zur startseite

zum archiv

 

 

½ Miete

 

 

 

 

 

Sympathisch sei Peter gar nicht angelegt, sagt Regisseur Ottiker im DVD-Off-Kommentar über seine Hauptfigur – eher widersprüchlich und mit Brüchen; dadurch würde er interessant. Und dann fällt der Name, auf den man sich dabei bezogen hat: Antonioni z.B. habe das auch so gemacht.

 

½ Miete ist meinetwegen deswegen ein bisschen Antonioni, weil Peter (Stephan Kampwirth), der Computerhacker, wirklich ein Unsympath ist. Wenns denn sein muss. Aber sonst kein bisschen. Es geht schon mit hektischer Kamera (und hektischem Schnitt) los, die – man mag es ja schon nicht mehr schreiben, geschweige denn sehen – offenbar auf dokumentarische Authentizität aus ist und wohl meint, sie käme den Seelen des gezeigten Gruselkabinetts je näher, je näher sie an die Gesichter und Körper heranführe. Unruhe und Effekthascherei, die keinen Effekt auslassen mag, sind das Ergebnis. Beides ist unkonstruktiv, weil der Erzählfluss dadurch ständig gestört wird. Nun aber zunächst zu dem Erzählten – das Antonioni nicht mal als schlechten Scherz bezeichnen würde.

 

Peter ist besessen vom Hacken. In Berlin spioniert er via Computer Betriebsgeheimnisse aus, die er gewinnbringend an die Konkurrenz verkauft. Seiner paranoiden Freundin (Natascha Bub) macht das so wenig Spaß, dass sie sich in der Wanne eine Überdosis Psychopharmaka gibt. Als Peter die Wasserleiche findet, schafft er es noch, den Notarzt zu rufen, verlässt dann jedoch schleunigst mit Laptop und Skateboard unterm Arm das hübsch auf Siebziger gestylte Plattenbauappartement am Alexanderplatz.

 

Stylish rollt er zum Bahnhof um sich da uncool in einen ICE zu setzen und – noch uncooler – sich von der Reisebegleiterin, die ihm 100 Euro (einer dieser typischen Deutsche-Bahn-AG-Phantasiepreise) abknöpft, vorschreiben zu lassen, wo er spätestens auszusteigen habe, nämlich in Köln. Viel zu affirmativ dieser Filmheld und dieser plot; Roadmovies jedenfalls gehen anders los. Aber wie wir sehen werden, und wie der Name ja schon verrät, ist ½ Miete ein Wohnungs- und kein Straßenfilm. In Köln angekommen, wirkt Peter ein wenig desorientiert, was sich z.B. darin äußert, dass er in ein eher parkendes, denn fahrendes Auto hinein skatet. Das musste aber sein, denn sonst hätte der Anti-Held ja nicht die Anti-Heldin und Fahrzeughalterin getroffen. Einer der billigsten Tricks der Filmgeschichte: Sollen sich zwei kennen lernen, lasse sie kollidieren! Damit nun ist also auch das weibliche Pendant gefunden und eingeführt. Während Peter zunächst weiterhin irritiert durch die Kölner Straßen skatet, dürfen wir sie nun ein wenig in ihrem Sekretärinnen- und Karierte-Röcke-Alltag beobachten. Da die Sekretärin (Doris Schretzmayer) Ordnungs-und Sicherheitsfanatikerin ist, kann sie zwar mit einem Tischstaubsauger, aber nicht mit einem Mann zusammen leben. Ihr Nachbar (der in Sonnenallee gefallende, hier aber leider verunglückende Alexander Beyer), bei aller (nicht nachvollziehbarer) Sympathie, ist ihr zu chaotisch und er müffelt auch ein bisschen.

 

Und Peter? Stellt fest, dass er aus emotionalen Gründen nicht in einer Pension wohnen kann. Gleich in der ersten Nacht wird er dort von diabolischen Erinnerungen an die Verblichene heimgesucht. Die Konsequenz: In fremde, aber bewohnte, Wohnungen muss er eindringen, parasitär, um inneren Frieden zu finden, ähnlich – und da sind wir schon beim tiefschürfend philosophischen Gesamtkonzept – wie zuvor in fremde Computer! Aha!

 

Und weil die Menschheit ihre Wohnungsschlüssel ja immer unter der Fußmatte oder im Sicherheitskasten versteckt, dringt er ein: In die Arbeitswohnung eines stagnierenden TV-Drehbuchautors (Kampwirth wird völlig an die Wand gespielt vom im ganzen Film allein auf weiter Flur glänzenden Thomas Kapielski (auch sonst Autor)), zum Schlafen in die Wohnhöhle eines alleinstehenden Schichtarbeiters, er benutzt die Dusche eines Türken im rosa Joggingdress, und schließlich sieht er auch – von weitem – die Sekretärin wieder. Aber ihre Wohnung benutzt er dann schon ganz selbstlos, denn eine wunderbare Wandlung ist mit Peter geschehen: Wir wissen nicht warum, aber er hat plötzlich erkannt, dass er ein schlechter Mensch war. Weil wir es sonst wahrscheinlich nicht glauben würden, sagt er es uns extra als inneren Monolog (sonst wird im Film darauf verzichtet) mitten während einer geschäftlichen Transaktion: „Wegen Typen wie uns wird irgendwann alles zugrunde gehen. Jetzt versteh ich das, und ich hab’ das so lange mitgemacht …“

 

Denkt es und wirft zuerst die dreckigen Daten und gleich danach den bösen Laptop in den Rhein (der Rhein ist übrigens das einzige, was in diesem Köln noch an Köln erinnert). Brüskiert den extra angereisten Geschäftspartner, indem er ihn stehen lässt, und wendet sich seiner neuen Form des Hackens zu: Ordnet die Stichwortzettel des Autors neu, damit das Drehbuch termingerecht fertig werden kann, kauft dem Malocher Schweinshaxe, damit er endlich mal satt wird, und klebt der Sekretärin lila Notizzettel in bestimmte Seiten ihrer umfangreichen Bibliothek (einschlägige Werke von Fritz Riemann und Sigmund Freud), damit sie endlich merkt, dass sie ein Zwangscharakter ist. Bei Edgar Allen Poe wird die Erzählung „Liebe auf den ersten Blick“ markiert, damit sie weiß, dass der unbekannte Einbrecher der Dieb ihres Herzens ist.

 

Leider merkt weder Peter noch die Sekretärin, noch der Schriftsteller, noch Regisseur und Buchautor Ottiker, dass Peter am Ende noch mehr nervt als am Anfang. Peters Wandlung ist eine Wandlung zum Schlechten. Hand aufs Herz: Wenn er vorher Industriedaten geklaut und verkauft hat, hat er damit immer auch jemand getroffen, der es irgendwie verdient hat, zumindest jemanden, der versichert war. Die Sicherheit, vor allem die innere, dieser neuen Opfer aber ist rettungslos dahin. Was haben unschuldige Privatleute falsch gemacht, dass man sich buchstäblich in ihrem Leben breitmachen darf, und sich dreist in ihre inneren Angelegenheiten einmischen? Und dann auch noch so besserwisserisch?

 

Es ist die Psychologie von ½ Miete, die nicht funktioniert, denn niemand wird allen Ernstes sich darüber freuen, wenn seine Wohnung wiederholt von Unbekannten besucht wird. Aber die Leute im Film freuen sich und danken dafür. Weil einer solchen Konstellation jede Plausibilität fehlt, so meine Vermutung, tun sich die Darsteller auch so schwer, glaubwürdig und überzeugend ihre Rollen auszufüllen. Denn es geht einfach nicht. Industriespionage und das Schnüffeln in fremder Leut’ Privatestem ist definitiv nicht kompatibel. Es ist bereits die Grundidee von ½ Miete, die den Film scheitern lässt.

 

Andreas Thomas

   

½ Miete

Deutschland 2002 – Regie: Marc Ottiker – Darsteller: Stephan Kampwirth, Doris Schretzmayer, Natascha Bub, Christoph Krix, Martin Ecker, Thomas Kapielski, Sven Pippig, Alexander Beyer, Ingo Haeck, Sandra Borgmann – FSK: ab 12 – Länge: 93 min. – Start: 1.1.2004

 

 

zur startseite

zum archiv