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Hennen
rennen
Die Hühner einer gefängnisartigen Farm
versuchen auszubrechen – das Langfilmdebüt der Aardman-Animations-Riege,
die zuvor mit den Wallace & Gromit-Shorts zu Berühmtheit gelangte
Gnadenlos geht es zu in der gefängnisgleichen
Hühnerfarm von Mrs. Tweedy (Miranda Richardson): Wer hier nicht die Eierquote
erfüllt, macht unangenehme Bekanntschaft mit der Axt des Farmers (Tony
Haygarth). Ganz gegen die gleichmütige Hühnernatur kämpft die
Heldin Ginger (Julia Sawalha) um die Freheit – mit immer wieder neuen Plänen,
versucht sie sich und ihre Leidensgenossen zu befreien. Als auch noch eine Hühnerpastetenmaschine
vor Ort installiert wird, beginnt die Zeit abzulaufen. Die letzte Hoffnung kommt
in Form des fliegenden Zirkushahns Rocky (Mel Gibson): Er soll es den Hühnern
beibringen, über den Zaum zu flattern – aber davor gibt es eine ganze Reihe
von Hindernissen zu umschiffen.
"The Great Escape with chickens" – Gesprengte
Ketten mit Hühnern, das sei der Pitch gewesen, mit dem die britischen Eigenbrötler
der Plastilinanimationsschmiede Aardman, Peter Lord und Nick Park, nach dem
fulminanten Erfolg ihrer Wallace &
Gromit-Filme locker einen Hollywoodlangfilmvertrag
eingefahren haben. Wer nun fürchtet, das habe den Ausverkauf an Spielbergs
Dreamworks-Firma bedeutet, wird rasch eines Besseren belehrt. Schon in den fünf
Minuten vor dem Vorspann, einer rasant geschnittenen Montage gescheiterter Ausbruchsversuche
bringt das Duo Lord/Park nämlich gleich einmal (als hochkomische Verdichtung)
den Großteil des Zitatpotentials dieses Ansatzes hinter sich: Vom eingangs
erwähnten John Sturges-Film bis Stalag
17 werden hier kleine Hommagen eingebaut,
um den Weg für die eigentliche Handlung freizumachen.
Die beginnt trotz der komischen Prämisse reichlich
düster: Die Hühnerfarm ist ein Mittelding aus Gefangenen- und Konzentrationslager,
die großen, leeren Augen der Insassen (die Gestaltung der Hühner
ist ein weiteres skurriles Meisterstück in der langen Serie abstruser Aardman-Plastilincharaktere)
wirken ebenso traumatisiert wie lachhaft und ein erstes Opfer, das seine Eierlegepflicht
nicht erfüllt hat, wird schon zehn Minuten nach Filmbeginn (wenn auch im
Off) einen Kopf kürzer gemacht. Was nicht heißen soll, daß
Chicken Run nicht
durch und durch Komödie wäre – trotzdem lauert eine beunruhigende
Angst unter der spaßigen Oberfläche. Tatsächlich steht dieser
Film fernab vom derzeitigen Hollywoodkino (außer man ahnt auch eine höhnische
Variation auf Schindlers
Liste in dieser Chronik eigenwilligen
Irrsinns) und in der Nähe des klassisch britischen Humors der großartigen
Ealing-Komödien der Vierziger und Fünfziger. Von Adel
verpflichtet über Einmal Millionär sein
bis Ladykillers
fanden damals Regisseure wie Alex MacKendrick oder Charles Crichton im Aufeinanderprallen
von scharf beobachteter Realität, tückisch-subversiver Utopie und
großartig verschrobenen Persönlichkeiten eine eigenständige
Form englischen Kinos – und genau hier knüpft Chicken
Run an.
Die detailfreudigen, aufwändig gestalteten (die
Aufnahmen erfolgen im Einzelbildverfahren) Welten der Aardman-Animateure haben
schon früher eigenwillige Kurzschlüsse von erfundenen Plastilincharakteren
und abwegigen sozialen Kommentaren (etwa in Creature
Comforts – dem oscargekrönten
Kurzfilm, in dem Interviews von Bewohnern armseliger Mietshäuser Tieren
eines imaginären Plastilinzoos in den Mund gelegt wurden) produziert. So
gesehen ist Chicken Run dann auch eine Absage an die Industrialisierung
und eine Feier des Kampfgeists seiner unbeirrbaren Heldin, die aber als Ablauf
perfekt entworfener Hollywoodhöhepunkte gezeigt wird. Die superbe Szene,
in dem also Ginger und Rocky dem Feind (der Hühnerpastetenmaschine) ganz
wörtlich ins Getriebe kommen, funktioniert auch als liebevolle Variation
auf diverse Indiana Jones-Maschinerien. Ähnlich wie im letzten Wallace & Gromit-Film,
Unter Schafen,
kommt die Verehrung trocken britischen Humors mit wildgewordenem Suspensemomenten,
die Hollywoods Spannungstechniken in eine bis ans Unglaubliche beschleunigte
Faszination mit mechanischen Apparaten verdichten, zusammen.
Dass die Resultate hierbei nie zu bloßen Fingerübungen
in materialverliebte Erzählrasanz verkommen, liegt an dem enormen Geschick,
mit dem hier Charakterarbeit betrieben wird. Abgesehen von einem hervorragend
gecasteten Mel Gibson (der in manchen seiner früheren Filme schon einen
Sinn für Selbstironie gezeigt hat, der ihn zum idealen Partner der Briten
werden lässt) als amerikanischen Hahn steht ein Trupp verdienter englischer
Akteure als Stimmen der Hühner und ihrer Widersacher zur Verfügung,
die der Geschichte einen regionalen Akzent verleihen. So gelingt Chicken Run
das Kunststück, als Hollywoodsommerfilm mit großen Gefühlen
zu funktionieren und gleichzeitig sein spinnertes Britenpotential zu behalten.
Die Flucht in ein utopisches Paradies und eine "große"
Liebesgeschichte stehen hier auf der einen Seite, absolut englischer Humor auf
der anderen. So gibt es einen schottischen Hahn, der die Militärtradition
hochhält und in den Erinnerungen an seine Zeit bei der Royal Air Force
schwelgt (zugleich liefert er den Subtext für einen der typisch doppelt
ums Eck gedachten Scherze des Films: Der enervierend komisch stets mit einem
Tic am rechten Auge blinzelnde Gockel will natürlich anfangs mit dem amerikanischen
Weichei Rocky nichts zu tun haben, nachdem der jedoch eine Heldentat verbringt,
überläßt er ihm sogar sein verehrtes Militärabzeichen –
dass Mel Gibson kürzlich in Braveheart einen schottischen Freiheitskämpfer gegeben
hat, muss man eben nicht bedenken, wenn man es aber tut, bekommt man eine Vorstellung
davon, wie clever die Referenzen gebaut sind, dass es nebenbei noch einen Star Trek-Scotty-Scherz
gibt, ist da schon selbstverständlich) und zwei Cockney-Ratten, deren Vorliebe
für schlechte englische Wortspiele ("Poultry in motion!") in
ihrem konsequent beknackten Witz kaum mehr auszuhalten ist – von der Szene in
der sie sich als Gartenzwerge verkleiden, ganz zu schweigen. Überhaupt:
Ob dieser Film auf deutsch auch nur annähernd das komische Potential realisieren
kann, das in seinem durch und durch englischen Sprachwitz steckt (einmal reißt
sich Gibsons Hahn eine Feder aus, steckt sie in seinen Drink und verkündet
stolz: "Cock-tail!"), ist zu bezweifeln (der fast schon wieder genial
dämliche deutsche Titel Hennen
rennen lässt da Böses ahnen)
– hier sollte man unbedingt versuchen, die Originalversion zu erwischen.
Nicht ganz perfekt ist Chicken
Run geworden (auch wenn es keinen
Moment in ihm gibt, der mir nicht höchstes Vergnügen bereitet hätte)
– waren die Kurzfilmvorgänger zunehmends rasanter geworden, so zeigt sich
hier, daß Nick Park – von den fulminanten Actionszenen abgesehen – ein
leicht schwerfälliger (aber nie langsamer oder gar langweiliger) Regisseur
ist. Die emotionalen Anstriche, die er seiner Geschichte verpasst, sind gelegentlich
leicht sentimental (und dabei auf diese typisch verdrehte Aardman-Art bewegend:
Wer hätte schon gedacht, dass es funktionieren wird, Plastilinhühner
als Identifikationsfiguren anzubieten? – Es funktioniert ganz prächtig,
auf eine vergleichbar einzigartige Weise wie vor ein paar Jahren Ein Schweinchen namens Babe),
bieten aber dadurch eine hübsche Grundlage für die Charakterentwicklung
seiner unmöglichen Figuren, die sich ansonsten leicht in ein Konglomerat
abseitiger Schrullen ohne Zusammenhalt präsentiert hätten. Und so
gelingt Chicken Run das Unmögliche – eine Komödie über
Ängste und Wünsche zu sein, in der sich der Mensch im Huhn wiederfindet.
In ein paar der lustigsten Sequenzen des Film, friert die Bewegung plötzlich
ein und die hoppertatschigen Hühner starren uns als hochkomisches Gruppenbild
an: Eine unmögliche Spiegelwelt des Zuschauerraums, dessen vor Freude weit
aufgerissene Augenpaare sich im Blickaustausch mit Plastilinfiguren wiedererkennt
– eine Unmöglichkeit sondergleichen, die der Film dann wieder mit Rasanz
überbrückt. Um während des Abspanns wieder ins Paradox zurückzufinden,
in die endlose Diskussion, was zuerst war: Huhn oder Ei.
Fazit: Dieser rundweg gelungene Animationsspaß
ist wohl der vergnüglichste Blockbuster dieses Sommers – seine eindrucksvolle
Verbindung von rasanter Action, üppigen Details und britischem Humor legt
einen Unterhaltungswert vor, den seine Herausforderer schwerlich überbieten
werden können.
Christoph Huber
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Chicken
Run – Hennen rennen
(Chicken
Run)
USA,
2000
Länge:
84 min.
Regie:
Peter Lord, Nick Park
Produzent:
Peter Lord, Nick Park, David Sproxton
Buch:
Karey Kirkpatrick, Randy Cartwright
Schnitt:
Mark Solomon
Kamera: Tristan
Oliver, Frank Passingham
Musik: Harry
Gregson-Williams, John Powell
Filmverleih (D) : Tobis
Filmverleih (USA) : Dreamworks
Kinostart (D) : 10.
August 2000
Kinostart (USA) : 21.
Juni 2000
DVD-Verleih ab : 19.
Februar 2001
DVDstart (Code 1) : 21.
November 2000
DVD-Verkauf ab : 19.
Februar 2001
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