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12 Years a Slave

 


Hunger, Shame, Despair

Das Angebot klingt verlockend: Zwei Schausteller laden den New Yorker Familienvater Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ein, ihre Zirkustruppe für gutes Geld zu begleiten. Der frei geborene Zimmermann und Violinist afroamerikanischer Abstammung nimmt an. Doch statt am Ende der Tour seinen Lohn zu erhalten, erwacht Northup in Ketten in einem dreckigen Kellerloch. Alle Versuche, gegen seine Entführung und den Verkauf in die Sklaverei aufzubegehren, werden mit brutaler Gewalt niedergeschlagen. Nach Louisiana verschleppt, wird er zunächst an den Plantagenbesitzer William Ford (Benedict Cumberbatch) verkauft. Als dieser ihn nach zwei Jahren an den neurotischen Baumwollfarmer Edwin Epps (Michael Fassbender) veräußert, beginnt für Northup ein grausames Martyrium.

Die 1853 veröffentlichte Autobiografie Solomon Northups, der 1841 in Washington D.C. entführt und in die Sklaverei verkauft wurde, war Mitte des 19. Jahrhunderts ein Bestseller in den USA. Bis heute gilt Northups Augenzeugenbericht als eine bedeutende historische Quelle über das Sklaverei-System, das (nicht nur) in Südstaaten wie Louisiana bis zum Ende des Sezessionskrieges 1865 in Kraft war. Der britische Videokünstler und Regisseur Steve McQueen, der mit dem Gefängnisfilm "Hunger" (2008) und dem Melodram "Shame" (2011) bereits zwei Studien über Menschen vorgelegt hat, die an sich oder ihrer Umwelt zugrunde gehen, hat sich nun dieses Stoffes angenommen und ihn fürs Kino adaptiert.

"12 Years a Slave" kommt fast exakt ein Jahr nach dem Start von Steven Spielbergs "Lincoln" und Quentin Tarantinos "Django Unchained" in die deutschen Kinos. In beiden Filmen hatten sich prominente Regisseure bereits dem Thema der historischen Sklaverei gewidmet: In Spielbergs Film als eher abstrakte Meditation über den Gegensatz von Pragmatismus und Idealismus in der Politik; bei Tarantino als comichaft überzeichnete und blutig-wilde Befreiungsfantasie. McQueen, der sich in seinen bisherigen Filmen stets für das ganz konkrete (Er-)Leiden seiner Protagonisten interessiert hat, wählt für seinen Film einen intimeren Ansatz: Zwar inszeniert auch er die großen Panoramen, in denen die historischen Ausbeutungsverhältnisse mitunter zu symbolisch aufgeladenen Bildergleichnissen verdichtet werden. Wenn der unglückselige Northup etwa, den Körper in Ketten gelegt, mit seinen Leidensgenossen in den Süden verschifft wird, dann zeigt McQueen dies als Sturz in eine unbarmherzige Unterdrückungsmaschinerie und lässt das Schaufelrad des Dampfers das Wasser geradezu zerhacken und zermalmen. Immer wieder erfasst die Kamera in extremen Aufsichten die zur Sklavenarbeit Verdammten und nimmt dabei doch nicht den Blick eines Gottes ein – der hätte diese Welt längst verlassen, wenn es ihn gäbe. Ähnlich wie die langen Plansequenzen, die McQueen bevorzugt, sind diese Einstellungen in einem Film, in dem vor allem Großaufnahmen und gedämpfte Farben dominieren, Versinnbildlichung eines absoluten Ausgeliefertseins. Lediglich einmal gesteht der Regisseur dem Publikum das utopische Bild einer alternativen Gemeinschaft der Freien in diesem sehr düsteren Film zu, wenn die Sklaven mitten in den Sümpfen auf Native Americans treffen und schweigend eine Mahlzeit teilen.

Im Wesentlichen folgt McQueen – kongenial unterstützt von Kameramann Sean Bobbitt und Cutter Joe Walker – dem von Chiwetel Ejiofor gespielten Protagonisten auf seinem Weg durch die Hölle. Abschweifungen erlaubt sich "12 Years a Slave" dabei nicht. Solomon Northup erlebt an Körper und Psyche ganz konkret, was das System der Sklaverei mit seinen Opfern anrichtet – und mit ihm das Kinopublikum. Ejiofors Protagonist verliert nicht nur seine Freiheit und seine Familie; ihm werden Name und Geschichte genommen; mit Peitsche und Strick schneiden die Herren ihrem "Besitz" ihre Verfügungsgewalt in den Körper ein. Bei den Gewaltszenen hält McQueen voll drauf, vermeidet bis auf einige wirklich unangenehme Momente jedoch die Splatter-Effekte, die in Tarantinos "Django Unchained" noch eine große Gaudi waren. Religion zeigt der Regisseur sehr deutlich – ebenso wie die kleinen Belohnungen der Herren – als Machtinstrument. Die Klarheit, mit der McQueens Film diese Machtverhältnisse herausarbeitet, wie er, trotz aller expliziter Gewalt, nie in eine exploitative Zurschaustellung verfällt, ist bemerkenswert. Und trotz kleinerer Details, die dem Film in den USA vereinzelt als wenig plausibel angekreidet wurden, liefert "12 Years a Slave" einen durchaus akkuraten Abriss der historischen Begebenheiten, wie zum Beispiel ein Blick in das Standardwerk "Eine Geschichte des amerikanischen Volkes" des kürzlich verstorbenen Historiker Howard Zinn bestätigt (die empfehlenswerte deutsche Gesamtausgabe ist im Verlag Schwarzerfreitag erschienen).

Ein Missverständnis ist jedoch die vermeintlich pädagogische Ausrichtung von "12 Years a Slave", die etwa in der aktuellen Ausgabe der "Konkret" McQueens Film vorgeworfen wird. Zum Einen bleibt sich der Regisseur auch mit diesem Film treu und inszeniert schmerzhaft intensives Schauspielerkino, in dem neben Chiwetel Ejiofor Michael Fassbender eine atemberaubende Leistung als bigott-bösartiger Rassist abliefert. Zum Anderen ist "12 Years a Slave" vor allem eine Threnodie, ein mitreißender Klagegesang über einen Mann, der sich weigert, wider besseren Wissens die Hoffnung aufzugeben ("I will not fall in despair"), und über ein Verbrechen, das bis heute seine Spuren in amerikanischen Biografien und Familiengeschichten hinterlassen hat.

In diesem Sinn hat McQueen kein Interesse daran, die Gründe für die historische Sklaverei oder ihre Abolition zu referieren; es geht ihm vielmehr darum, so unmittelbar wie im postklassischen Hollywoodkino möglich in diese Situation einzutauchen. Immer wieder überlagern sich in "12 Years a Slave" dazu Sequenzen. Geräusche werden von einer Szene in die nächste hinübergezogen, die Bilder durch den Einsatz von Teleobjektiven radikal in die Tiefe begrenzt (manchmal sieht man nicht einmal weiter als die Länge eines Grashalms). So gerät der Film – wie schon "Hunger" und "Shame" – zur filmischen Veräußerlichung eines psychischen und physischen Leidenszustands.

Benotung des Films: (9/10)

Harald Steinwender

Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

12 Years a Slave
USA 2013 – 134 min. – Regie: Steve McQueen – Drehbuch: Steve McQueen, John Ridley – Produktion: Dede Gardner, Anthony Katagas, Brad Pitt – Kamera: Sean Bobbitt – Schnitt: Joe Walker – Verleih: Tobis Film – FSK: ab 12 Jahren – Besetzung: Brad Pitt, Benedict Cumberbatch, Michael Fassbender, Paul Giamatti, Scoot McNairy, Paul Dano, Marcus Lyle Brown, Sarah Paulson, Chiwetel Ejiofor, Garret Dillahunt, Taran Killam, Michael Kenneth Williams, Tom Proctor, Quvenzhané Wallis, Bryan Batt – Kinostart (D): 16.01.2014

 

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