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Zwölf
Uhr mittags
Minutenlang
fällt kein einziges Wort. Die Anspannung aller Anwesenden ist unerträglich.
Unerbittlich bewegen sich die Zeiger weiter nach vorne. Eine ganze Stadt, die
den Atem anhält und wortlos dem Ticken des Uhrwerks lauscht, bis aus der
Ferne das laut pfeifende Signal des Mittagszuges erklingt. Darauf haben alle
gewartet, denn mit diesem Zug kommt der vor kurzem frei gelassene Mörder
Frank Miller zurück in die kleine Stadt Hadleyville, um abzurechnen mit
Marshall Will Kane, der ihn damals ins Gefängnis brachte.
Weltberühmt
und handwerklich perfekt ist die Inszenierung dieses Höhepunkts von "Zwölf
Uhr mittags", ein Film, der die Maßstäbe setzte für jeden
Plot, in dem die voranschreitende Zeit der größte Feind des Protagonisten
ist, der das klassische Western-Duell zu seiner Essenz hochstilisierte, und
der sich gleichzeitig deutlich und überzeugt von den Normen seines Genres
entfernte.
Marshall
Kane (Leinwandlegende Gary Cooper) hat kaum das Ja-Wort auf seiner Hochzeit
mit der Quäkerin Amy (ätherisch-erhaben wie immer: Grace Kelly) ausgesprochen,
als ihn die Nachricht von der baldigen Ankunft Millers erreicht. Sein Amt hat
er schon niedergelegt, draußen wartet abfahrbereit die Kutsche, die das
frisch vermählte Paar in eine friedliche Zukunft und eine andere Stadt
bringen soll, doch Kane – ahnend, dass ihm Miller überall hin folgen wird
– läuft nicht weg, sondern will sich diesem letzten Kampf in seiner Rolle
als Gesetzeshüter stellen. Selbst wenn dies den Verlust seiner frisch Angetrauten
bedeutet, denn als Quäkerin lehnt Amy jedwede Form von Gewalt ab und ist
so nicht zuletzt der Hauptgrund, warum der Marshall sein Amt überhaupt
niedergelegt hat. Kaum verheiratet, schon mit der Ehefrau zerworfen macht sich
Kane auf die Suche nach Helfern, die ihm in der anstehenden Schießerei
mit Miller und seiner alten Bande, die ihn bereits am Bahnhof erwartet, beistehen.
Doch einer nach dem anderen macht einen Rückzieher, aus persönlichen
Gründen wie der selbstherrliche Heißsporn Harvey (ein blutjunger
Lloyd Bridges), aus Selbstzweck, oder aus purer Angst. Nach und nach wendet
sich die ganze Stadt, die vor einem Tag noch scheinbar geschlossen hinter Kane
stand, von ihm ab, und so tritt der Marshall den Ganoven schließlich allein
gegenüber…
Gewalt
nicht als Allheilmittel, sondern als aufgezwungenes Übel – während
in den meisten Western ohne Hinterfragen fröhlich rumgeballert wurde, sieht
sich in "Zwölf Uhr mittags" selbst der dazu eigentlich berechtigte
Gesetzeshüter einer moralischen Debatte ausgesetzt. Aus Liebe zu seiner
Frau und aus Respekt für ihre Glaubensgrundsätze hatte er die Waffe
eigentlich schon aus der Hand gelegt, und muss sie nun doch noch einmal aufnehmen,
als ihn seine Vergangenheit einholt. Er wählt das Duell nicht, weil es
die einfachste Lösung ist, sondern die einzige.
Ein
des Schießens müder Held, das hatte der Western bis dato ebenso wenig
gesehen wie eigenständige und selbstbewusste Frauenfiguren. Dies gilt nicht
nur für Kane’s Frau Amy, die sich als einzige Stütze für ihren
Mann erweist, sondern auch für die Saloon-Besitzerin Helen Ramirez, eine
alte "gute Bekannte" sowohl von Kane als auch von Frank Miller. Unabhängig
und nach ihrem eigenen Willen führt sie ihr Leben in einer Gesellschaft,
in der ihre Position als Frau eigentlich eine ganz andere ist – und lässt
so jegliche Beschützerinstinkte von markigen Cowboys ins Leere laufen.
Dank
solcher bewusst gegen den Genre-Strich gebürsteter Charaktere wird "Zwölf
Uhr mittags" mancherorts auch als "Anti-Western" bezeichnet,
treffender ist jedoch die Erkenntnis, dass der Film einfach wesentlich intelligenter
und ehrlicher ist als die sonstigen Vertreter des Wildwest-Mythos. Einer enormen
Spannung stand diese Öffnung zu mehr Glaubwürdigkeit und Bedeutung
jedenfalls nicht im Wege: Bei 85 Minuten Länge, die eine Zeitspanne von
etwas weniger als zwei Stunden abdecken, verläuft "Zwölf Uhr
mittags" in Echtzeit, so dass im Kopf des Betrachters fast unweigerlich
permanent eine leise Uhr mittickt, während Kane’s Suche nach Verbündeten
immer verzweifelter und aussichtsloser wird. Selten war ein Film in seinem Spannungsaufbau
so einfach und so effektiv. Gleichzeitig fand Regisseur Fred Zinnemann auch
noch Wege, um die grundlegenden Konflikte seiner Figuren so prägnant zu
zeichnen, dass mit dem Eintreffen des Mittagszuges bereits alles gesagt ist:
In den letzten zehn Minuten fällt kaum noch ein Wort, stattdessen gibt
es einen der größten Klassiker unter den Western-Showdowns, der allein
"Zwölf Uhr mittags" – bei aller Demontage – einen Ehrenplatz
in den Genre-Annalen garantiert.
Eine
ganz besondere Relevanz hat "Zwölf Uhr mittags" jedoch wegen
seiner Entstehungszeit, denn 1952 war die durch den populistischen Senator Joe
McCarthy angeführte Kommunisten-Hatz in den USA auf ihrem Höhepunkt.
McCarthy, dem es bei seinen "Ermittlungen" immer mehr um die Publicity
als die Wahrheit ging, hatte sich mit seinem "House Committee for Un-American
Activities" auf die intellektuelle Künstlerszene Hollywoods eingeschossen
und lud jeden Kreativen für eine Aussage vor, der einst einmal Mitglied
der kommunistischen Partei oder auch nur mit einem ehemaligen Mitglied bekannt
war. Nur, wer vor dem Komitee öffentlich dem Kommunismus entsagte und die
Namen sämtlicher persönlich bekannter "Genossen" nannte,
konnte seinen eigenen Namen reinwaschen. Wer eine Aussage verweigerte landete
zwar nicht zwingend im Gefängnis, dafür jedoch auf der Schwarzen Liste:
Aus Angst vor den politischen Mächten stellte kein Hollywood-Studio mehr
Leute an, die die Zusammenarbeit mit dem Komitee verweigert hatten. Eine ganze
Generation hochtalentierter Filmkünstler wurde so in die Arbeitslosigkeit
verbannt.
In
dieser brisanten Situation wurde der imminent erfolgreiche "Zwölf
Uhr mittags" sofort entsprechend seines Interpretationsrahmens gedeutet:
Für die Kommunistenjäger war Marshall Kane der standfeste ur-amerikanische
Held, der sich allein der drohenden Gefahr der Roten stellt und die Stadt (also
das Land) sauber hält. Tatsächlich jedoch wird umgekehrt ein Schuh
draus: Produzent Stanley Kramer, bekannt für sein ausgeprägtes Sozialbewusstsein,
und Autor Carl Foreman (der bei Veröffentlichung des Films bereits das
Land verlassen hatte, weil er kurz nach Fertigstellung des Films selbst auf
der Schwarzen Liste landete) schufen mit "Zwölf Uhr mittags"
eine deutliche Allegorie auf den schweren Kampf der Opfer McCarthys. So entsprechen
Frank Miller und seine am Bahnhof wartende Bande dem anreisenden Kongress-Komitee,
während Will Kane ihr moralisch integres Opfer ist. Und während zwar
seine ganze Stadt weiß, dass er im Recht ist, lassen ihn letztlich alle
aus Angst fallen. Die Verachtung, mit der Kane am Ende wortlos seinen Sheriffstern
den Einwohnern vor die Füße wirft, spiegelt das Urteil der wenigen
Standhaften wider, die nicht wie die großen Bosse vor dem laut krakeelenden
aber letztlich nur Schaum schlagenden Joe McCarthy in die Knie gingen. Wie es
an einer Stelle im Film heißt: "The public doesn’t give a damn about
integrity. A town that won’t defend itself deserves no help."
"Zwölf
Uhr mittags" ist daher nicht nur rein formal einer der herausragenden Höhepunkte
des an Variationen relativ armen Western-Genres, sondern auch eines der besten
Beispiele dafür, dass in Hollywood einst einmal auch wichtige Filme mit
bedeutenden politischen Anliegen gemacht wurden. Aus heutiger Sicht kaum zu
glauben.
F.-M.
Helmke
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
12
Uhr mittags
(High
Noon)
USA
1952, 85 Minuten
Regie:
Fred Zinnemann
Drehbuch:
Carl Foreman, nach einer Geschichte von John W. Cunningham („The Tin Star“)
Musik:
Dimitri Tiomkin, „Do not forsake me, oh my darlin’“ gesungen von Tex Ritter
Kamera:
Floyd Crosby
Schnitt:
Elmo Williams
Produktionsdesign:
Rudolph Sternad
Darsteller:
Gary Cooper (Marshal Will Kane), Thomas Mitchell (Bürgermeister Jonas Henderson),
Lloyd Bridges (Deputy Sherif Harvey Pell), Kate Jurado (Helen Ramirez), Grace
Kelly (Amy Kane), Otto Kruger (Richter Percy Mettrick), Lon Chaney Jr. (Martin
Howe), Harry Morgan (Sam Fuller), Ian MacDonald (Frank Miller), Eve McVeagh
(Mildred Fuller), Lee van Cleef (Jack Colby), Robert J. Wilke (Pierce), Sheb
Wooley (Ben Miller), James Millican (Deputy Sherif Herb Baker), Jack Elam (Charlie,
Betrunkener)
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