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Castaway – Verschollen
Club Robinson
Robert Zemeckis inszeniert ein Rebirthing für Tom Hanks
Es war einmal: Hollywood und die Systemfrage. "Die reichsten
ein Prozent dieses Landes besitzen die Hälfte seines gesamten Reichtums.
Aber nach ihren Regeln wird gespielt: die Nachrichten, der Krieg, Hungersnöte,
das große Chaos und der Preis für eine Büroklammer. Du bist
doch nicht so naiv und glaubst, dass wir in einer Demokratie leben?! Dies ist
die freie Marktwirtschaft, und du bist ein Teil davon." Die kleine Rede
ist ein (film-) historisches Dokument. Michael Douglas hat sie 1987 als Börsenspekulant
in Oliver Stones Wall Street gehalten und damit zugleich den Höhepunkt von Kritik formuliert,
der im Yuppie-Kino der achtziger Jahre möglich war.
Der Yuppie-Film war ein seltsames, hybrides Wesen – eine Serie von
Produktionen, die den Siegeszug der Young Urban Professionals irgendwo zwischen
Faszination und kritischer Distanz begleiteten. Während Werke wie Das Geheimnis meines Erfolges den Aufstieg der jungen Geschäftsleute in die oberen Etagen
der Wolkenkratzer rückhaltlos feierten, sprachen etwa Bright Lights, Big City oder Fegefeuer der Eitelkeiten vom Scheitern dieses Lebensmodells. Wall Street lebte als Quersumme beide Seiten aus; zum ästhetizistischen
Abfeiern des urbanen Glamours, der glänzenden Oberflächen, gesellte
sich eine moralisch konservative Kritik an den Reagonomics und dem Verlust der
alten Werte. Dem "Erschaffen" und damit dem US-amerikanischen (und
auch bundesdeutschen) Mythos von den tugendhaften Vätern der Wirtschaftsnation
wurde das bloße "Besitzen" gegenübergestellt – definiert
und diskreditiert als "Kapitalismus vom Feinsten".
Eineinhalb Jahrzehnte und eine New Economy später kümmern
sich Hollywood-Filme aus gegebenem Anlass wieder ein bisschen um, wie es Oliver
Stone genannt hat, "die Auswüchse des Kapitalismus". Ein kleiner
Junge führt in The Kid den erfolgreichen Imageberater Bruce Willis aus dem geschäftigen
Treiben ins kindliche Ich zurück, und in Family Man entdeckt Nicolas Cage als Börsenmakler und so genannte "Zierde
des Kapitalismus" durch ein Wunder die bescheideneren Freuden des mittelständischen
Familienlebens in der Vorstadt. Das aufwändigste Projekt dieser Stoßrichtung
handelt nun von einem schicksalhaften Ausstieg, der einem der ehemaligen Protagonisten
des Yuppie-Films widerfährt. In Robert Zemeckis’ Verschollen strandet Tom Hanks auf einer einsamen Insel.
Der Sklave der Uhr muss auf die innere Stimme hören
Bevor wir dort seine Wandlung zum asketischen Einsiedler mit Fusselbart
und Langhaarzotteln erleben können, müssen wir allerdings erst den
früheren Chuck Noland kennen lernen. Der ist ein getriebener Geschäftsmann
im Auftrag einer großen US-Transportfirma und gerade dabei, eine gut funktionierende
Zweigstelle in Moskau auf Höchstleistungen einzuschwören. Er bringt
den russischen Eingeborenen den Kapitalismus bei, was hier bedeutet, die Uhr
als neuen Götzen zu installieren. "Die Zeit beherrscht uns gnadenlos",
heißt einer von Nolands ersten Sätzen: "Wir leben und sterben
durch die Uhr."
Während Zemeckis’ Film die Inthronisierung der Uhr nach den Gesetzen
des Frühkapitalismus beobachtet, zeigt er zugleich: Es gibt keine Zeit
mehr für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Gehetzt verabschiedet sich
Noland am Weihnachtsabend von seiner Liebe Kelly (Helen Hunt), um mit der nächsten
Maschine seiner Arbeit hinterherzufliegen. Und weil Zemeckis es gern recht bündig
hat, bekommt Noland von seiner Freundin auch noch eine alte Taschenuhr mit Porträtfoto
geschenkt.
Fürderhin lebt die Geschichte von diesem Zeichen. Nicht ohne
meine Uhr: Wegen ihr löst sich Noland aus dem Rettungsgurt und überlebt
so als Einziger den Absturz seines Flugzeugs. Und sie ist es, die ihn während
der vier Jahre dauernden Einsamkeit auf der Insel davor bewahrt, wahnsinnig
zu werden. Das heißt, eigentlich sind es drei Dinge, die ihn am Leben
halten: die kaputte Uhr seiner Freundin, ein letztes, an den Strand gespültes
Paket seiner Firma (also eine verbliebene Aufgabe für den Paketzusteller)
und ein ebenfalls aus dem Wrack angespülter Volleyball, der unter dem Namen
"Wilson" zu Nolands einzigem Ansprechpartner wird. "Wilson"
gegenüber wird er dann die Absurdität eingestehen, als Uhrgläubiger
plötzlich alle Zeit der Welt für sich allein zu haben.
Wie Noland schließlich der Insel wieder entkommt und welche
Rolle dabei Buckelwale spielen, soll hier nicht verraten werden. Wovon man jedoch
sprechen muss, ist die Rückkehr des nun recht sehnig-gesund wirkenden Noland.
Flugs wird er wieder aufgenommen in die alte Firma, es findet ein Festbankett
ihm zu Ehren statt, und sein bester Freund ist und bleibt der Kollege vom Arbeitsplatz.
Selbst die Trennung von seiner Freundin (die hat nämlich nach dem mutmaßlichen
Tod des Liebsten neu geheiratet und auch schon ein Kind) kann letztlich verschmerzt
werden – wenn Noland nur am Ende sein letztes Päckchen vier Jahre zu spät
persönlich an den Bestimmungsort bringt: "Dieses Paket hat mein Leben
gerettet!"
Abgesehen von einigen packenden, präzisen Momenten, etwa während
des Flugzeugabsturzes, ist Robert Zemeckis’ Verschollen kaum mehr als eine unspektakuläre Robinson-Fantasie aus dem
Geist der Corporate Identity. In guten wie in schlechten Tagen bleibt die Firma
jenes Herzstück der Identität, das selbst die größte Liebe
überdauert. Wie in einem verlängerten Schwangerschaftsurlaub fürs
eigene Rebirthing entdeckt Noland auf der Insel, mal raus aus dem Stress, den
wahren Sinn des Lebens: "Keep on breathing!" Funktionieren geht über
alles.
Verschollen ist insofern der passende Blockbuster zur Zeit, weil er das allgemeine
unpolitische Unbehagen vor dem alles beherrschenden Markt in eine unverfängliche
Geschichte überführt. Der Film zeigt keine Alternative, übt nicht
einmal Kritik, sondern verschreibt schlicht einen Urlaub. Letztlich geht es
hier, wie schon im Yuppie-Film, immer nur darum, auf die "innere Stimme"
zu hören und sich ansonsten mit dem Unvermeidlichen zu arrangieren. Das
System jedenfalls darf keine Schuld tragen – mag es in Family Man, The Kid und Verschollen auch noch so heilungsbedürftige Männer hervorbringen.
Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Die Zeit
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Cast
Away – Verschollen
USA
2000 – Originaltitel: Cast Away – Regie: Robert Zemeckis – Darsteller: Tom Hanks,
Helen Hunt, Nick Searcy, Chris Noth, Lari White, Geoffrey Blake, Jenifer Lewis,
Peter von Berg – Länge: 143 min. – Start: 11.1.2001
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