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The Day After

 

Ein postnuklearer Aufklärungsfilm

 

Es gibt Filme, deren Verdienst nicht künstlerischer, sondern thematischer Natur ist. Es sind Filme, die etwas Zeitgeist konservieren, ihn ohne eine besondere Fertigkeit oder künstlerische Finesse auf Zeluloid bannen. Es sind Filme, die als solche nicht nennenswert sind, sich aber dank ihrer gesellschaftlichen Bedeutung in die Filmgeschichte eingebrannt haben. Ein solcher Film ist The Day After.

 

Für die Bewohner in Kansas, dem Mittleren Westen der USA, wird 1983 eine fast 40 Jahre lang gehegte Schreckensvision wahr: Der Atomkrieg bricht aus. Im Zuge des NATO-Doppelbeschlusses rüstest Westeuropa auf, wehren sich die Sowjets, belagern und besetzen West-Berlin; der Kalte Krieg wird heiß. Innerhalb kürzester Zeit starten die Atomraketen, einige detonieren in Kansas-City. Was von der Welt übrig bleibt, was Überleben in einer neuen Archaik bedeutet, das zeigt The Day After.

 

Die Szenen, die den Zuschauer nach dem großen Knall erwarten, sind wahrhaft beeindruckend, ja tief verstörend. Da hocken Familien in ihren nutzlosen Kellerbunkern, die allmählich zu Jauchegruben werden, warten ohne zu wissen, wie lange und vor allem worauf eigentlich. In den Resten ehemaliger Krankenhäuser führen Ärzte den absurden Kampf gegen den Strahlentod, an dem sie schließlich selbst zugrunde gehen. Draußen geht es noch verzweifelter zu: Kutschen rollen durch allseitiges Ödland und ausgebrannte Städte, Staub und Ascheregen hüllen die Landschaft ein. Zerlumptes, verbranntes und haarloses Volk säumt ehemalige Highways, nukleare Aussätzige, die um die letzten Artefakte der untergegangenen Zivilisation kämpfen. In Kirchen, die nur noch aus einem Kreuz bestehen, erschallt die Offenbarung wie ein tagesaktueller Kommentar. Das Leben ist wieder so geworden, wie Hobbes es befürchtet hat: eklig, viehisch und kurz.

 

So bedrückend und verstörend die Szenen auch sind, so wenig liegt das an einem nüchternen Realismus der Darstellung. Denn was man zunächst dafür halten könnte, ist tatsächlich nur der ästhetische Code des Fernsehfilms, der The Day After ist. Wie tief er dem Stil von TV-Serien aus den 70ern bis 80ern entspringt, zeigt sich in dem überlangen Intro, das beabsichtigt wie eine Mischung aus Waltons, Denver-Clan und Werbevideo örtlicher Wirtschaftsverbände wirkt. Eine solch ereignislose, scheinheilige Welt schreit geradezu nach ihrer Vernichtung, möchte man meinen, wäre da nur nicht das allzu Authentische des politisch-militärischen Herganges. Schon in diesem ersten Teil verleiht gerade die Glaubwürdigkeit der Ereignisse dem Film seine Wirkung, die im zweiten Teil in einer fast unerträglichen Atmosphäre des Untergangs gipfelt. Und so erscheinen auch die eindimensionalen Sitcom-Charaktere überaus glaubwürdig, wenn sie die Eskalation in Berlin und später Deutschland lange Zeit nicht ernst nehmen: Man hat mit der Gefahr zu leben gelernt, sich eingerichtet im Rüstungswettlauf und Systemwettbewerb und dem Glauben, am Ende doch davonzukommen. 

 

Vor dieser Gefahr der Alltagswerdung atomarer Vernichtungspotenziale versucht The Day After mit seinem Horrorszenario zu warnen. Anstatt jedoch auf das Grauen der bloßen Bilder zu setzen, fühlte Regisseur Nicholas Meyer sich offenbar genötigt, diese auch noch zu kommentieren. Das führt zu fast schon komischen Szenen, etwa wenn die Charaktere einander zu erklären scheinen, was Strahlung ist, aber eigentlich den Zuschauer schulmeistern – als ob die seit den frühen 50er Jahren hysterischen Amerikaner nicht genau gewusst hätten, was Fallout oder Strahlung sind. Diese Belehrungen ebenso wie die satirische, Kubricks Dr. Strangelove entlehnte, Radioansprache des Präsidenten – nach den Atomschlägen gibt es einen Waffenstillstand zwischen den USA und der UDSSR – verwässern die dichte Atmosphäre aus Entsetzen und Ausweglosigkeit.

 

The Day After ist trotz seiner Fernsehfilm-Ästhetik und seines Alters noch immer so bedrückend und nahegehend wie am ersten Tage. In einer Welt, die auch heute noch ein hundertfaches Potenzial an atomarer Selbstzerstörung aufweist, ist dieser postnukleare Aufklärungsfilm weiterhin sehenswert, zum Glück jedoch mittlerweile mehr Fiktion als mögliches Ergebnis politischer Verirrungen.

 

Thomas Hajduk

 

 

The Day After (Der Tag danach)

THE DAY AFTER

USA – 1983 – 126 min. – Erstaufführung: 2.12.1983

Regie: Nicholas Meyer

Buch: Edward Hume

Kamera: Gayne Rescher

Musik: David Raksin

Schnitt: William Paul Dornisch, Robert Florio

Special Effects: Robert Blalack, Robert Dawson, Movie Magic

Darsteller:

Jason Robards (Dr. Russel Oakes)

JoBeth Williams (Nancy Bauer)

Steve Guttenberg (Stephen Klein)

John Cullum (Jim Dahlberg)

John Lithgow (Joe Huxley)

Amy Madigan (Allison Ransom)

Lori Lethin (Denise Dahlberg)

Bibi Besch (Eve Dahlberg)

William Allen Young

Jeff East

Stephen Furst

Calvin Jung

 

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