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11 Freundinnen

 

 

Zum Stoff ihrer neuen Dokumentation ist die gebürtige Koreanerin Sung-Hyung Cho eher durch Zufall gekommen. Im Rahmen einer Recherche der Heavy Metal-Szene geriet sie ins Stadion der Frankfurter Eintracht; am „Sommermärchen“ der Männer-WM 2006 fand sie Gefallen. Und weil die Deutschen – Sportfans oder nicht – gerne an Märchen partizipieren und diese gerne in Serie sähen, wurde ihr im Vorfeld der Frauenfussball-WM 2011 angeboten, den Film dazu zu drehen. Als Titelverteidiger zählte die deutsche Mannschaft immerhin zu den Mitfavoriten, weshalb insgeheim auch hier die Parole „Projekt: Gold“ ausgegeben wurde.

Die Mentalität, um die es hier (auch) geht, fängt Sung-Hyung Cho eher am Rande ein, wenn sich die Kamera unter die Fans mischt und in einer Kneipe anschaulich die Ambivalenz der „Frauenfußball-WM“ vorgeführt bekommt: Müht sich das Team vergeblich, aktualisiert der (männliche) Fan problemlos althergebrachte chauvinistische Vorurteile, etwa die spöttische Provokation, ein Elfmeter sei einfacher als Einparken. Spielt die Mannschaft aber erfolgreich, ist der Fan euphorisch, und nur noch Miesepeter mäkeln murmelnd im Hintergrund.

Trotz der in den letzten Jahren gewachsenen Popularität des Frauenfußballs existiert dieser im Windschatten des ungleich professionelleren, kostspieligeren und im medialen Fokus stehenden männlichen Pendants – nicht etwa zum Leidwesen der Spielerinnen, die mit ihrem sehr relativem Starstatus ganz gut leben können. Aber eben nicht von ihrem Sport, was Sung-Hyung als Steilvorlage für ihren Film genommen hat. So werden einige Spielerinnen im Vorfeld der WM näher in den Blick genommen. Der Film begleitet sie in ihren Alltag, wo sie ihren Ausbildungen und Berufen nachgehen und sich auch sonst als höchst unterschiedliche Typen präsentieren: etwa die sehr coole Nadine Angerer, die sich als selbstbewusste „Tussi“ präsentierende Sportsoldatin Lira Bajramaj, die meinungsfreudige „Patriotin“ Uschi Holl (eine Bankfachwirtin), die freundlich-netten Anja Mittag (Sport- und Fitnesskauffrau) und Bianca Schmidt (Sportsoldatin) oder die nachdenkliche Dzsenifer Marozsán (Bürokauffrau). Alle Frauen erzählen mehr oder weniger offen von ihren Träumen und Ängsten und ihrer Leidenschaft für den Sport. Privat geben sie sich eher bescheiden und konservativ. Man sieht sie beim Training, bei (seltenen) Werbeauftritten – oder beim gegenseitigen Zupfen der Augenbrauen.

Mit der WM 2011 rückte der Frauenfußball dann schlagartig ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Diesem Hype war das Team nicht gewachsen und schied viel zu früh aus dem Turnier aus. Das Drama um die prominenteste Spielerin Birgit Prinz, deren Karriere mit der WM schmerz- und krisenhaft auslief, streift der Film nur am Rande. Aber auch sonst wirkt „11 Freundinnen“ in seiner Haltung etwas oberflächlich und unentschieden, zumal er mit Beginn des Turniers in eine konventionelle, der Chronologie des Ereignisses folgenden Fernsehdokumentation abrutscht und seine Protagonistinnen leichthin aus den Augen verliert.

Insgesamt ist der schwierige Balanceakt zwischen einer öffizösen DFB-WM-Dokumentation und einer eher persönlichen Annäherung an den Gegenstand nicht gelungen, was vielleicht auch daran liegt, dass sich unter den Porträtierten keine Intellektuelle befindet, die auch einmal auf das „große Ganze“ zu reflektieren wüsste. Insofern implodiert mit dem frühen Ausscheiden der Mannschaft im Viertelfinale auch der Film „11 Freundinnen“, was insofern recht interessant ist, weil Film und Medienhype ein anderes Timing „geplant“ hatten. Unterm Strich bleibt der begrüßenswerte Befund, dass Sommermärchen nur bedingt planbar sind, und die unbehagliche Erkenntnis, dass ein frühes Ausscheiden aus einem Turnier mit sofortigem Entzug von Empathie und Aufmerksamkeit „bestraft“ wird. Zwei Jahre nach der WM ist das Interesse an dieser Mannschaft komplett erloschen und löst auch keine wohlige Nostalgie aus.

Ulrich Kriest

Dieser Text ist zuerst erschienen in: film Dienst 11/2013

 

 

11 Freundinnen

Deutschland 2012 – 102 Minuten – Start(D):23.05.2013 – FSK: ohne Altersbeschränkung – Regie: Sung-Hyung Cho – Drehbuch: Sung-Hyung Cho – Produktion: Raimond Goebel – Kamera: Sophie Maintigneux, Axel Schneppat – Schnitt: Fabian Oberhem, Sung-Hyung Cho, Henk Drees – Musik: Wolfram Gruß – Darsteller: Lira Bajramaj, Uschi Holl, Dzsenifer Marozsán, Anja Mittag, Bianca Schmidt

 

 

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