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00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse

 

 

Solidargemeinschaft der Krummen und Schiefen

In Helge Schneiders wunderbarem neuen Film "00 Schneider: Im Wendekreis der Eidechse" liegt Mühlheim in Andalusien.

"00 Schneider: Im Wendekreis der Eidechse" ist zu weiten Teilen im Ruhrgebiet gedreht. Dessen Straßen sehen in Helge Schneiders Film aus, als hätte die alte Bundesrepublik nie aufgehört, zu existieren. Das liegt nur zu einem kleinen Teil an den Vintage-Accessoires, die hier und da auftauchen (besonders toll: der Seventies-Drehstuhl in Schneiders Wohnung); zu einem etwas größeren schon am körnigen, rauhen 16mm-Material, auf dem Schneider auch diesen Film wieder gedreht hat; vor allem aber daran, dass "Im Wendekreis der Eidechse" einen wunderbaren Blick hat für Orte, an denen die Vergangenheit stur und uncool in die urbane Gegenwart hineinragt. Zum Beispiel die schlichte, abgesenkte Garageneinfahrt, über die man ins Polizeirevier gelangt. Oder eine Verkehrskreuzung vor einer Bahnunterführung, die immer wieder leitmotivisch auftaucht. In deren Mitte ist, in einer sonderbaren, runden Vorrichtung, ein Verkehrspolizist platziert, der vielleicht, unter der Hand, die bizarren Wege regelt, die die Figuren durch die Handlung nehmen.

Das heißt nicht, dass die Zeit stehengeblieben wäre für Schneider. Sein Kino hat sich durchaus verändert seit den neunziger Jahren, als er mit dem Nonsense-Western "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" einen immerhin mittelgroßen Erfolg feiern konnte. Schon der umwerfende Vorgänger "Jazzclub" – der freilich bereits wieder geschlagene neun Jahre alt ist – hatte sich von den offensiven Trash-Insignien der früheren Filme weitgehend gelöst, von den Papp-Kulissen zum Beispiel oder von dem absichtsvoll verhauenen Timing jeder einzelnen Szene; "Im Wendekreis der Eidechse", der zweite Film, der um die 00-Schneider-Figur, einen Polizeibeamten, der auch in einigen derangierten Kriminalromanen auftaucht, herum gebaut ist, geht noch ein wenig weiter in Richtung einer allerdings nur vermeintlichen Professionalisierung; es geht eher darum, die eine oder andere campige Maske abzulegen, damit darunter eine umso eigenwilligere und im Kern schwermütige Gestalt hervorlugt. Der Film ist ohnehin größtenteils mit denselben Freunden und Wahlverwandten des Regisseurs – Jazzmusiker, Kleinkünstler, Nachbarn – besetzt, die auch in den anderen Filmen mit dabei waren.

Vor allem überraschen im neuen Film einige Passagen zu Beginn, die geschickt mit den Bildern des Genrefilms, insbesondere des Polizeithrillers spielen; selbstverständlich ohne dass der Film auch nur für eine Sekunde ernsthaft zum Spannungskino hin tendieren würde – Rocko Schamoni zum Beispiel, der als frisch dem Gefängnis entkommene "Eidechse" die Kiosks der Nachbarschaft unsicher macht und ursprünglich einmal einen vollwertigen Gegenspieler abgeben sollte, wurde im fertigen Film auf Zischlaute und Blasebalghände reduziert; als würde er versuchen, sich selbst wieder aufzuplustern, nachdem Schneiders Hang zum Seitenblick ihm gründlich die Luft herausgelassen hat.

Schneider nimmt sich vom Genre nur, was ihm gerade, in der jeweiligen Einstellung, in den Kram passt. Besonders springt die aufwändige Subjektive beim ersten Betreten des Reviers ins Auge, die dessen Inneres nervös erkundet. Die hektischen Schnitte in der nachfolgenden Szene könnten fast einem der Polizeifilme Dominik Grafs abgeschaut sein; oder deren italienischen und amerikanischen Vorbildern – nicht umsonst wird im Revier wild durcheinander deutsch, italienisch und englisch (bis hin zum Eastwood’schen "Make my day!") gesprochen. Anders als diese Vorbilder will der Film nicht auf Konfrontation hinaus; die Solidargemeinschaft der Krummen und Schiefen, der alle Schneiderfiguren implizit angehören, ist mächtiger als jedes Drehbuch.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass Schneider auch heute noch, 20 Jahre nach dem kleinen Überraschungshit "Katzeklo", im Mainstream der deutschen Popkultur präsent ist. Freilich ist längst klar, welche Rolle dieser Mainstream ihm einzuräumen bereit ist und welche nicht: Als Pausenclown, auf Stefan Raabs Sofa zum Beispiel, ist er gern gesehen, als Hauptattraktion weniger gerne; erst Anfang dieses Jahres wurde seine WDR-Talkshow "Helge hat Zeit" nach gerade einmal zwei Episoden eingestellt. Dem Vernehmen nach auf seinen eigenen Wunsch hin, trotzdem ist das bezeichnend: Für jemanden wie Schneider hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen vielleicht alle paar Monate ein Zeitfenster übrig, aber auf die ganz eigentümliche, ungefensterte Helge-Schneider-Zeit kann es sich nicht einlassen.

Warum sollte der letzte Poet des deutschen Kinos auch ausgerechnet im Formatfernsehen zu sich finden? Mit seinen Kinofilmen ist Schneider selbst (dem Vernehmen nach) seltsamerweise nie wirklich glücklich geworden; dabei hat er da viel mehr Freiheiten, zum Beispiel für jene Abschweifungen, die nirgendwohin und auf keinen Fall wieder zurück führen, die im neuen Film die Suche nach einer Waschmaschine im Schneesturm enden lassen oder Mülheim mit einem Schnitt mit der andalusischen Meeresküste kurzschließen. Auch die Memoiren, an denen der ergraute Kommissar in der heimischen Wohnung schreibt (schrecklich einsam sitzt er da, in den ersten Szenen, bis eine Tante aus Amerika vorbei schaut und ein wenig Unfug auch im tristen häuslichen Raum veranstaltet), werden am Ende nichts resümiert haben. Sondern sie werden höchstens um eine kleine Facette jenes sonderbare Gesamtkunstwerk Helge Schneider erweitert haben, das auch der Film "Im Wendekreis der Eidechse" auf eine ganz besonders schöne Weise fortschreibt.

Lukas Foerster

Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse

Deutschland 2013 – 96 Minuten – Start(D): 10.10.2013 – FSK: ab 6 Jahre – Regie: Helge Schneider – Drehbuch: Helge Schneider, Andrea Schumacher, Pete York, Bodo Österling – Produktion: Ulf Israel – Kamera: Voxi Bärenklau – Schnitt: Andrea Schumacher – Musik: Helge Schneider – Darsteller: Helge Schneider, Rocko Schamoni, Norbert Losch, Sergej Gleitmann, Peter Thoms, Tyree Glenn, Pete York, Ira Coleman, Carlos Boes, Rudi Olbrich, Willy Ketzer, Salvatore Bonarrigo

 

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