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The
Day After Tomorrow
Keine Panik
„The Day After Tomorrow“ ist ein Katastrophenfilm, der
Familientrost spendet
Katastrophenfilme
der letzten Jahre hatten oft Helden, die in Krieg und Chaos erst zu sich selbst
fanden. Todesnähe und Ausnahmezustand schaffen einen Zuwachs an Lebendigkeit.
Richtiges Leben gibt es nur im falschen. Solch Warrior-Existenzialismus war
in Filmen wie Danny Boyles „28
Days Later“
die große Attraktion fürs adoleszente Publikum und dessen ungute
Anfälligkeit fürs ewig Ernst-Jünger-hafte. Roland Emmerichs „The
Day After Tomorrow“ richtet sich nun eher universalistisch warnend im Stile
der Siebziger an eine rationale Diskursgesellschaft, allerdings eine, die auf
der Ebene des Tigerentenclubs diskutiert.
Bei
ihm ist die Katastrophe kein geil lebensbedrohlicher Kick, sondern folgt der
guten alten Logik einer verkehrten Welt. Dem irren Wetter der Klimakatastrophe
entspricht, dass auch sonst alles auf dem Kopf steht: Die vor der Eiszeit nach
Süden fliehenden US-Bürger werden etwa an der mexikanischen Grenze
von Bewaffneten zurückgewiesen. Solche 180-Grad-Umkehrungen der Normalität
suggerieren natürlich, dass, wenn alles wie gewohnt zuginge, die Welt auch
insgesamt in Ordnung wäre. Wäre das Wetter wieder normal, würden
auch wieder die Mexikaner an der Grenze umkommen, und das wäre genauso
in Ordnung wie der Umstand, dass es in Südkalifornien niemals regnet.
Fast
ein Drittel seiner Länge nimmt sich der Film daher Zeit, um in Mikro-Episoden
aus allen Teilen der Welt zu zeigen, wie Leute normale Dinge tun, am Nudelstand
stehen (in Tokyo) oder unrasiert frühstücken (in Washington D. C.),
während plötzlich das Wetter verrückt spielt. Nach 30 Sekunden
Hagel der nächste Schauplatz. Beim klassischen Katastrophenfilm nennt man
solche eilig springenden Einführungen „Meanwhile-Dramaturgie“. Nach Art
der Konferenzschaltung wird etwa in den Airplane-Filmen immer wieder in andere
Sitzreihen geschnitten, wo die Alkoholikerin, der Football-Star oder das alleinreisende,
tapfere Kind nicht ahnen, was ihnen in diesem Flugzeug noch bevorsteht. Hier
ist das abstürzende Flugzeug aber das ganze Raumschiff Erde. Und führerlos
ist es auch.
Vermeintlich
genau wie im wirklichen Leben wird auch diese USA von einem bornierten Vizepräsidenten
regiert. Der Führer hat von allem nichts gewusst. Der legitime Präsident
geht schon bald über die Wupper. Zu Beginn sterben die Leute aber noch
lustige Tode. In Los Angeles etwa werden sie von Reklametafeln erschlagen. Dass
es richtig ernst wird für alle, merken wir daran, dass das relevante Personal
auf eine Familie zusammenschrumpft. Mutter (Ärztin), Vater (Klimatologe)
und Sohn (Elitestudent, in kulleräugiges Mädchen verliebt) retten
mit Opfermut und Tatkraft Reste der Welt – und natürlich den tapferen krebskranken
kleinen Jungen. Das Springen zwischen den Schicksalen hört jetzt auf. Obwohl
die ganze nördliche Hemisphäre dran glauben muss, bleiben wir in New
York und Umgebung.
Diese
und andere Weltstädte mit ihren Spektakelarchitekturen und Signature-Skylines
werden gern als Verdichtung eines tendenziell sterbenden Sozialen und als reine
Repräsentation des allmächtigen toten Kapitals gelesen. Kulturkritiker,
Kinoregisseure und Terroristen sind sich da einig. Der Reiz, stellvertretend
für die versteinerten Verhältnisse deren steinerne, stählerne
und gläserne Architektur zu sprengen, speist den klassischen Katastrophenfilm
der Siebziger und Achtziger und dessen unterschwellige bis populistische Kulturkritik.
Auf diesen populären Bildervorrat hat sich bekanntlich auch der Terrorakt
gegen New York bezogen. Dies ist nun der erste Old-School-Katastrophenfilm,
der die Bilder des 11. September re-integriert in den Hollywood-Fundus. Die
sich langsam durch die Straßenschlucht Manhattans wälzende Flutwelle
ähnelt der Staubwolke nach dem Einsturz der Twin Towers fast bis zum Zitat.
Aber fordert eine neue Eiszeit nicht den ganzen Landschaftsmaler und daher ganz
neue Bilder?
Stattdessen
bringen es die weißen Totalen kaum bis zu den Erhabenheitseffekten des
B-Films. Was ist schon dieses eingeschneite Nordamerika gegen die von Mörderspinnen
zu einem einzigen Kokon versponnene Erde in dem Genrefilm Mörderspinnen
greifen an von John „Bud“ Cardos, um nur ein willkürlich herausgesuchtes
Beispiel für Trash-Erhabenheit zu nennen? Ganz vergeblich hauchen die seit
David Lynch unvermeidlichen, körperlosen Sopranchöre in Emmerichs
Film das musikalische Äquivalent des amerikanischen Allzweckausrufs „Oh,
my God!“
Seinem
Gegenstand bleibt Roland Emmerich komplett äußerlich. Nur die Suche
der Meteorologen nach Mustern und Verkettungen statt nach einem Zentrum der
Bedrohung erinnert an veränderte Verhältnisse. Das globale Wetter
gleicht in „The Day After Tomorrow“ eher einem Terror-Netzwerk als einem Konkurrenten
um die Weltherrschaft. Plot und Psychologie hätten aber genauso gut zum
Angriff elektrisch geladener Regenschirme gepasst. Trotzdem hat der Film, will
man den einschlägigen Korrespondenten glauben, in den USA eine überfällige
Diskussion ausgelöst. Da konnten sich also Wissenschaftler und Aktivisten
bisher den Mund fusselig reden: Erst ein drittklassiger Film verschafft alten
Empörungen über die Umweltpolitik der USA spätes Gehör.
Tatsächlich haben wir es hier mit einer Schwundform von Öffentlichkeit
zu tun, deren Auswirkungen die Gefahren einer Klimakatastrophe weit übertreffen.
Diedrich
Diederichsen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
The
Day after Tomorrow
USA
2004 – Regie: Roland Emmerich – Darsteller: Dennis Quaid, Jake Gyllenhaal, Ian
Holm, Emmy Rossum, Sela Ward, Dash Mihok, Kenneth Welsh, Jay O. Sanders, Austin
Nichols, Perry King – Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ab 12 – Länge:
124 min. – Start: 27.5.2004
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