zur startseite
zum archiv
zu den essays
10 Cloverfield Lane
Regisseur Dan Trachtenberg und Produzent J.J. Abrams konfrontieren in "10 Cloverfield Lane" Mary Elizabeth Winstead mit einer grundlegend instabilen Welt.
Aus dem Gleichgewicht geraten ist die Welt des Films von Beginn an. Schon als Michelle (Mary Elizabeth Winstead) in der ersten Szene eilig ihre Sachen packt und die Wohnung, in der sie gemeinsam mit ihrem Freund zu wohnen scheint, verlässt, bebt die Erde, dräut die flächige Musik, schmiegt sich die der in den Anfangsminuten der atmosphärischen Unschärfe zuneigende Kamera etwas zu intim an den Körper der jungen Frau. Irgendwo gibt es einen Stromausfall, sagt das Autoradio. Eine irgendwie sedierte Anmutung zieht sich durch die ersten Filmminuten; wie, wenn man eine heraufziehende Krankheit mit Schmerzmitteln von sich fernzuhalten versucht.
Dann kracht es und das Licht geht aus. Anschließend baut der Film eine neue, deutlich kleinere, aber wie man bald merkt noch einmal gründlich instabilere Welt auf: Michelle erwacht in einem kahlen, fensterlosen Raum, medizinisch versorgt, aber angekettet auf einer jämmerlichen Pritsche. Als dann auch noch ein raubeiniger, unangenehmer Typ auftaucht und ihr zwar eine Mahlzeit vorsetzt, aber gleichzeitig unmissverständlich klarstellt, dass er nicht daran denkt, sie freizulassen, scheint klar zu sein, in welche Richtung es geht: Michelle hat im Folgenden die Aufgabe, Schritt für Schritt ihren Handlungsspielraum zu erweitern, gegen menschliche und andere Widerstände.
Tatsächlich macht sie sich sofort an die Arbeit, zielstrebig und analytisch, ihre Umgebung als Material verwendend. Die Krücken, die ihr der Mann dagelassen hat, arbeitet sie zur Waffe um und die Bettwäsche verbrennt sie im Lüftungsschacht. Nützt alles nichts, ihr Bewacher, der Howard heißt und von John Goodman im massivsten Wortsinn verkörpert wird, hat die physikalischen Gesetze auf seiner Seite. Da kommt sie einfach nicht vorbei. Dennoch erweitert sich ihre Welt: Im Raum nebenan trifft sie auf Emmett (John Gallagher Jr.), einen etwas tumben Mitgefangenen, der wenig Interesse daran zu haben scheint, sich zu befreien.
Howard erklärt wenig später, warum das so ist: Keineswegs wolle er ihr, Michelle, schaden; ganz im Gegenteil habe er ihr Leben gerettet, weil er sie vor einer mysteriösen kriegerischen Attacke möglicherweise außerirdischen Ursprungs in Sicherheit gebracht habe, die die Außenwelt und insbesondere auch die natürliche Atmosphäre zerstört habe. So beengt sie sich momentan auch fühle, sein Bunker sei doch der einzige Ort weit und breit, der ihr Sicherheit und lebensnotwendige Rohstoffe biete. Michelle glaubt ihm selbstverständlich erst einmal kein Wort – entdeckt dann aber nur zu bald, dass draussen tatsächlich einiges nicht mit rechten Dingen zu geht. Und so sieht sie sich gezwungen, sich zumindest vorläufig mit der Situation zu arrangieren: Sie und die beiden Männer in einem Bunker, der außer ihrem Pritschenzimmer noch einige weitere Räume umfasst, unter anderem einen Wohnbereich, dessen heimelige Verkramt- und spießbürgerliche Verkrampftheit fast noch klaustrophobischer anmutet als das Folterkellerambiente, das Michelle zuerst kennenlernte.
Michelle muss sich also durch eine Welt navigieren, die von einer zweifachen Unsicherheit gekennzeichnet ist: Draußen lauern vorläufig noch namenlose Schrecken; und drinnen bleibt die Stimmung ebenfalls hochgradig angespannt, trotz gelegentlich eingestreuter Retrohits aus der Jukebox. Denn dem zu allem Überfluss auch noch fürchterlich jähzornigen Howard ist, trotz seiner Beteuerungen, dass er allen nur das Beste wolle und auch dann kein Perversling sei, wenn er darauf besteht, die Benutzung der Toilette durch die geöffnete Badezimmertür hindurch zu überwachen, selbstverständlich keinen Meter weit über den Weg zu trauen.
Dem Regiedebütanten Dan Trachtenberg gelingt es über weite Strecken ziemlich gut, dieses double bind der Weltverunsicherung in einen kleinen, gut geölten, kammerspielförmigen Thriller zu übersetzen – der freilich gelegentlich den Willen zur konsequenten Zuspitzung vermissen lässt: Alle eigentlich naheliegenden Abzweigungen in exploitativere Gewässer werden jeweils weiträumig umfahren, wahrscheinlich auch, um in den USA das lukrative PG-13-Rating nicht zu gefährden. Insbesondere achtet der Film darauf, seiner Protagonistin stets ausreichend Handlungsoptionen zur Verfügung zu stellen; rein passive Hilflosigkeit, jenes implizit masochistische Ausgeliefertsein, das erst hektischen Thrill in genuinen Terror verwandelt, wird ihr nicht zugemutet. (Freilich macht Winstead gerade als stetig Aufmerksame, stetig nach Bewegungspotentialen Ausschau haltende, als mit jeder Faser ihres schlanken, durchtrainierten Leibs Handelnde eine ausgezeichnete Figur).
Fürs Finale wechselt der Film komplett nicht nur das Genre, sondern auch die Tonlage, und baut einfach noch ein weiteres Mal eine komplett neue, auf wieder ganz andere Art instabile Welt auf. Das ist einerseits wagemutig, entspringt andererseits ökonomischem Kalkül: Denn erst die letzten zehn Filmminuten ordnen den Film in jene Filmserie ein, dem er seinem Titel zufolge zugehört. Schlicht "Cloverfield" hieß vor mittlerweile acht Jahren ein gleichfalls vergleichsweise kleiner, gleichwohl ziemlich wuchtiger Monsterfilm aus der Schmiede des Erfolgsproduzenten J.J. Abrams. "10 Cloverfield Lane" hat mit dem älteren Film über weite Strecken schlicht gar nichts zu tun, und basiert in der Tat auf einem Drehbuch, das unabhängig von diesem entstanden war. Dass es ihm gelungen ist, einen kleinen und trotz allem ziemlich bösartigen Thriller zu einem Mainstream-Kassenerfolg zu machen, und zwar ausgerechnet mithilfe jener in Hollywood derzeit fast alternativlosen Franchiselogik, die Filmen dieser Art sonst kaum Luft zum Atmen lässt: Dafür darf man Abrams, diesen zuletzt nicht immer allzu treffsicheren obersten Nerd Hollywoods, endlich wieder vorbehaltlos lieben.
Lukas Foerster
Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
10 Cloverfield Lane
USA 2016 – 104 Min. – FSK: ab 16 Jahre – Kinostart(D): 31.03.2016 – Regie: Dan
Trachtenberg – Drehbuch: Josh Campbell, Matthew Stuecken, Damien Chazelle –
Produktion: J.J. Abrams, Lindsey Weber – Kamera: Jeff Cutter – Schnitt: Stefan
Grube – Musik: Bear McCreary – Darsteller: Mary Elizabeth Winstead, John Goodman,
John Gallagher Jr., Douglas M. Griffin, Suzanne Cryer, Bradley Cooper, Sumalee
Montano, Frank Mottek, Jamie Clay, Cindy Hogan, Mat Vairo – Verleih: Paramount
Pictures Germany
zur startseite
zum archiv
zu den essays