: Für einen Film, der ansonsten viel Wert darauf legt, den grassierenden Rassismus in all seinen Abscheulichkeiten grafisch vors Auge zu führen, mag die "Farbblindheit" dieser Sequenzen zu Beginn vielleicht ja wirklich verblüffend sein. War der Umgang mit freien Afroamerikanern – ja, die gab es – im Norden der Staaten tatsächlich so frei von Rassismen? Was sich vielleicht als Lässlichkeit ankreiden lassen könnte, ist in Wahrheit nichts anderes als die Postulation eines Idealzustands: Die Haut eines Menschen sollte noch nicht einmal zweitrangig sein. Und diese Szenen führen einem, ihrem ganzen entspannten Duktus zum Trotz, nochmals schlagartig vor Augen, welche Narrative im Erzählfundus des Hollywoodkinos, das sich ja insbesondere in seiner linksliberalen Ausprägung oft anhören lassen muss, so ziemlich jedes politisch korrekte Thema bereits bearbeitet zu haben, noch fehlen.
Vorderhand erzählt "12 Years a Slave" die wahre Geschichte
des historischen Solomon Northup, der in die Sklaverei entführt, systematisch
degradiert und erst nach zwölf Jahren, nach einer juristischen Intervention
früherer Freunde aus dem Norden, befreit wird. Die Sklaverei als gewaltige
Entmenschlichungsmaschinerie – das ist die Makro-Geschichte, die Steve McQueen,
von Haus aus bildender Künstler und seit "Hunger" (2008)
und "Shame" (2011) der aufstrebende Regiestar des intelligenten
Arthouse-Kinos, insbesondere in der ersten Hälfte seines Films mit einiger
Wucht erzählt: Da sind die großen Mühlen der Mississippi-Dampfer,
die sich wie Mähdrescher-Klingen durch das Bild pflügen, dort das
düstere Holz der Zellen auf dem Kahn, nicht zuletzt: Eine fahrige, brutale
Montage, ein Getöse auf der Tonspur – das alles steht im krassen Kontrast
zu den in sich ruhenden New-York-Szenen. Für Solomon Northup geht eine
Welt, ein Leben verloren.
Doch in den Stationen dieses Leidensdramas, wo es von Plantage zu Plantage, von Demütigung zu Demütigung geht (in den USA zieh der, ohnehin streitbare, Kritiker Armond White den Film des "Torture Porn" – der Vorwurf ist in manchen brutalen Szenen tatsächlich nicht völlig von der Hand zu weisen), mischt sich auch eine Mikro-Geschichte: Immer wieder beobachtet McQueen in kleinen Erzählepisoden, was Sklaverei auch den Sklaven untereinander antut. Immer wieder stößt man auf klirrende Momente der Entsolidarisierung, auf Inseln im narrativen Fluss, die den Streitgesprächen unter den Versklavten gewidmet sind. Dass sie – wenigstens in der Originalfassung, die bei der Pressevorführung zu sehen war – in altmodisch verschnörkeltem Englisch gehalten sind (es fehlt nicht gar so viel und man könnte Shakespeare zum Vergleich heranziehen), bedingt einen angenehm verfremdenden Effekt. Meist geht es um die essenzielle Frage: Wie umgehen mit der eigenen Position? Liebkind machen und auf eine schlichte Linderung der eigenen Lage hoffen?
Alle bisherigen Filme von Steve McQueen handeln von Menschen in Extremsituationen – "12 Years a Slave" ist von allen derjenige mit den auffallendsten Zugeständisse ans Erzählkino. Als piktoriale Meditation über einen Zustand funktioniert er nur in Auszügen (so sucht McQueen immer wieder fast schon nostalgisch anmutende Bilder und rhythmisiert seinen Film mit oft nahezu abstrakten Inserts). Man kann sicherlich problematisieren, dass "12 Years a Slave" sich damit der vornehmlich "weißen" Form des oscar-affinen Melodrams annähert und andient. Auch die Tatsache, dass sich mit Paul Dano, Benedict Cumberbatch, Paul Giamatti, Michael Fassbender und Brad Pitt zumindest in der zweiten Besetzungsreihe weiße Hochprominenz für Gastauftritte eingefunden hat, rückt den Film in die Nähe des Verdachts, dass sich hier weiße Männer durch noble Selbstbescheidungen von der guten Sache etwas Abglanz erhoffen (was den italienischen Verleih schließlich dazu getrieben hat, Brad Pitt, der dramaturgisch wichtig, aber eben auch keine fünf Minuten in Erscheinung tritt, so werbewirksam wie grenzenlos peinlich als Jesusfigur aufs Plakat zu hieven). Nicht zuletzt umsäuselt Hans Zimmers traurig-melodramatische Musik den Film zwar einerseits hocheffektiv, andererseits aber eben auch durchaus kalkuliert, auf typische Oscar-Bait-Weise.
Vielleicht sind das aber auch Reibeflächen, die McQueen bewusst sucht, die es ihm vielleicht sogar gestatten, seinen ansonsten durch und durch radikal auf Seiten der Versklavten verorteten Film so wirkmächtig im Diskurs zu positionieren, wie ihm dies gelungen ist. Das tränenrührende Melo und der ästhetisch ambitionierte Furor gehen zuweilen Hand in Hand, dann wieder stehen sie quer zueinander, wie zwei Formen im Widerstreit. Steve McQueens zu jeder Zeit hochkonzentriertem Film tut das gut. Er schildert die Erfahrungen, Sehnsüchte und Entbehrungen eines Menschen und stellt sich, schlussendlich, ganz und gar in diesen Dienst. Wenn dem Erzählkino auch zuweilen zu misstrauen ist, so ist doch gerade dies, die aufrichtige Bergung eines Erfahrungsschatzes, seine nobelste Aufgabe.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen im www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
12 Years a Slave
USA 2013 – 134 min. – Regie: Steve McQueen – Drehbuch: Steve McQueen, John Ridley
– Produktion: Dede Gardner, Anthony Katagas, Brad Pitt – Kamera: Sean Bobbitt
– Schnitt: Joe Walker – Verleih: Tobis Film – FSK: ab 12 Jahren – Besetzung:
Brad Pitt, Benedict Cumberbatch, Michael Fassbender, Paul Giamatti, Scoot McNairy,
Paul Dano, Marcus Lyle Brown, Sarah Paulson, Chiwetel Ejiofor, Garret Dillahunt,
Taran Killam, Michael Kenneth Williams, Tom Proctor, Quvenzhané Wallis,
Bryan Batt – Kinostart (D): 16.01.2014
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